„Im Frühjahr", sagt Aina Cañellas (34), „beginnen Schafe anders zu riechen. Dann denke ich nur noch ans Scheren und kann kaum erwarten, dass es losgeht." Was das bedeutet, kann nur verstehen, wer Ainas Leidenschaft teilt. Wie Guillermo Reus (42), mit dem sie eine landwirtschaftliche Finca in Lloseta betreibt und mallorquinische Schafe züchtet. Hart sei ihr Leben rund ums Jahr, sagt Aina, nur zwischen April und Juni, da sei es noch ein bisschen härter. Drei Monate, in denen Schafscherer wie ihr Mann Guillermo im Akkord arbeiten.

Er gehört zu einem von sechs verbleibenden Scherern der Insel, die Mallorcas rund 230.000 Schafe im Frühjahr von ihrer schweren Wolle befreien, damit sie es im Sommer luftig haben und keine Hautkrankheiten bekommen. Geschoren werden die männlichen Zuchtschafe (die dürfen übrigens leben, bis sie tot umfallen) und die Muttertiere ab dem ersten Lebensjahr. Lämmer brauchen nicht zum Friseur, ein

cordero lebt gerade mal vier Monate, Milchlämmer werden mit ein bis zwei Monaten geschlachtet, um zartes Fleisch zu liefern.

Die Scherzeit beginnt nach Ostern, in den wärmsten Inselregionen Llucmajor und Calvià. Anschließend sind die Schafe in der Ebene Es Pla dran, zuletzt die in den Bergen. Natürlich gibt es auch Schäfer, die ihre Schafe selbst scheren, statt einen Schafscherer zu bestellen. Wie wäre es sonst auch zu schaffen - oder wie viele Tiere schafft ein Scherer pro Tag? Guillermos Rekord liegt bei 407. Das macht 100 Schafe in rund drei Stunden, denn das Scheren ist kein Nine-to-five-Job. Der Arbeitstag beginnt um sieben in der Früh, manchmal auch um fünf Uhr, und dauert bis neun, mit Scheinwerfern bis elf Uhr abends.

Die Arbeit ist ein Knochenjob. Guillermo packt ein Schaf und dreht es sanft auf den Rücken. Mit den Knien hält er die Schultern des Tieres, vier Schafsbeine ragen in die Luft, das Schaf guckt ein wenig verdutzt, wehrt sich aber nicht und bleibt entspannt liegen. In gebückter Haltung beginnt Guillermo mit dem elektrischen Schergerät das Fell am Bauch zu öffnen und rasiert entlang der linken Vorder- und Hinterbeine. Dann sind Brust, Nacken, Schulter und Rücken dran, anschließend dreht er das Schaf auf die andere Seite und bearbeitet es rechterhand. Während er mit einer Hand die Schere führt, zieht er mit der anderen die Hautfalten glatt, ­ruckelt das Schaf in die richtige ­Position und schiebt das gelöste Fell zur Seite.

Nach weniger als drei Minuten ist die Prozedur vorbei, das Fell gleitet neben dem Tier als weißer Teppich auf den Scheunenboden. In Schweiß gebadet ist nur Guillermo, das Schaf scheint kaum etwas mitbekommen zu haben und läuft nackig davon und sucht die Herde. Den Beruf, sagt Guillermo, hat man im Blut oder nicht. Denn lukrativ ist der Job nur, wenn man extrem schnell arbeitet. Eine kleine Herde Schafe bringt 1,80 bis zwei Euro je geschorenes Schaf, bei einer größeren Herde gibt er mit 1,30 bis 1,40 Euro pro Schaf Mengenrabatt. Ungefährlich ist die Arbeit im Akkord nicht. Bei Übermüdung drohen Verletzungen, am Bauch der Schafe liegen die Venen beispielsweise dicht unter der Haut und dürfen auf keinen Fall verletzt werden.

Nach knapp sechs Stunden haben Guillermo und sein Kompagnon Andreu Vidal es geschafft. Die 200 Schafe der Finca Son Forteza in Alaró sind geschoren, jedes Tier hat dabei 1,5 bis 4 Kilogramm Wolle gelassen, je nach Größe. Die Wolle wird zur zentralen Sammelstelle nach Llucmajor gebracht und von dort nach China exportiert. „In Europa gibt es für Schafswolle keinen Markt mehr", sagt Aina. Derzeit liege der Kilopreis mit 0,34 Euro am Boden.

Früher wurde die Wolle gereinigt verkauft, weil das den Kilopreis verzehnfachte. Zum Scheren mussten Decken und Planen ausgelegt werden, um die Wolle vor Schmutz zu schützen. Und es gab eine Extra-Person, die sich um die Felle kümmerte und schlechte Stellen sofort herausschnitt. „Nichts, was sich heute noch lohnen würde", sagt Guillermo.

Der Mallorquiner trat mit sieben Jahren in die Fußstapfen seines Vaters und schert seither Schafe: „Du musst regelrecht ins Scheren verliebt sein, sonst ist die Arbeit zu hart." Seine Frau Aina probierte es vor 15 Jahren das erste Mal aus, es gefiel ihr so gut, dass sie ihre Schertechniken immer weiter verbesserte. Zu scheren ist für sie wie Marathon laufen: „Du strengst dich extrem an, kämpfst und gehst an deine körperlichen Grenzen, um abends völlig erschöpft, aber glücklich auf einen Stuhl zu sinken."

Am liebsten arbeitet sie mit einer manuellen Schere, also nach der alten Methode - ein Marathonlauf mit zusätzlichen Gewichten an den Beinen. Die Griffe der Eisen­schere sind zwar mit Wolle umwickelt, damit sie beim Schneiden nicht in die Hände einschneiden. Trotzdem muss man viel manuelle Kraft aufwenden, um Schnitt für Schnitt Schafsfell von Haut zu trennen. Bei dieser Methode werden die Beine der Schafe kreuzweise festgebunden, damit das Tier 15 bis 20 Minuten, so lange dauert der traditionelle Schnitt, ruhig auf dem Boden liegen bleibt.

Besonders gefällt Aina daran die langsame Art zu arbeiten und der enge Kontakt mit dem Tier. Sie geht in die Hocke, kniet sich über das Schaf, hält mit einer Hand den Kopf zur Seite und beginnt das Fell Schnitt für Schnitt an Bauch, Beinen und Schwanz zu öffnen. Vor 20 Jahren waren manuelle Scheren auf Mallorca noch im Einsatz, heute sieht man sie nur noch auf den firas.

Um die Tradition nicht zu verlieren, liefern sich die Scherer Wettbewerbe um den schönsten Schnitt. „Denn früher", sagt Aina, „als die Welt sich langsamer drehte, beherrschten Schafscherer noch die kunstvolle Rasur." Mit der Schere schnitten sie Muster und Streifen in das Fell und verwandelten den Körper der Tiere so in eine Landkarte mit Höhenlinien. Für Aina gehört diese Art der Rasur bis heute zur Schönsten: „Geschoren wirkt das Schaf nicht einfach nackig, sondern zeigt Profil."