Jung, politisch engagiert und mit ihrer Heimat Mallorca verwurzelt – auf viele der Aktivisten, die 1973 die kleine Insel Sa Dragonera südwestlich von Mallorca besetzt hielten, traf diese Beschreibung zu. Sie wollten unterbinden, dass das kleine Eiland für Schießübungen des spanischen Militärs genutzt wird – und hatten schließlich Erfolg. Mittlerweile steht Dragonera unter Naturschutz.

Es war der Beginn einer Umweltbewegung auf Mallorca, die spanienweit ihresgleichen sucht. Im selben Jahr entstand der Grup Balear d’Ornitologia I Defensa de la Naturalesa (GOB) – bis heute Mallorcas größte Umweltschutzorganisation und unermüdlich, wenn es um ökologische Fragen geht. „Diesen Anfängen ist es zu verdanken, dass Umweltschutz auf Mallorca einen deutlich höheren Stellenwert hat als auf dem Festland“, sagt Gabriel Mayol Arbona. „Die Bewegung prägt die mallorquinische Identität und erfüllt viele mit Stolz.“

Schon in den 1970er-Jahren begannen die Demonstrationen zum Erhalt der Natur um den Strand Es Trenc DM-Archiv

Gabriel Mayol Arbona ist der Erste, der die Geschichte der Umweltschutzbewegungen auf Mallorca systematisch aufgearbeitet hat. Aus eigenem Interesse und Sympathie zu den Werten der Aktivisten, erklärt der 35-Jährige. Vor allem aber, weil der junge Doktor in Geschichte die Forschungslücke erkannt hatte, als er 2013 mit seinen Recherchen begann: Bisher hatte fast ausschließlich die mallorquinische Presse über die Erfolge und Misserfolge der Umweltschützer berichtet. „Diese Berichterstattung hat übrigens entscheidend dazu beigetragen, dass die Bewegung so bedeutend wurde“, so Mayol. Bücher dazu gab es bisher nicht. In seinem jetzt erschienenen Band „En defensa de la terra. Mobilitzacions ecologistes a Mallorca (1983–2007)“ (Lleonard Muntaner Editor, 22 Euro) beschreibt der Historiker Entstehung und Entwicklung der Umweltschutzbewegung auf der Insel.

„Es mag den Lesern komisch vorkommen, dass ich den Beginn des Forschungszeitraums auf 1983 gelegt habe, also Jahre nach der Dragonera-Besetzung“, so Mayol. Die Erklärung dafür sei aber einfach: 1983 war das Jahr, in dem die ersten autonomen Verwaltungsapparate der Balearen – die Landesregierung und die Inselräte – gegründet wurden. Erstmals zog nach der Franco-Ära Demokratie ein. Die neuen politischen Verhältnisse schafften nicht nur konkrete Verantwortungsträger vor Ort für das Geschehen auf der Insel; die frisch geborene Demokratie brachte gerade unter jungen Menschen einen Drang nach Mitbestimmung mit sich, der die Umweltbewegung stärker machte.

Auch in Palma gingen Hunderte für den Erhalt des Naturstrands Es Trenc auf die Straße. | Sophie Mono

„Schon Anfang der 80er-Jahre hatte sich der GOB einen gewissen Respekt unter der Bevölkerung verschafft“, so Mayol. Nicht nur wegen Dragonera, sondern auch wegen Es Trenc: Nach sieben Jahren unermüdlicher Proteste schafften es die Umweltschützer mithilfe der 1976 gegründeten Öko- und Regionalpartei PSM sowie lokalen Gruppierungen, den Bau einer Siedlung am Naturstrand zu verhindern. Der schwedische Investor hatte das Nachsehen. „Wurde die Bewegung zuvor von einigen noch belächelt oder abgetan, so merkten nun viele, dass es sich nicht nur um ein paar wirre junge Leute handelte, sondern um Menschen, die breit gefächerte Anliegen vertreten“, erklärt Mayol.

