Rassismus im Fußball: Ein Schiedsrichter auf Mallorca berichtet

Der Nigerianer Kelly Eguasa pfeift in der Kreisklasse auf der Insel. Ein Gespräch über Vinicius, Rassismus und Gewalt im Fußball

Kelly Eguasa pfeift in der Primera Regional, der sechsten Liga Spaniens.

Kelly Eguasa pfeift in der Primera Regional, der sechsten Liga Spaniens. / Privat

Ralf Petzold

Ralf Petzold

„Vinicius basura, tu piel no tiene cura“ (frei übersetzt: Vinicius, du Abschaum, gegen deine Hautfarbe gibt es keine Reinigung), haben einige Anhänger von Real Mallorca auf ein Spruchbanner geschrieben, das sie vor zwei Wochen beim Spiel gegen Valencia präsentieren wollten. Glücklicherweise konnte die Polizei das verhindern. Vorfälle wie dieser sind auf der Insel leider keine Seltenheit. Die MZ hat mit Kelly Eguasa über Rassismus und Gewalt im Fußball gesprochen. Der 28-jährige Nigerianer ist seit 2016 Schiedsrichter im Amateurbereich auf Mallorca.

In Brasilien, der Heimat des Real-Madrid-Spielers Vinicius, hält man Spanien mittlerweile für ein Land voller Rassisten. Ist dem so?

Das ist übertrieben. Die Schuld von einigen Personen wird auf das ganze Land übertragen. Ich lebe seit 2008 auf der Insel. Für mich ist Spanien kein rassistisches Land. Es gibt Einzelfälle, die gibt es aber überall.

Viele Spanier wehren sich gegen die Anschuldigungen und behaupten, Vinicius würde die Anfeindungen durch sein Verhalten provozieren …

Das sehe ich völlig anders. Ich war selbst Spieler und bin nun Schiedsrichter. Die Brasilianer lassen gerne ein paar Tricks in ihr Spiel einfließen. Sie können es aber auch und haben Spaß daran. Dafür darf sie niemand in Form von rassistischen Beleidigungen und harten Fouls bestrafen. Vinicius verdient Respekt und muss seine Spielweise nicht ändern.

Spieler wie Neymar oder Cristiano Ronaldo haben eine ähnliche Spielweise, werden aber nicht so angegriffen wie Vinicius.

Er ist halt noch ein junger Kerl und weiß nicht, wie er damit umgehen muss. Wenn die Leute ihn beleidigen, läuft er heiß. Den ersten und zweiten Spruch schluckt er vielleicht noch herunter. Doch irgendwann ist die Grenze erreicht. Wenn es so weitergeht, braucht er Hilfe von einem Psychologen. Die Zuschauer und Gegner wissen mittlerweile auch, dass sie ihn so auf die Palme bringen und praktisch aus dem Spiel nehmen können.

Also sollte er einfach die Beleidigungen schweigend ertragen?

Nein, ich finde es gut, dass er nicht schweigt. Er muss aber bei seinen Reaktionen den Kopf einschalten. Er deutet gerne auf das Emblem von Real Madrid und will damit sagen, was für ein toller Hecht er ist. Dabei sind Kameras auf ihn gerichtet, die die Bilder in die Welt tragen. Die Attacken auf ihn sind hingegen meist versteckt. Und so sollte auch er vorgehen.

Wie soll das bei den Beschimpfungen durch die Fans aussehen?

Der Fanblock ist ein hoffnungsloser Fall. Da hilft es nur, auf Durchzug zu stellen.

Die Schiedsrichter bleiben oft tatenlos. Warum wird da nicht härter durchgegriffen?

Wir haben Protokolle, an die wir uns halten müssen. Klar würde ich gerne gemeinsam mit dem Spieler den Platz verlassen und die Partie abbrechen. Das gibt das Protokoll aber nicht her. Bei der ersten Beleidigung suchen wir das Gespräch mit den Verantwortlichen der Vereine. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass ein Spieler auf eigene Faust den Platz verlässt. Das würde eine Rote Karte nach sich ziehen. Erst wenn die Beleidigungen wiederholt auftreten, dürfen wir einen Spielabbruch anordnen.

Die Täter werden – falls überhaupt – meist nur mit einem Stadionverbot bestraft. Reicht das aus?

