Jürgen Tautz war gerade in der Öko-Finca Es Fangar in Felanitx. Der 69-jährige Biologe und Bienen­experte sucht nach Stand­orten für ein neues Forschungsnetzwerk, das Wissenschaftlern und Laien das Leben der Bienen erklären und näherbringen soll. Das tausend Hektar große Anwesen nennt Tautz ein Bienenparadies, 40 Völker leben hier. Die auf Mallorca erfassten Daten sollen zeigen, wie Bienen im Idealzustand leben.

Warum ist Es Fangar ein Bienenparadies?

Das sehe ich am Erscheinungsbild der Landschaft, der Vielseitigkeit der Natur: Hier werden alle Wünsche der Bienen erfüllt. Es gibt eine hohe Blütenvielfalt mit langer Blütezeit und es gibt genügend Wald, denn Bienen sind ja eigentlich Waldinsekten. Dort finden sie nicht nur Ressourcen zur Nahrungsgewinnung, sondern in hohlen Bäumen auch Organismen, die von den Bienen unbeabsichtigt in die Stöcke transportiert werden und dort eine gute Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die Bienen nicht beimkert werden, das heißt, sie haben ausreichend Honig zur Energiegewinnung. In Es Fangar scheint das über 30 Millionen Jahre eingespielte System zwischen Bestäuberinsekten und Blütenpflanzen zu funktionieren. Auch wir sind ja davon abhängig.

Worum geht es bei Ihrem Projekt?

Honigbienen sind sehr belastbar, und das ist auch ihr Problem. Wir wollen mit vergleichbaren Langzeitstudien weltweit verstehen, welche Umstände noch tragbar sind. Wie weit können wir uns vom Natursystem entfernen? Es Fangar ist der Idealfall, wir wollen wissen, wo die Grenzen am anderen Ende sind. Zuerst wollen wir die ­Bienenvölker hier noch mehr in den Wald locken, hohle Bäume als Lebensraum gibt es genügend. Dann wollen wir mit neuen ­Methoden Daten erfassen - Gewichts­entwicklung der Bienen, Wärme im Stock, Feuchtigkeit et cetera - und so in das Innere des Superorganismus eindringen. Das funktioniert mit ­Infrarotkamera und Sensoren auch an einzelnen Bienen, die mit ­Personalnummer und Geburts­datum versehen werden.

Das klingt nach einer enormen Datenmenge.

Ja. Was da an sekündlichen Interaktionen zwischen, sagen wir, 50.000 Bienen passiert, dazu wissen wir sehr wenig und das übertrifft unser Auffassungsvermögen. Da brauchen wir Technik. Diese Big Data werden analysiert, da tüfteln wir seit zwei Jahren mit IT-lern herum. Wenn das Wissen eines Bienenstocks dann noch auf eine Region, zum Beispiel Mallorca, übertragen wird, dann ist man schnell an einer Grenze. Das Neue an dem Projekt ist, dass alle Stationen nach demselben Standard arbeiten, alles ist vergleichbar.

Mallorca macht den Anfang, wo wollen Sie noch forschen?

Die ersten 100 Stationen sind verteilt, alle, die wir fragen, wollen mitmachen. Im Aufbau sind ­Stationen in allen deutschen Bundesländern, in Österreich, ­Luxemburg, Belgien und Liechtenstein, auch mit Ägypten und Italien führen wir gute Gespräche. Das Mittelmeer interessiert uns besonders. Der Winter ist in Mitteleuropa ja der Flaschenhals für die Völker, da sterben viele. Wir wissen noch nicht warum. So eine lange Brutpause gibt es am Mittelmeer nicht, da können wir viel lernen, denn es sind ja die gleichen Bienen.

Wer soll die erfassten Daten nutzen?

