Luis Alberto Domínguez’ Arbeitsalltag spielt sich vor allem auf Mallorcas Straßen ab – er ist hauptberuflich Handelsvertreter, fährt von Kunde zu Kunde. So weit, so normal. Doch Domínguez ist anders als die meisten. Er hält an, wo die Mehrheit weiterfährt, schaut hin, wo manch einer den Blick abwendet. Domínguez fotografiert überfahrene Tiere. Um der Fotografie willen. Aber vor allem, um ein Bewusstsein für den täglichen Tod auf den Straßen zu schaffen. Er ist überzeugt: Ein Großteil der Tiere hätte nicht sterben müssen.

Auch als die MZ den gebürtigen Festlandspanier am Telefon erwischt, sitzt der passionierte Hobbyfotograf im Auto. Seine Kamera hat er immer dabei. Für den Fall. Seit 2007 hat Domínguez knapp 800 überfahrene Vögel, aber auch Säugetiere wie Ginsterkatzen und Marder abgelichtet. Meist sind es nur schnelle Schnappschüsse, nüchtern, allein der Dokumentation wegen. Wenn Domínguez einen Kadaver findet, ist er in erster Linie Tierfreund, nicht Künstler.

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Tote Natur Luis Alberto Domínguez

Auf einer digitalen Landkarte trägt er Fundort und Art ein. Rote Punkte markieren die Stellen. Mallorca ist übersäht davon. Die Daten samt Foto sendet er weiter an die balearische Tierschutzbehörde Cofib. Wenn das überfahrene Tier sehr schlimm zugerichtet ist, räumt er es an den Straßenrand – um anderen Passanten das grausame Bild zu ersparen und zu verhindern, dass Aasfresser auf der Fahrbahn weitere Unfälle provozieren. Kadaver, die nicht gänzlich entstellt sind – und natürlich auch die Tiere, die noch am Leben sind – bringt er selbst zum Cofib, zur Untersuchung oder Pflege. Seit Jahren hat er dafür eine Sondergenehmigung. „Etwa ein Dutzend konnte gerettet werden.“ Nicht sehr viele.

In einigen wenigen Fällen kann der Wahlmallorquiner vom Festland aber auch sein künstlerisches Talent ausüben: Wenn die getöteten Opfer äußerlich unversehrt sind. Dann kommen neben der Kamera auch künstliches Licht und ein Stativ zum Einsatz. Seit zwei Jahren macht Domínguez diese ästhetischen Aufnahmen für sein Projekt „Requiem“, etwa 30 hat er bereits zusammen. Manchmal befestigt er ein Schild mit der Tierart am Fuß, angelehnt an Namensschilder von Toten in Leichenhallen. Manchmal fängt er die Lichter vorbeirauschender Autos mit ein.

Makaber? Nein. „Ich will nichts Blutiges oder Wildes“, sagt er. Statt zu schockieren, sollen die Fotos den Betrachter zum Nachdenken anregen. Über die eigene Fahrweise und über die der Mitmenschen. Wenn es nach Domínguez geht, sollte das Tempolimit deutlich gesenkt werden. Dafür kämpft er – auch mit seinen „Réquiem“-Fotos. „Ich finde, jeder Fotograf sollte Bilder machen, die zu etwas nützlich sind“, sagt er. Das sei gerade im Bereich der Tierfotografie oft nicht der Fall, weiß Domínguez: Er ist zweiter Vorsitzender der spanischen Vereinigung der Naturfotografen (AEFONA), kennt sich in der Szene aus. „Manche Kollegen mögen mich als komischen Kauz abstempeln, aber viele schätzen meine Arbeit.“

Luis Alberto Domínguez kommt aus León, lebt aber seit vielen Jahren auf Mallorca. Er ist stellvertretender Vorsitzender der spanischen Vereinigung der Naturfotografen (AEFONA). FOTO: Guillem Bosch Sophie Mono

Schade nur, dass seine „Réquiem“-Fotos bisher kaum gesehen werden. „Eine Ausstellung zu organisieren, ist momentan zu teuer für mich“, sagt Domínguez. Denn Geld bringen ihm die Fotos nicht ein. Ein Versuch, den Inselrat als Kooperationspartner für eine Präsentation zu gewinnen, scheiterte. „Die Verantwortlichen schrecken davor zurück, da sie Angst haben, dass es viele Nachahmer geben könnte, und ich kann sie verstehen.“

Tatsächlich sei die Fotografie der tierischen Straßenopfer nicht ungefährlich, vor allem nachts. Selbst Domínguez, der stets mit größter Vorsicht und unter Sicherheitsvorkehrungen arbeitet, hat bereits brenzlige Situationen erlebt und den ein oder anderen Strafzettel kassiert, wie er sagt. Damit seine Fotos überhaupt gesehen werden, veröffentlicht er sie teilweise online oder überlässt sie Tierschutzkampagnen, die ähnliche Ziele verfolgen wie er.

Immerhin: Bei einem anderen Thema hat der Inselrat Interesse bekundet. Gemeinsam mit Informatikern der Balearen-Universität entwickelt Domínguez eine App für die Mitarbeiter der öffentlichen Straßenwacht. „In der Regel entsorgen sie die Kadaver einfach. Mit der Applikation soll es möglich sein, die Fälle einfach zu dokumentieren.“ Solche Statistiken könnten helfen, ist sich Domínguez sicher. Denn nur, wo eine Datengrundlage vorhanden sei, könne auch gezielt präventiv eingegriffen werden. „Jeder, der ein totes Tier auf der Straße sieht, sollte bei der 112 den Standort durchgeben, damit das Cofib informiert wird.“

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Noch lassen die Datenbanken zu wünschen übrig. Zahlen darüber, wie viele Tiere jährlich auf Mallorcas Straßen sterben, gibt es nicht. Fest steht nur: Katzen, aber auch andere Säugetiere wie Hasen und Mäuse machen die Mehrheit der Opfer aus. Sie lässt Domínguez in seinem „Requiem“ aus. „Dafür fehlt mir einfach die Zeit. Allein heute morgen, auf meiner Strecke zwischen Palma und Portopetro, habe ich zwei überfahrene Ratten, zwei Kaninchen und drei Katzen gesehen.“

Auch er selbst spricht sich nicht frei von Schuld. „Fast jeder Autofahrer hat ein Tier auf dem Gewissen. Aber jeder sollte alles dafür tun, dass es nicht wieder vorkommt.“