Wer braucht schon Hirn und Rückgrat? Die Seegurke jedenfalls nicht. Das kuriose Tier der Gattung Holothuroidea gehört zu den Stachelhäutern und ist mit Seesternen und Seeigeln verwandt. Weltweit sind mehr als 1.400 Arten bekannt, rund um Mallorca gibt es vor allem zwei: die Holothuria tubulosa und die Parastichopus regalis. Erstere ist von dunkler Farbe, sieht mit ihrem langen und schmalen Körper tatsächlich aus wie eine Gurke und hält sich mit Vorliebe im Flachwasser auf - beim Schnorcheln sieht man sie mit etwas Glück am Meeresboden herumliegen.

Die Parastichopus, auch Königsseegurke genannt, bleibt für den normalen Strandbesucher hingegen unsichtbar: Sie findet sich in Tiefen von 50 bis 750 Metern. Obwohl die Fischer im westlichen Mittelmeer sie seit Jahrhunderten als Beifang aus dem Schleppnetz holen, gibt es bislang nur wenige Informationen über das Tier.

Biologin Montserrat Ramón vom Meeresforschungsinstitut IEO will das ändern: Für eine Studie untersucht sie die Lebensgewohnheiten der Königsseegurke. „Es ist ein sehr simples Lebewesen, das eigentlich nur aus einem Hautschlauch besteht. In dem befinden sich Keimdrüsen, die Verdauungsorgane, fünf Muskelstränge und ganz viel Wasser", so Ramón.

Die durchschnittlich rund 20 Zentimeter lange Königsseegurke kriecht auf sandigem Meeresboden herum, wo sie ihr Futter findet: Sie ernährt sich von Sedimenten, aus denen sie organische Teilchen - Überreste von toten Fischen oder abgestorbenen Pflanzen - und mikroskopisch kleine Tierchen herausfiltert, die zwischen den Sandkörnern leben. „Mit Hilfe der kleinen Tentakel an der Mund­öffnung stöbert sie im Sand Stellen auf, an denen sich besonders viel organisches Material befindet. Dieses befördert sie dann mit den Tentakeln zur Mund­öffnung und saugt es ein", erklärt Forscherin Ramón - man kann sich das wie eine Art Staubsauger am Meeresboden vorstellen.

Zudem haben die Königsseegurken eine vergleichbare Funktion wie Würmer in der Erde: Sie lockern den Boden auf. „An Stellen, an denen die Seegurken fehlen, verhärtet und verdichtet der Meeresboden", so die Forscherin.

Seine Art der Ernährung macht das Tier für die Aquakultur interessant. Denn unterhalb der Netze, in denen im Mittelmeer Fische oder auch Miesmuscheln gezüchtet werden, sammeln sich große Mengen von organischem Material an, das zum Teil aus Futterresten, zum Teil auch aus den Ausscheidungen der Fische bestehen. Damit sich dieses Material nicht negativ auf das Ökosystem auswirkt, könnten Seegurken gezielt unter diesen Netzen angesiedelt werden und eben als Staubsauger fungieren, der sich an diesen Resten satt isst.

Die Tiere könnten sogar selbst kommerziellen Absatz finden. Denn die Königsseegurke ist die einzige Art, die man essen kann. Während die Exemplare im asiatischen Raum ganz verspeist werden, kommen in Katalonien und auf den Balearen nur die fünf Muskelstränge auf den Teller.

Sie machen gerade mal zehn Prozent des Gesamtgewichts der Seegurke aus - entsprechend teuer wird die Delikatesse auf den Märkten gehandelt, bis zu 130 Euro kostet ein Kilo. Optisch ähneln die Muskelstränge mit ihren Rillen ein wenig der geflochtenen Strohsohle der typischen Stoffschuhe und werden deshalb auf Katalanisch genau so genannt: espardenya.

Während andere Arten auch schwimmen können, ist die Königsseegurke ein Kriechtier. Dafür beherrscht sie - wie ihre anderen Artverwandten - einen raffinierten Trick zur Verteidigung: Wenn sie sich angegriffen fühlt, kann sie einen Teil ihres Verdauungsorgans durch die Mundöffnung ihrem Feind „zum Fraß vorwerfen", das Organ wächst dann wieder nach. Andere Arten werfen klebrige, teils sogar giftige Fäden aus, die den Angreifer verscheuchen. Gegen wen genau die espardenya diese Taktik einsetzt, ist noch nicht bekannt: „Da sie ja keinerlei feste Körperbestandteile hat, finden sich in Fischmägen natürlich auch keine festen Rückstände - wir wissen deshalb nicht, welche Fressfeinde sie hat", erklärt Ramón.

Dafür haben die Forscher eine weitere Kuriosität entdeckt: Seegurken haben oft einen „Mitbewohner". In ihrem Inneren lebt nicht selten der sogenannte Eingeweidefisch. Das kleine, schmale Tier schiebt sich rückwärts, also mit dem Schwanz zuerst, in die Analöffnung der Gurke. Ob sich der Fisch von den Keimdrüsen der Seegurke ernährt, oder die Tiere in einer für beide Seiten positiven Symbiose leben, ist ebenfalls nicht geklärt.

Vermehren können sich See­gurken auf zwei Arten: Zum eine asexuell durch Teilung, zum anderen durch die Abgabe von eschlechtsflüssigkeiten ins Wasser. Dort müssen Spermien und Eier dann zusammenfinden. Eine weitere Besonderheit der Königsseegurke ist ihre Hautstruktur, die sich von einem Moment zum anderen von weich und schleimig zu hart und starr verwandeln kann. Die Zusammensetzung der Haut des hirnlosen Wesens dient als Inspiration für die Entwicklung von Nanomaterialien, die beispielsweise als Elektroden zum Einsatz kommen - und zwar ausgerechnet in der Hirnforschung.