Sie fließen in Wissenschaft und Bildung. Vorbild ist der ehema­lige US-amerikanische Vizepräsident und Umweltaktivist Al Gore: 37.000 Schulen machen dank seines Projektes jeden Tag weltweit eine Wetterkarte. Wir haben derzeit nur Daten aus vier großen, sehr schwierig zu betreuenden Stationen gesammelt. Die wollen wir aufgeben und durch die neuen, viel kleineren ersetzen. Sie funktio­nieren mit Freiwilligen, ­Museen, Schulen, Ministerien, sogar ein Polizeirevier hat sich angeboten: Es reicht ein Bienenstock und die regelmäßige Auswertung der Daten. Besonders interessant sind natürlich Orte mit Extremsituatio­nen für Bienen. Ein Transportunternehmer, wo täglich schwere Lastwagen an- und abfahren, will zum Beispiel mitmachen. Was machen diese Vibrationen mit den Bienen? Dann die deutschen ­Monokulturen, Agrarwüsten, wo Bienen kaum noch etwas finden, und im Gegensatz dazu Biohöfe. Da wird es spannend. Die erfassten Daten laufen dann live an der Uni Würzburg zusammen und werden dort analysiert und aufbereitet. Wir wollen ja keine Zahlenkolonnen servieren, sondern brauchbares Material, das dann auch im Schulunterricht genutzt werden kann - und nicht nur in Biologie, sondern auch etwa in Physik oder Mathe.

Bienen sind große Sympathieträger. Das erleichtert Ihr Vorhaben sicher.

Auf jeden Fall, wir ernten nur positive Reaktionen und wir haben mit der Audi-Umweltstiftung und den Schwartauer Werken gute Sponsoren gefunden. Das wäre bei Regenwurm- oder Libellenprojekten sicherlich schwieriger. Bienen gibt es außer bei den Eskimos überall, und sie sind enorm wichtig. Sie verbinden die Menschen. Dazu kommt die Sorge um das Bienensterben, und das ist ein Glück und ein Unglück gleichermaßen, denn so sind wir gestrickt: Wir können noch so viel wissen, wenn es nicht in unseren Alltag einfließt, kommt kein Umdenken. Was Sie vielleicht verblüffen mag: Es gibt gar kein Bienensterben. Die Zahl der Bienen steigt kontinuierlich an, und zwar deswegen, weil die Bienen diese starke Lobby des Menschen haben. Ohne unsere Hilfe wären sie verloren. Das ist eine unglaublich gute Fügung, denn das, was den Bienen hilft, hilft allen Lebewesen in ihrem Refugium mit und am Ende uns selbst. Wir hängen da mit drin.

Also retten die Imker die Welt?

Indirekt tragen sie dazu bei. Wenn es keine Imker mehr gäbe, wäre das das Ende. Und es gibt immer mehr, darunter auch immer mehr Frauen. Die Imker werden auch immer jünger und sie legen immer weniger Wert auf Honig. Viele halten Bienen nur noch, weil sie wissen, dass Bienen eine wichtige Rolle im Naturhaushalt spielen.

Das heißt, alles wird gut.

Ein Umdenken setzt ein: Es gibt zum Beispiel immer mehr Stadtimker. Die Bienen werden mittlerweile in die Stadtplanung einbezogen: Da werden Blumenwiesen bei neuen Industriegebieten ausgewiesen, bienenfreundliche Wegränder oder Verkehrsinseln angelegt. Da sind die Schulen auch sehr effektiv: Welcher Bürgermeister will Kindern schon eine Bienenwiese verweigern?

Sie verbreiten denselben Optimismus wie die Biene Maja.

Nur positive Kommunikation bringt Veränderung. Außerdem sind auch hier die Bienen unser Vorbild, und diesen Nebeneffekt forcieren wir stark. Bienen sind außerordentlich gute Kommunikatoren und gute Teamworker. Wir haben zum Beispiel ein Projekt mit einer deutschen und einer jordanischen Schule: Da vergleichen die Schüler ihre Bienendaten. „Was hat deine Biene heute morgen gemacht?" Andere haben schon neue Schlafhaltungen bei Bienen entdeckt.

Warum machen Sie das?

Wenn man ein bisschen verrückt ist, kann man die Dinge nur schwer rational erklären. Ich habe schon während meiner aktiven Zeit an der Uni Würzburg meine Forschung zugunsten der Bienenprojekte zurückgestellt. Manche Kollegen haben mich gefragt: „Was bringt dir denn das?" Aber wenn man Kinder und Enkel hat, fragt man sich, welche Welt wir hinterlassen. Keiner kann das allein tun, aber um viele anzusprechen, ist die Biene das perfekte Medium.

Führungen mit Besuch der Bienen­stöcke in Es Fangar: es-fangar.com. Website Prof. ­Tautz: www.hobos.de