Es ist Zeit zum Füttern. Die Tür öffnet sich, und 30 Mauersegler-Küken stimmen im Chor ein helles Zwitschern an. Die Vogelbabys sind in einem lichtdurchfluteten Raum des Centre de Recuperació de Fauna Silvestre (Cofib) in Santa Eugènia untergebracht. Genauer gesagt in drei weiß gestrichenen Holzkästen, die mit Netzen bedeckt sind. Hier hocken die kleinen Mauersegler (Apus apus bot., vencejo span., falcia kat.) eng aneinander gekuschelt.

Die Fütterung

Nachdem Jessica Sola, Biologin des Zentrums, die Netze abgenommen hat, sehen die Besucher die Vogeljungen aus der Nähe. Ängstlich sind die kleinen vencejos nicht. Im Gegenteil, sie schauen die Besucher interessiert mit ihren dunklen Knopfaugen an.

Der hellgraue Flaum auf ihrem Rücken wirkt wie zartes Fell, an den Körperseiten sitzen winzige Federn, die aus Röhrchen wachsen. Sie sehen wie winzige Federkiele aus, man nennt sie Federspulen. Wenn die Flugfedern sich aus den Röhrchen entfalten, fallen sie wieder ab. Das juckt die Tiere und sie picken sich gegenseitig die Reststückchen aus dem Gefieder.

Jessica Sola (29) von Cofib nimmt ein Vögelchen aus der Kiste, in der die Kleinsten beisammen sitzen. Es ist gerade mal acht Zentimeter groß und hat in der Handfläche Platz. Mit den Fingerspitzen drückt sie vorsichtig die Schnabel­spitzen auseinander und schiebt behutsam mit einem einer Pinzette ähnlichen Spezialgerät Würmer in den Schlund des Tiers. „Wir versuchen, so gut es geht die Vogeleltern zu ersetzen", sagt die Biologin.

Mit Abwärtsbewegungen massiert sie den Vogelhals, damit das Futter nach unten „rutscht". Einen Vogel nach dem anderen füttert sie so und setzt die Tiere danach auf eine frische Unterlage aus Küchenpapier. Dann schwanken die Jungen etwas wackelig auf ihre Artgenossen zu und werden von ihnen freundlich am Flaum gezupft. Fünfmal am Tag brauchen die Kleinen Nahrung, nachts wird nicht gefüttert, auch in der Natur nicht. „Bei Dunkelheit fliegen die Eltern die Nester nicht an", sagt Sola.

Die Tiere stören nicht die Anrufe, mit denen erneut abgestürzte Tiere gemeldet werden und auch nicht, dass die Biologin neben dem Füttern das Leben der Mauerseglerkinder in Freiheit erklärt. Immer in der Luft Die Mauersegler-Eltern versorgen ihre Küken mit winzigen Insekten. Zuständig für die Aufzucht sind Männchen und Weibchen, das Futter fangen sie im Flug. „Sie machen es ähnlich wie die Wale, sie lassen sich den ´Plankton´ der Lüfte in die Schnäbel ziehen", sagt die Biologin. Der Körper des Apus apus ist wie gemacht für die Luft, er zählt zu den geschicktesten Fliegern unter den Vögeln. Ihr gesamtes Leben verbringen die Mauersegler in der Luft, still halten tun sie nur beim Brüten.

Nachts segeln sie langsamer, tagsüber können die Tiere Geschwindigkeiten von bis zu 200 Stunden­kilometern erreichen. Im Winter kreisen die vencejos über Zentralafrika, jedes Frühjahr aber kommen die Vogelpaare zum Brüten nach Süd- und Mitteleuropa. Hier halten sich die Paare von Anfang Juni bis Ende August auf und werden ihrer Brut zuliebe in dieser Zeit sesshaft. Der Vogel kann über 20 Jahre alt werden. Er kehrt zum Brüten immer dahin zurück, wo er selbst ausgeschlüpft ist. Bis zu 40-mal in seinem Leben.

Der Sturz aus dem Nest

Doch nicht immer läuft es nach Plan. Wenn die Jungvögel aus dem Nest fallen und hilflos auf der Straße sitzen, brauchen sie menschliche Hilfe. Dieses Glück hatten die Mauersegler-Jungen in der Pflegestation, die jetzt nach der Fütterung allesamt satt und zufrieden auf ihrer frischen Nestunterlage sitzen.

Derartiges Wohlbehagen ist nicht allen Artgenossen vergönnt, die aus dem Nest fallen. Manche Jungen überleben den Sturz nicht oder sind dann ernsthaft verletzt. Die Fallhöhe vom Nest zur Erde ist meist groß. Mauersegler wollen ihre Jungen im rasanten Flug füttern. Deshalb bauen sie ihre Nester so hoch oben, wie es nur irgend geht.

Für die Stürze gebe es verschiedene Gründe, so die Biologin. Häufig werde es den Jungen in der Nisthöhle zu heiß. Sie versuchen, sich mit den Flügeln Luft zuzuwedeln, geraten zu nahe an den Rand der Nesthöhle und verlieren das Gleichgewicht. Die Flugfedern sind noch nicht vollständig ausgebildet. Aber auch wenn sie es wären, könnten die Jungen, einmal gestürzt, nicht wegfliegen. Mauersegler können nicht wie andere Vogelarten vom Boden aus starten.