Das ist viel zu wenig. Ich würde die Vereine viel mehr in die Pflicht nehmen. Wenn der Club einen Monat lang nicht mehr vor Publikum spielen darf, bleiben die Einnahmen aus dem Ticketverkauf aus. Dann haben die Vereine ein ganz anderes Interesse, die rassistischen Beleidigungen zu stoppen.

Was empfinden Sie, wenn Sie rassistisch beleidigt werden?

Im Fußball gibt es viele Beleidigungen. Wenn die sich ausschließlich gegen meine Person richten, kann ich damit umgehen. Wenn die Grenze zum Rassismus aber überschritten wird, wird es ernst. Dann werde nicht nur ich beleidigt, sondern meine Wurzeln, meine Kultur und all meine Leute. Das tut am meisten weh. Wir sind stolz darauf, schwarz zu sein.

Was war der schlimmste Fall, der Ihnen zugestoßen ist?

Das war ein Spiel in Andratx, die gegen Maria de la Salud spielten. Ein Spieler wurde ausgewechselt, weil er kurz vor dem Platzverweis stand. Als ich einen möglichen Elfmeter für sein Team nicht gepfiffen habe, rastete er aus, beschimpfte mich als „negro de mierda“ (Verdammter Schwarzer) und drohte, mich umzubringen. Ich bin ein geduldiger Typ und habe ihn einfach erzählen lassen. Selbst seine Teamkameraden waren schon genervt von ihm. Doch er hörte nicht auf, ist über die Bande auf das Feld gesprungen und kam mir immer näher. Da war für mich das Limit erreicht. Ich packte die Pfeife in die Tasche und ging auf ihn zu. Hätten die Leute mich nicht zurückgehalten, wäre mir die Sicherung völlig durchgebrannt. Aber das war zum Glück nur ein Einzelfall.

Nimmt man die Vorfälle bei den Spielen von Real Mallorca hinzu, sind es eben nicht nur Einzelfälle. Wie rassistisch ist Mallorca?

Der Anhang von Real Mallorca ist bekannt dafür, ordentlich auszuteilen. Dabei handelt es sich aber oft um normale und keine rassistischen Beleidigungen. Auf der Straße wurde ich hier nie rassistisch beleidigt. Ich empfinde die Mallorquiner als freundliche Leute, die mich mit offenen Armen empfangen haben. Ich werde die Insel im Leben nicht mehr verlassen. Mallorca ist mittlerweile meine Heimat. Hier habe ich länger gelebt als in Nigeria. Mit dem Leben dort würde ich heutzutage wohl gar nicht mehr klarkommen.

Neben dem Rassismus ist die Gewalt gegenüber den Schiedsrichtern ein großes Thema auf Mallorca.

Das Problem weitet sich leider immer mehr aus, und niemand tut etwas dagegen. Die Leute sehen, dass die Attacken auf die Schiedsrichter ohne Konsequenzen bleiben, und machen es den Idioten nach. Zuletzt hat es einen Bekannten von mir erwischt. Der Angreifer ist mit einer Anzeige davongekommen. Schon am nächsten Tag konnte er auf einem anderen Platz weiterpöbeln. Der Verband muss uns besser schützen und uns auch Möglichkeiten geben, uns zu verteidigen. Wenn jemand auf mich einschlägt, ist es doch logisch, dass ich in der Notwehr zurückschlage. Auch hier müssen wir uns wieder an das Protokoll halten. Das sieht vor, dass wir die Polizei rufen und den Schlägen ausweichen. Wenn wir zuschlagen, machen wir uns strafbar.

Ist Ihnen das schon passiert?

Körperlich wurde ich noch nie attackiert. Da suchen sich die Täter oft die etwas schmächtigeren und jüngeren Schiedsrichter. Morddrohungen erhalte ich aber regelmäßig. Auf manche Plätze auf Mallorca reist man als Schiri schon mit mächtig Bammel an. Das sind vor allem die Derbys auf den Dörfern. Cardassar gegen Artà ist heftig, das pfeift niemand gerne. Oder Son Servera gegen Felanitx.

Warum sind Sie trotz allem Schiri?

Ich bin einfach ein großer Fußballfan. Nach einer Verletzung an der Halswirbelsäule kann ich selbst nicht mehr spielen, aber so bleibe ich dem Sport erhalten. Es klingt zwar seltsam, aber als Schiri findet man auch viele Freunde.