Es ist im Augenblick kaum möglich, diesem lauten, aber dennoch einschläfernden Zirpen auf Mallorca zu entgehen. Myriaden von Zikaden vor allem der am Mittelmeer verbreiteten Unterart Cicada orni überdecken die Insel mit einem beständigen Geräuschteppich. Sie befinden sich in Bäumen und Hecken, auf der Insel schätzen sie Oliven- und Mandelbäume und Plantagen mit Fruchtbäumen.

„Der Sommer ist Paarungszeit, mit dem Lärm wollen die Männchen die Weibchen anlocken, um sich fortzupflanzen", sagt Miguel Ángel Miranda, Insektenexperte an der Balearen-Universität. „Sie erzeugen das penetrante Geräusch mit speziellen Muskeln im Unterleib, die kleine Platten vibrieren lassen können." Mehr als 60 Dezibel - bei 85 ist in Deutschland Gehörschutz im Arbeitsbereich vorgeschrieben, 100 hat eine Kreissäge verursachen die an überdimensionierte Fliegen erinnernden Insekten auf diese Weise.

Das jedoch glücklicherweise nur am Tag. „Auf Mallorca geht es, was das Geräusch anbelangt, verglichen etwa mit den USA geradezu leise zu", sagt Miguel Ángel Miranda. „Dort sorgen die grünlichen Exemplare der Unterart Tibicen linnei für einen noch viel intensiveren Lärm."

Die Zikaden-Männchen bewegen sich dabei kaum, obwohl sie bestens fliegen können. „Das Tier sitzt die meiste Zeit auf einem Ast oder an einem Baumstamm und saugt mit einem dort hineingetriebenen Rüssel zuckerhaltige Säfte heraus", weiß Miguel Ángel Miranda. Wenn es sich an eine andere Stelle bewegen will, läuft es lieber oder springt. Die Tiere einiger Unterarten schaffen aus dem Stand mühelos 70 Zentimeter in die Höhe.

Um die Weibchen anzulocken, haben die Männchen nur einen Sommer Zeit: Zikaden leben maximal ein Jahr. Bevor sie sich auf die Äste schwingen, haben sie allerdings­ in anderer Form schon einiges durchgemacht: Etwa fünf Jahre dauert die Entwicklung von der Larve über die Puppe bis zum reifen­ Insekt im Erdreich, wo sich Zikaden ebenfalls von nahrhaften Säften aus Wurzeln ­ernähren.

Die auf Mallorca, im Nahen Osten und in Nordafrika verbreitete, mit Flügeln 70 Millimeter lange Cicada orni ist nur eine von etwa 45.000 Unterarten. Neben den beiden großen Facetten-Augen verfügt die den Rundkopfzikaden zuzuordnende Insel-Zikade auch über drei kaum auszumachende Miniatur-Augen auf der Kopfoberseite und zwei Fühler. Sie ist im Gegensatz zu den in Nordamerika vorherrschenden Zikaden bräunlich-grau. Zikaden können sich farblich zudem ein wenig an die Umgebung anpassen. „Es ist auch bei näherem Hinsehen kaum möglich, so ein Tier auf einem Ast überhaupt auszumachen", so der Experte.

Auf Mallorca leben auch Zikaden anderer Unterarten. Welche das alles sind, kann selbst Miguel Ángel Miranda nicht sagen. „Viele der Unterarten sind noch nicht einmal wissenschaftlich beschrieben­ worden."

Dass die Insel-Zikaden, wie verschiedentlich berichtet, das zerstörerische Xylella fastidiosa verbreiten, ist laut Miguel Ángel Miranda keineswegs sicher. „Sie stehen zwar unter Verdacht, aber bewiesen wurde bislang nichts." Das sogenannte Feuerbakterium befällt Olivenbäume und andere Wirtspflanzen - in Süditalien mussten deswegen Hunderttausende Bäume gefällt werden. Auf Mallorca breitet es sich seit mindestens 2012 aus; wie es genau bekämpft werden soll, darüber muss jetzt Brüssel entscheiden.

Das fast ohrenbetäubende Zikadengeräusch endet in der Regel am frühen Abend. Dann übernehmen nachtaktive Grillen. Die sind erheblich leiser.