Der erste Blick täuscht. Denn zunächst erscheint der virtuelle Bioatlas der Balearen - el bio atles - wie eine schnöde, technische Statistik-Webseite. Und die scheinbaren sprachlichen Hürden - eine Mischung aus Fachlatein, Katalanisch und bruchstückhafter Übersetzung ins Englische und Deutsche - werden so manchen Erstbesucher dieser Webapplikation abschrecken. Doch wir garantieren Ihnen: Wer sich für die Flora und Fauna Mallorcas ­interessiert, der entdeckt nach ein paar Klicks hinter diesem so technisch anmutenden Antlitz die lebendige Arten­vielfalt der Insel.

Das Konzept der Seite (http://bioatles.caib.es) ist schnell erklärt. Im Umweltministerium der Balearen sitzt der Biologe Ivan Ramos an einem Rechner und trägt seit zehn Jahren täglich Daten ein, die ihm andere Biologen, Umweltschützer, Wanderer und Naturliebhaber zuschicken. Dabei ist das virtuelle Satellitenbild ­Mallorcas in Quadranten von je einem Kilometer Kantenlänge aufgeteilt. Die Aufgabe von Ramos besteht darin, die Artenvielfalt - also das Vorkommen möglichst vieler Pflanzen- und Tierarten - für jedes der rund 5.000 Planquadrate zu dokumentieren. Wie gesagt helfen ihm dabei sowohl wissenschaftliche Studien von Biologen wie auch Hobbywanderern, die beispielsweise bei einer Exkursion durch die Tramuntana einen Rotmilan sehen und diese Entdeckung an den Datenchef des Bioatlas weiterschicken.

Die Daten sind dann für jeden Online-Besucher der Webseite zugängig. Mit ein paar Klicks entstehen und verschwinden bunte Quadrate, die zuvor in lateinischer Sprache ausgewählte Spezies anzeigen. Mit weiteren Mausklicks kann man die Karte so weit heran­zoomen, dass bekannte Wanderwege oder gar das eigene Haus sichtbar werden. Und mithilfe der Option capas kann man weitere Zusatzinformationen darstellen lassen: Naturschutzgebiete, Seegraswiesen, Ortsbezeichnungen, Straßennetz usw.

Was zunächst wie eine etwas umständliche grafische Spielerei für Computerfreaks aussieht, die sich die Natur lieber am Bildschirm anschauen, hat eine Menge praktischer Anwendungen. „Biologen und andere Wissenschaftler können ihre Daten so miteinander abgleichen und austauschen", ­erklärt Ramos im Gespräch mit der MZ. Für sie sei meist besonders hilfreich, dass man sich unter dem Link „MD" hinter jedem lateinischen Namen sämtliche verwendeten Quellen und wissenschaftliche Publikationen zu der Spezies auflisten lassen kann - wie eine kartographische Fachbibliografie der mallorquinischen Artenvielfalt. Unternehmen können dieselbe Karte als offizielle Quelle nutzen, um Umweltverträglichkeitsstudien für ein bestimmtes Bauvorhaben zu erstellen.

Aber auch Privatnutzer können interessante Informationen aus der dem Bioatlas ziehen: Wer zum Beispiel Palmen in seinem Garten stehen hat, kann sich schnell anzeigen lassen, wie weit der gefährliche Palmrüssler oder der ebenso schädliche Nachtfalter Paysandisia archon (Bild) bereits verbreitet sind (siehe Beispiel­grafik oben). „Wir sind gerade dabei, diese Daten zu aktualisieren. Denn leider ist der Palmrüssler schon weiter verbreitet, als im Moment angezeigt wird", warnt Ramos.

Hobbyköche entdecken womöglich gar einen kulinarischen Nutzwert der Internetanwendung. Denn warum sollte man sich nicht die besten Sammelgründe des ­beliebten mallorquinischen Speise­pilzes esclata-sang (deutsch: Weinroter Kiefern-Reizker, lateinisch: Lactarius sanguifluus) anzeigen lassen? „Na ja, theoretisch geht das. Aber die wirklich guten Stellen sind bekanntlich die bestgehüteten Familiengeheimnisse der Mallorquiner", meint Ramos lachend. „Solche Informationen werden natürlich nicht per Mail verschickt, sondern erst auf dem Sterbebett preisgegeben."

Andere Informationen sind zwar im Bioatlas präzise erfasst, werden aber aus Naturschutzgründen nur sehr ungenau (in Planquadraten von 5 mal 5 Kilometern) angezeigt. Dazu gehören beispielsweise die Nistplätze der Mönchsgeier (Aegypius monachus), Eleonorenfalken (Falco eleonorae) oder Zwergadler (Hieraaetus pennatus) und die genauen Standorte der wenigen noch vorhandenen Seekiefern (Pinus pinaster).

Wer als Naturliebhaber eine interessante Entdeckung macht, kann diese per Mail direkt an Ramos schicken. Dazu klickt der Nutzer am besten auf den kleinen Briefumschlag in der oberen Menü­leiste der Webseite.