Die Handaufzucht

Das Gezwitscher der Küken ist verstummt. Einige halten die Augen geschlossen, andere verfolgen das Geschehen rundherum interessiert. Jährlich werden etwa 200 Küken von Cofib betreut, 80 Prozent mit Erfolg. Dahinter steckt viel Arbeit und Engagement, auch freiwilliger Helfer. „Wir geben den Vögeln eine zweite Chance", sagt die Mallorca-Residentin Inga Holtschneider, die mit Cofib kooperiert.

Die Unternehmerin aus Langenfeld hatte bereits Erfahrung mit Mauerseglern und arbeitet seit dem vergangenen Jahr mit Cofib zusammen. Ihre freiberufliche Tätigkeit lässt ihr genügend Zeit, sich um zwei Küken zu kümmern, die ihr Cofib zur Pflege übergab. Zwei weitere fand sie auf der Straße in Palma. Wie die anderen Freiwilligen wurde sie geschult. „Tierliebe allein reicht nicht", sagt Sola. Distanz und Objektivität wäre gefragt, denn die Beziehung zwischen Tier und Pfleger ist zeitlich begrenzt. Die Vögel können nur in Freiheit überleben, ein Winter auf Mallorca wäre ihr sicherer Tod.

Der Jungfernflug

Ende August werden alle Zug­vögel unruhig, ihr Instinkt meldet sich. Auch bei den handaufgezogenen Jungtieren. „Sie werden nervös und putzen sich fieberhaft", sagt die Biologin. Die Tiere bringen zu diesem Zeitpunkt etwa 50 Gramm auf die Waage und machen das gleiche, wie ihre Artgenossen, die von ihren Eltern betreut werden: Sie verweigern die Nahrung und specken ab.

Das bedeutet, dass die Jungen flügge sind, die Mauersegler-Eltern lassen ihren Nachwuchs dann allein im Nest zurück und schließen sich einem Schwarm ihrer Art auf dem Weg in den Süden an. Kurze Zeit später folgen ihnen die Jungen. Sie nehmen mehrmals Anlauf und trauen sich nicht so recht zu fliegen. Doch irgendwann gelingt es, und auch sie ziehen in Richtung Afrika.

Bei Cofib in Santa Eugènia beobachtet man die Flugbewegungen am Himmel Ende August. So weiß man, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Pflegekinder freizulassen. Man packt dann die Vögel in Kartons und hievt sie auf das Dach nebenan, wo keine Sträucher und Bäume den Jungfernflug stören. Dort oben lassen Sola und ihre Helfer die Vögel ganz sanft fallen. Die mittlerweile erwachsenen Segler breiten ihre Flügel aus, fallen kurz in die Tiefe, dann starten sie durch und fliegen davon.

Cofib: Ctra. de Sineu, km 15,400 (Natura Parc), 07142 Santa Eugènia, Tel.: 971-14 4107/ 607-55 40 55. Täglich 8 bis 20 Uhr, nachts Anrufbeantworter, cofib@wanadoo.es

Vogeljunges gefunden - Was tun?

Bevor man ein Vogeljunges berührt und in Obhut nimmt, sollte mit Sicherheit feststehen, dass es sich um einen Mauersegler handelt. Denn Eltern anderer Vogelarten kümmern sich um ihre Nestflüchter und bleiben auch, wenn diese am Boden sitzen mit Lockrufen in Kontakt. Wer unsicher ist, schickt ein Foto (etwa über WhatsApp) an Cofib. Wird von dort bestätigt, dass das Junge ein Mauer­segler ist, setzt man das Vögelchen vorsichtig in einen dick mit Küchenpapier ausgelegten Karton, verschließt ihn mit einem Deckel mit Luftlöchern. und bringt ihn zur von Cofib angegebenen Annahme- oder Pflegestelle.

Mehlschwalben-Volkszählung in Städten und Inseldörfern

Nicht nur die Mauersegler brüten auf Mallorca. Mit etwas ornithologischen Grundkenntnissen lassen sich auch andere Schwalben­arten erkennen. Beispielsweise die Mehlschwalbe (Delichon urbicum bot., avión común span., oreneta cuablanca kat., cabot mall.), die auf der Roten Liste der bedrohten Arten steht. Ihre Bestände werden derzeit in einer Art Volkszählung ermittelt, für die noch Freiwillige gesucht werden.

Zu erkennen ist diese Schwalben­art am weißen Gefieder, ihre Nester baut sie unter Dachvorsprüngen. Aufgerufen zu der Zählung hat die Umweltgruppe Grup Balear d´Ornitologia i Defensa de la Naturalesa (Gob) (www.gobmallorca.com > visita la plana d´ornitilogia > Projecte Cabots). Von dort aus wird man auf die Seite des Institut Català d´Ornitologia (ICO) weitergeleitet (www.orenetes.cat). Das ICO kooperiert seinerseits mit der Schweizerischen Vogelwarte (www.delichon.ch), die seit 2010 ein Artenförderungsprojekt durchführt und das Know-how vom ICO übernommen hat. Die Vogelwarte bietet ausführliche Informationen über das Gemeinschaftsprojekt auf Deutsch an.

Wer ein Nest gefunden hat, trägt es auf der Mallorca-Karte des ICO ein (Englisch, Spanisch oder Katalanisch). Gesammelt werden Informationen wie Adressen, Gebäudehöhe sowie die Besetzung der Nester.

Die Mehlschwalbe ist nur eine der golondrinas, die auf Mallorca brütet. Die mit ihr eng verwandte Rauchschwalbe (Hirundo rustica bot., golondrina común span., oreneta comuna kat.) legt ihre Nester in verlassenen Gebäuden oder Ställen an. Diese Schwalben­art steht auf einer „Vorwarnliste" für gefährdete Arten und wird derzeit noch nicht gezählt.