Wer auf Mallorca beim Wandern oder gar am Strand oder im Meer eine Schildkröte entdeckt hat, wird sich über die Begegnung mit dem possierlichen Reptil sicher gefreut haben. Leider ist die Zukunft der Tiere, die scheinbar nichts aus der Ruhe bringt und die schon seit über 220 Millionen Jahren auf der Erde leben, alles andere als gesichert. Schuld daran ist vor allem der Mensch. Um darauf aufmerksam zu machen, wird jährlich am 23. Mai der Welttag der Schildkröten gefeiert. Auch wir nehmen das zum Anlass, uns die hiesigen tortugas einmal genauer anzuschauen.

Zu Wasser

Während Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) und Lederschildkröten (Dermochelys coriacea) vor den Inseln nur in Ausnahmefällen gesichtet werden, ist die Begegnung mit einer Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) schon wahrscheinlicher. Da die Tiere wandern, sei die Schätzung, wie viele es davon noch gibt, sehr schwer, sagt Gloria Fernández, Verantwortliche der Pflegestation für Meerestiere des Palmaaquariums. Etwa 80 Prozent der in den Balearen-Gewässern vorkommenden Karettschildkröten haben sich mithilfe der Meeresströmungen von Mexiko oder Kuba durch den Atlantik bis ins Mittelmeer treiben lassen. Die übrigen 20 Prozent stammen aus dem östlichen Mittelmeerraum. In Griechenland, der Türkei oder auf Zypern gibt es eigene Populationen mit Brutplätzen.

Die Balearen-Gewässer sind für die 40 bis 60 Zentimeter großen, jungen Reptilien eine Art Kinderstube: Sie bleiben so lange hier, bis sie sich groß und stark gefressen haben und geschlechtsreif sind - dies ist ab einer Größe von circa 70 Zentimetern der Fall. Bis es so weit ist, können bis zu zwanzig Jahre vergehen. Die ältesten von ihnen werden hundert Jahre alt.

Da Karettschildkröten brutortstreu sind, kehren die befruchteten Weibchen zur Eierablage dann meist an den Strand zurück, an dem sie selbst geschlüpft sind. Dazu orientieren sie sich an den Magnetfeldern der Erde und nutzen zudem ihre guten Augen sowie ihren hervorragenden Geruchssinn. „Als Folge des Klimawandels suchen die Schildkröten mittlerweile auch Strände mit kühleren klimatischen Bedingungen auf", sagt Fernández. Daher sei es in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass die Weibchen ihre Eier auch an der spanischen Festlandküste - bei Barcelona, Valencia, Murcia oder Alicante - in Sand einbuddelten. Zwei Fälle versuchter Eiablage sind auch auf Ibiza und Formentera dokumentiert.

Damit sich die Tiere gegebenenfalls auch an den Stränden Mallorcas ungestört fühlen, stehen etwa an der Playa de Palma Schilder mit Hinweisen dazu, wie sich Besucher verhalten sollen, wenn sie eine tortuga sehen. „Nähere dich nicht an (Stimmen, Blitzlicht, Lichter €). Halte 30 Meter Abstand. Halte ihren Rückweg ins Meer frei", heißt es darauf unter anderem.

„Natürliche Feinde hat die Art kaum. Der größte Feind sind wir Menschen", sagt Fernández und spielt damit auf den Fischfang, die Verschmutzung des Meeres durch Plastik und den Schiffsverkehr an. Die Schildkröten sind hierzulande im Katalog bedrohter Tiere als schutzbedürftige Art aufgelistet und daher Teil mehrerer Rehabilitationsprogramme, die die Balearen-Regierung in Kooperation mit verschiedenen Partnern, unter anderem dem Palma Aquarium, durchführt. Die Meeresbiologen haben im Jahr 2018 40 Schildkröten behandelt. „Die meisten Tiere haben Plastik gefressen, weil sie es mit Quallen verwechselt haben, oder haben sich darin verheddert, als sie, um Luft zu holen, an die Wasseroberfläche geschwommen sind", sagt Fernández.

Zu Land

An Land leben sowohl griechische Landschildkröten (Testudo hermanni, auf Spanisch tortuga mediterránea) als auch maurische (Testudo ­graeca, span. tortuga mora). „Die griechischen Landschildkröten kamen mit den Römern nach Mallorca, die maurischen, die aus Nordafrika stammen, mit den Phöniziern", sagt ­Patxi ­Blasco der balearischen Artenschutzbehörde Cofib. Sie unterscheiden sich unter ­anderem durch die Farbe des Panzers von­einander: Der der tortuga mediterránea ist eher gelblich, der der tortuga mora eher creme­farben, braun oder dunkelgrau.

Bei beiden Arten sind die Weibchen, da sie in der Brutzeit die Eier in sich tragen, mit 15 bis 20 Zentimeter größer als die zwölf bis 15 Zentimeter großen Männchen. Auch die Landschildkröten graben im Sommer ihre Eier in ein Loch ein, etwa fünf bis sieben Zentimeter tief im trockenen Boden, und decken es mit Erde wieder zu. Mit den ersten Regenfällen im September schlüpfen dann die Jungtiere, die in etwa die Größe von einem Zwei-Euro-Geldstück haben.

Die griechische Art, die mit Ausnahme der Serra de Tramuntana auf der ganzen Insel auch anderswo im Mittelmeerraum lebt, wird zwar geschützt, ist aber im Gegensatz zur maurischen Art nicht vom Aussterben bedroht. „70 Prozent der rund 1.000 Schildkröten, die wir jedes Jahr finden und aufpäppeln, gehören der griechischen Art an", sagt Blasco. „Von den maurischen Schildkröten gibt es auf den ­Balearen deutlich weniger Exemplare. Neben ihrem Herkunftsgebiet in nordafrikanischen Ländern findet man sie auch in Andalusien", so der Mitarbeiter der Pflegestation. Aufgrund mikroklimatischer Bedingungen kamen sie auf Mallorca bis vor Kurzem vor allem in ­Andratx und Calvià vor. „Auch weil es dort im Winter nur sehr selten gefriert", sagt Blasco. Mittlerweile vermischen sich die Lebensräume beider Landschildkrötenarten zunehmend, weil Menschen sie an verschiedenen Orten ausgesetzt haben.

Die Population der griechischen Art sei relativ stabil und gesund. „Die der maurischen versuchen wir zu vergrößern, doch viele der Tiere sterben jung. Das Gebiet um Andratx und Calvià ist sehr touristisch. Neben den Autos sind auch die landwirtschaftlichen Fahrzeuge für sie eine Gefahr. Tiere, die nicht überfahren werden, werden eventuell von Ratten, Hunden und - seltener - Raben gefressen", sagt der 39 Jahre alte Biologe. Auch Wanderer oder ­Residenten, die die Tiere mitnehmen, gefährden die Population. „Da die maurischen Schildkröten nicht an kältere Temperaturen gewöhnt sind, sterben sie dort", sagt Blasco. Wer auf Mallorca Landschildkröten halten möchte, braucht eine Genehmigung des Umweltministeriums. Es ist eine Lebensaufgabe: Landschildkröten können 50 bis 60 Jahre alt werden - in Gefangenschaft je nach Haltung sogar noch mehr.