Irgendwann war das Schreien und Mähen, das Steffi zwei Tage lang immer wieder durch ihr Badezimmerfenster auf Mallorca hörte, so penetrant und dauerhaft, dass sie nicht mehr weghören konnte. Die 35-Jährige wurde stutzig. „Ich dachte erst, es käme von einem großen Schaf", so die Mallorca-Residentin. Erst, als sie mit ihrem Partner Alex am 21. Februar nach dem Rechten schaute, entdeckten die beiden auf dem Feld ihres Nachbarn nahe Artà ein erst kürzlich geborenes Lamm, das sie später Lisa taufen sollten. Es schrie und wollte nicht von der Seite des toten Mutterschafs weichen. „Es war ein herzzerreißendes Bild. Neben Lisas Mutter, die bei der Geburt gestorben sein muss, lag auch noch ihr totes Geschwisterchen. Die Vögel hatten es schon angepickt", erinnert sich Steffi.

Da sich kein anderes Schaf aus der Herde dem allein zurückgebliebenen Lämmchen angenommen hatte, beschlossen die beiden in Absprache mit ihrem Vermieter, dem Besitzer der Felder, Lisa aufzunehmen und mit der ­Flasche großzuziehen. „Es war ihre Rettung - in letzter Sekunde", so Steffi. Der Vermieter habe den beiden noch geholfen, das aufgeregte Lämmchen einzufangen und ihnen die Babyflaschen von seinen Kindern gebracht. „Die erste Nacht hat Lisa auf meinem Schoß im Schaukelstuhl verbracht. Alle zwei bis drei Stunden habe ich ihr ein Fläschchen gegeben", erzählt die Reiseleiterin, die seit dem Jahr 2013 auf Mallorca lebt und derzeit auf den Beginn der neuen Saison wartet.

Ein eigenes Instagram-Profil

Schon am nächsten Tag bekam Lisa nicht nur ihren eigenen kleinen Stall, sondern auch ein Instagram-Profil (lisademallorca). „Alle Freunde, denen wir von Lisa erzählt hatten, haben uns gesagt: ,Schickt mal Bilder.' Mit dem Insta­gram-Profil wollten wir sie auf dem Laufenden halten", erzählt Alex. „Lisa verbreitet Freude, vor allem in Corona-Zeiten. Sie macht viele lustige Sachen den ganzen Tag lang, man kann einfach viel über sie lachen, und alle finden sie superniedlich", fügt Steffi hinzu.

Ihre Karriere in dem sozialen Netzwerk beginnt mit dem einzigen traurigen Bild in ihrem Profil, einem Foto vom Tag ihres Fundes. Betrübt blickt Lisa über ihre am Boden liegende tote Mutter hinweg. „Hola! Soy Lisa :-) Eres mi mamá?" (Hallo! Ich bin Lisa :-) Bist du ­meine Mama?), liest man in der Bildunterschrift. Dann: ein Video von Lisas erstem Frühstück per Flasche von ihren neuen Eltern. Das kleine Lämmchen bekommt gar nicht genug und mäht zwischen dem Nuckeln lautstark und zufrieden.

Auch Lisas Besuche beim Tierarzt, immer mit der Babyflasche im Gepäck, begleiteten ihre neuen Zieheltern mit der Handykamera. „Lisa war am Anfang sehr kränklich. Wir waren alle zwei Tage bei meiner Freundin, die in Cala Ratjada als Tierärztin arbeitet", erzählt Steffi. Sie verschrieb dem Lamm unter anderem ein Antibiotikum für seine Darminfektion sowie Schmerzmittel und half, es mit aufzupäppeln. Wochenlang litt das Lämmchen an Durchfall. „Wir wussten, dass das bei so jungen Lämmern sehr kritisch ist und sie daran sterben können, fühlten uns jedoch gleichzeitig etwas hilflos, etwa bezüglich der Menge des Essens, der ­richtigen Temperatur der Mischung aus Milchpulver und Wasser, aber auch bezüglich der Fellpflege", erzählt Alex.

Kontakte knüpfen

Deswegen nutze er das soziale Netzwerk und die Hashtags auch, um Kontakte zu anderen Zieheltern von Flaschenlämmern zu knüpfen. Alex folgte mehreren Profilen und schrieb auf der Suche nach Tipps auch einige der dahinter stehenden Personen an. „Es ist schließlich das erste Lamm, das wir großziehen", meint Steffi. Ein Paar, das auf seinem Hof in Deutschland gleich mehrere zum Teil gerettete Schafe aufzieht, war den Auswanderern dabei eine besonders große Hilfe (IG: die_rote_16).

Mittlerweile hat sich Lisa längst von ihrer Darminfektion erholt und hopst wieder fröhlich über das weitläufige Grundstück von Alex und Steffi. Besonders wenn sie hört, dass einer der beiden die Treppe herunterkommt und dann die Eingangstür ins Schloss fällt, kommt sie schreiend angerannt. Dann weiß sie: „Mein Fläschchen ist fertig." Ansonsten sei das Lämmchen ziemlich gefräßig, grase den ganzen Tag - auch mal an verbotenen Stellen. „Sie ist ganz schön frech, weiß zum Beispiel genau, dass sie das Blumenbeet nicht abgrasen darf, läuft aber trotzdem hin, sobald man mal nicht hinschaut", erzählt Steffi.

Auch bei den Gartenliegen zeigt Lisa gern mal, wer die Chefin im Haus ist. „Ganz nach dem Motto ,Wer aufsteht, hat seinen Platz verloren', nimmt sie die Liege für sich ein, sobald man kurz weggeht, und entspannt dann eine Weile darauf", erzählt Alex.

Auch dass das kleine Lamm sehr verschmust ist, kommt auf den Fotos und Bildern auf Instagram deutlich herüber. „Wenn wir etwa Kaffee trinken, legt sich Lisa oft wie ein Hund zu uns an die Füße", so der 44-jährige Stuttgarter, der sich gerade eine Auszeit auf Mallorca gönnt und dabei Steffi kennengelernt hat. Und dann ist da noch Steffis Katze Mia, mit der Lisa Fangen spielen will. „Mia findet das nicht ganz so toll, aber die beiden arrangieren sich. Mittlerweile verstehen sie sich gut", so die Auswanderin.

Wer hat ein Schaf abzugeben?

Damit Lisa nicht einsam, sondern artgerecht aufwachsen kann, suchen Alex und Steffi derzeit nach einem weiteren Schaf, das sie bei sich aufnehmen würden. „Ein älteres wäre gut, da könnte Lisa noch etwas lernen", so Steffi. „Wir tun zwar unser Bestes, aber können sie als Menschen natürlich nicht wie eine echte Schafsmutter erziehen", findet Alex.

Lisa de Mallorca

IG: lisademallorca, E-Mail: greengumble@gmx.net

Tipps für Flaschenlamm-Zieheltern

IG: die_rote_16, www.die-rote-16.de