Die Wildkaninchen kämpfen ums Überleben. Sowohl auf Mallorca als auch in anderen Teilen von Europa, unter anderem in Südostbayern und in Sachsen, wütet erneut die sogenannte Chinaseuche. Die Weltnaturschutz-union hat nun die Europäischen Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) zum ersten Mal auf die Liste der vom Aussterben gefährdeten Tiere gesetzt. Der Tierschutzverein WWF mahnt von der Regierung im Madrid eine Krisenstrategie an. Die RHD genannte Seuche (rabbit haemorrhagic disease) war bereits 2013 auf den Balearen ausgebrochen und hatte in einer ersten Welle rund die Hälfte der Nager dahingerafft.

Wenngleich auf Mallorca der Bestand zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand noch nicht existenziell bedroht ist, sind Jäger und Tierschützer besorgt. Jaume Tomàs ist der für Jagd zuständige Dezernent beim Inselrat. „Die Lage ist ernst, aber noch nicht kritisch. Es kommt sehr auf die Region an", sagt er der MZ. So sehe es im Norden von Mallorca äußerst bedrohlich aus, während es im Süden örtlich sogar zu viele der Nager gebe. Tomeu Trobat, ein Jäger, der der traditionellen Kaninchenjagd auf der Insel mit dem ibizenkischen Windhund podenco nachgeht, bestätigt: „Im Norden gibt es so gut wie keine Wildkaninchen mehr."

Der dramatische Schwund in der Population führt laut Trobat dazu, dass vor allem Raubvögel, die sich hauptsächlich von Kaninchen ernähren, inzwischen immer öfter auch Hühner auf Fincas reißen, weil sie schlicht nichts mehr zu fressen finden. Genaue Zahlen, wie viele Kaninchen auf Mallorca bereits verendet sind, hat Jaume Tomàs nicht. „In manchen Gegenden sind allerdings rund 95 Prozent der Kaninchen gestorben."

Der Erreger RHD tauchte zum ersten Mal 1984 in China auf - und zwar bei aus Deutschland importierten Angorakaninchen. Durch den Export von Haustieren gelangte der Erreger wieder nach Deutschland und Frankreich zurück und breitete sich von dort weltweit rasend schnell aus. Auch nach Mallorca kam die Krankheit Ende der 80er-Jahre bereits, konnte aber zurückgedrängt werden. 2011 tauchte der Erreger zunächst in den Pyrenäen erneut auf, von wo er sich über die iberische Halbinsel und auf die Balearen ausbreitete.

Die Chinaseuche ist unter Jägern auch als Blitztod bekannt. „Sobald ein Kaninchen sich angesteckt hat, geht es ganz schnell. Innerhalb von ein, maximal zwei Tagen ist es tot", sagt Jaume Tomàs. Manchmal tritt der Tod dann sogar innerhalb von Sekunden ein, beispielsweise, wenn das Kaninchen zu einem Sprung ansetzt. Die Tiere sterben an multiplem Organversagen, das durch schwere innere Blutungen hervorgerufen wird. Die betroffenen Kaninchen bluten häufig aus der Nase. Und die Krankheit ist extrem ansteckend. Es reicht ein Kontakt eines gesunden Tieres mit einem infizierten Kaninchen, aber auch mit Exkrementen oder Urin. Die Sterblichkeitsrate bei angesteckten Nagern ist mit 80 bis 100 Prozent sehr hoch. Abhilfe gibt es derzeit keine.

Noch anderweitig geschwächt

Nun ist die Chinaseuche aber nicht das einzige Übel für die Kaninchen auf der Insel. Zusätzlich grassiert noch immer die Myxomatose, eine durch das Leporipoxvirus myxomatosis ausgelöste Virenerkrankung. Es gehört zu den Pockenviren. Kaninchen, die durch die Chinaseuche geschwächt sind, erkranken häufig zusätzlich an der Myxomatose, für die es eine Behandlung mit Antibiotika gibt. Das Virus betrifft inzwischen auch Hasen, während die Chinaseuche bisher nur bei Kaninchen festgestellt wurde.

Neben den beiden Seuchen setzen auch wild lebende Katzen den Kaninchen schwer zu. „Man schätzt, dass eine Katze mit Jungen jeden Tag ein Kaninchen erlegt", sagt Jaume Tomàs. Durch Krankheiten geschwächte Nager seien eine leichte Beute.

Finca-Besitzer gesucht

Um die Kaninchenpopulationen zu stärken, versucht der Inselrat mit dem bereits vor vier Jahren gestarteten „Programa conill", die Tiere hier und da wieder anzusiedeln. Dazu hat die Jagdabteilung des Inselrats auf der Finca Capocorb bei Llucmajor mehrere für Kaninchen als Habitat geeignete Hügel aus Steinen und Erde errichtet und in jedem Hügel ein männliches und drei bis vier weibliche Exemplare angesiedelt. Aus diesem Programm gehen jährlich rund 200 Kaninchen hervor, die dann auf elf andere Fincas, die ebenfalls an dem Programm teilnehmen, verteilt werden. „Wir suchen noch weitere Interessenten, die ihre Fincas für das Projekt zur Verfügung stellen", sagt Tomàs. Einzige Bedingungen für die Teilnahme sei eine ausreichend große Finca, die Nahrung und Wasser für die Tiere bietet sowie das Einverständnis, zwei Jahre lang auf jegliche Jagd auf die Nager zu verzichten.

Ob auf diese Weise eine Erholung der Bestände gelingt, ist allerdings fraglich. „Aber mehr können wir zurzeit nicht tun", sagt Tomàs. Es gibt zwar eine Impfung gegen RHD, doch diese wird üblicherweise bei Hauskaninchen eingesetzt. Wilde Tiere zu impfen, ist äußerst aufwendig und kostspielig.