Sonnenuntergang: Der Himmel über der Bucht von Palma verwandelt sich in eine Farborgie aus Rottönen, doch Miguel Caba­nellas hat etwas anderes im Blick. „Dort drüben müssen wir hin", brüllt er gegen den Lärm des Außen­borders an, und steuert das Boot in Richtung Süden, wo eine Ansammlung weiterer Schiffchen dümpelt. Man wartet bereits. Fischer am Fanggrund.

Cabanellas ist ebenfalls zum Fischen hinausgefahren - allerdings im Dienste der Wissenschaft. Der am Instituto Mediterráneo de Estudios Avanzados (IMEDEA) in Esporles auf Mallorca tätige Meeresbiologe erforscht die Lebensgewohnheiten von Loligo vulgaris, dem Gemeinen Kalmar. Die zehnarmigen Tintenfische bewohnen das gesamte Mittelmeer und den Atlantik von Westafrika bis Schottland. Jährlich landen sie tonnenweise, vor allem in frittierter Form, auf den Tellern von Touristen und Einheimischen, aber der Forschung werfen sie noch immer eine Menge Fragen auf. Arbeit genug für Miguel Cabanellas und seine Kollegen.

Ziel der heutigen Fahrt sind die eher flachen Küstengewässer einige Meilen südwestlich von Arenal. Das Gebiet ist ein weithin bekannter Fangplatz für Kalmare, an Bord der wartenden Boote sitzen hauptsächlich Angler. Sie haben die Leinen schon ausgeworfen und lassen ihre Köder, Fischimitate aus Plastik, über den Meeresboden hüpfen. Auch Cabanellas hofft, ein paar der pfeilschnellen Weich­tiere erbeuten zu können. Ihnen wird er dann winzige Sender einpflanzen und sie anschließend wieder freilassen. Die derart behandelten Kalmare lassen sich über spezielle Empfänger orten. Jeder der Sender hat seinen eigenen, individuellen Ultraschall-Code, die Empfangsgeräte sind an festen Stellen in der Bucht von Palma verankert. Ein echtes Überwachungsnetz.

Die Forschungsarbeiten haben bereits mehrere interessante Details über das Verhalten von ­Loligo vulgaris zutage gebracht. So hat sich gezeigt, dass die Kopffüßer von Oktober bis Juni in die Küsten­gewässer vordringen und dort sowohl im Hellen wie auch nachts aktiv sind. Tagsüber wird gebalzt, und bei Einbruch der Dunkelheit gehen die Tintenfische auf die Jagd. Kalmare sind Raubtiere, die sich vor allem von kleinen Fischen ernähren. Sie orten ihre Beute mit ihren extrem scharfen Augen, umklammern sie mit den Fangarmen und töten per Nackenbiss. Der scharfkantige Schnabel macht´s möglich.

In der Bucht von Palma wird die Jagdstrategie der calamares offenbar stark von Menschen beeinflusst. Gut eine Stunde nach Sonnenuntergang zieht es viele Kalmare aus Wassertiefen von 20 bis 30 Metern in direkte Ufernähe, berichtet Miguel Cabanellas. Der Hintergrund: Das Kunstlicht der Küstenboulevards scheint bis ins Meer hinein. Die räuberischen Mollusken haben dadurch ­bessere Sicht und leichteres Spiel. Das wissen gleichwohl auch die Angler. Sie fahren mit ihren Booten hinterher und stellen den Tieren mit geschleppten Ködern nahe der Strände nach.

Am Tage widmen sich die Kalmare der Fortpflanzung - eine überaus komplizierte Angelegenheit. Frühere Studien zum Paarungs­verhalten der nah verwandten Art Loligo reynaudii zeigten eine seltsame Taktik auf. Größere, anscheinend dominante Männchen paaren sich mit einem Weibchen, indem sie sich seitlich neben sie legen und sie eng umarmen. Dabei ­wird ein Spermien­paket in den Eileiter des Weibchens eingeschoben. Das Männchen bewacht seine Partnerin anschließend beim ­Eierlegen.

Doch es gibt Konkurrenz. Kleinere, sogenannte Schleicher-­Männchen, versuchen sich während der Paarung an das gebundene Weibchen heranzumachen und ihr ein Spermienpaket auf den Kopf zu kleben. Nicht selten mit Erfolg. Beim Eierlegen können so Samenzellen beider Männchen zur Befruchtung gelangen. So kommen auch die „Schleicher" zu Nachwuchs.

Ein praktisch identisches Betragen konnten Miguel Caba­nellas und Kollegen nun beim ­Gemeinen Kalmar während Tauch­gängen im Rahmen des Forschungsprojektes „Cefaparques" in den Gewässern des mallorquinischen National­parks Cabrera beobachten. Die Tiere laichen dort bevorzugt an Stellen mit sandigem Boden. Das Fortpflanzungsverhalten der Kalmare werde sehr stark durch optische Signale gesteuert, berichtet Cabanellas. „Die Weibchen machen zum Beispiel den hinteren Teil ihres Körpers durchsichtig, um ihre Geschlechtsorgane zu zeigen." Dominante Männchen dagegen werden knallrot, wenn ein kleinerer Nebenbuhler näher kommt. Die Verwendung einer solchen Kommunikation wäre nachts selbstverständlich nicht sinnvoll. Daher der zweigeteilte Aktivitätsrhythmus, der sich auch deutlich bei den mit Sendern versehenen Kalmaren nachweisen lässt. Die Peilungen kommen bei Tag aus einem kleinen Areal, bei Nacht dagegen können die Tintenfische zum Teil von unterschiedlichen, Kilometer weit voneinander entfernten Empfängern geortet werden Kalmare haben einen sehr schnellen Stoffwechsel und einen hohen Nahrungsbedarf, erläutert Miguel Cabanellas. Wie alt ­Loligo vulgaris werden kann, ist indes noch nicht eindeutig geklärt. Die meisten Fachleute gehen von einem Höchstalter von anderthalb Jahren aus - bei Männchen. In dieser kurzen Zeit erreichen die Tiere manchmal eine Länge von bis zu 80 Zentimetern. Die Weibchen dürften nach Expertenmeinung kaum älter als ein Jahr werden und bleiben auch kleiner. Das liegt am enormen Aufwand für die Produktion der zahlreichen Eier, sagt Cabanellas. Aber auch die Kalmar-Männchen seien rasch mit ihren Kräfte am Ende. „Sie leben schnell und sterben jung."

Die geringe Lebensdauer dürfte auch für eine weitere Besonderheit in der Biologie des Gemeinen Kalmars verantwortlich sein.

„Ihre Strategie ist, sich während des gesamten Jahres fortzupflanzen", erklärt Cabanellas. Dadurch käme eine stabilere Populationsstruktur zustande, trotz des Fehlens unterschiedlicher Jahrgänge. In den Küstengewässern Mallorcas laichen die Kalmare gleichwohl nur während der kühleren Monate. Die optimale Wassertemperatur für die Entwicklung der Eier liegt bei 12 bis 17 Grad Celsius, wie Cabanellas berichtet. Im Hochsommer wandern die Tintenfische dementsprechend in tieferes, kühleres Wasser ab und legen dort ihre Eier. Alles eine Frage der Flexibilität.