Drei Etappen

Vier Jahre lang wälzte er Zeitungsartikel und durchsuchte lokale Archive, um seine Doktorarbeit und schließlich das Buch zu schreiben. Seine Beobachtung: Die Geschichte der Umweltbewegung auf Mallorca lässt sich in drei Etappen einteilen. „In der ersten, von 1983 bis 1992, beschäftigten sich die Aktivisten vor allem damit, symbolische Orte vor der Bebauung retten zu wollen“, so Mayol. Die Liste ist lang: Auf Dragonera und Es Trenc folgten die Inselgruppe Cabrera, die Landzunge Punta de n’Amer (Sant Llorenç), der Küstenabschnitt Sa Canova (Artà), die Traumbucht Cala Mondragó und das Gebiet um s’Estalella (Llucmajor). „Stets wurden die Debatten sehr von Emotionen geprägt. Im Vordergrund stand immer das Gefühl der Bedrohung durch Massentourismus und Bauunternehmen. Die Aktivisten fühlten sich attackiert und befürchteten, dass ihnen die Insel mehr und mehr genommen wird“, so Mayol.

Von den 70ern bis heute: fünf Jahrzehnte im Überblick

  • 1973: Besetzung der Insel Sa Dragonera durch lose anarchistische Gruppierungen und mit Unterstützung von Greenpeace. Gründung des GOB und Professionalisierung.
  • 1977–1984: Erfolgreicher Kampf gegen den „Skandia Plan“, das Bauprojekt eines schwedischen Investors am Es Trenc. Erstmals werden breite Teile der Bevölkerung mobilisiert. Anschließend gelingt die „Rettung“ vieler anderer symbolischer Orte.
  • 1992–1995: Sowohl der Kampf um ein Gesetz zur Etablierung neuer Naturschutzgebiete als auch die Proteste gegen die Müllverbrennungsanlage Son Reus scheitern. Dennoch bleibt die Bewegung am Ball und bringt weiter Umweltthemen auf die politi-sche Agenda.
  • 2003–2007: Großdemonstrationen gegen die Baupolitik des Ministerpräsidenten Jaume Matas (PP). Die Abwahl der Konservativen wird als Erfolg verbucht.
  • 2015 bis heute: Wiedererstarkung der Bewegung parallel zur Zunahme des Massentourismus nach der Wirtschaftskrise. Öffnung für globalökologische Themen, Heterogenisierung

Dabei sei die Emotionalisierung auch ausschlaggebend für den Erfolg der Bewegung gewesen. „Damit eine Bewegung, egal ob sozialpolitisch oder ökologisch, dauerhaft Bestand haben kann, muss eine eigene Identität geschaffen werden, und dafür sind Gefühle unabdingbar. Auf der anderen Seite braucht es eine Professionalisierung der Organisation. Die hat vor allem der GOB hinbekommen.“ Schon Anfang der 1980er hatte die Gruppe auch Anwälte, Architekten und Bauplaner ins Boot geholt. „So konnten und können sie bis heute auf einer ganz anderen Ebene verhandeln, als ausschließlich auf der Straße zu demonstrieren. Deshalb dienen sie auch immer noch als eine Art Dachorganisation, an die sich viele lokale Gruppierungen wenden.“

Die zweite Etappe (1992 bis 1998) kennzeichnete sich vor allem durch das Aufbegehren vieler Menschen gegen geplante Neubausiedlungen (urbanizaciones), die überall auf der Insel aus dem Boden sprießen sollten, sowie gegen die damals geplante Müllverbrennungsanlage von Son Reus. „Sie ist neben dem Bau des Landeskrankenhauses Son Espases als die größte Niederlage der Umweltbewegung zu bezeichnen. Trotz jahrelanger Proteste konnte sie nicht verhindert werden“, bewertet Mayol.

Kundgebung für den Erhalt der Cala Mondragó 1990. Sophie Mono

Die dritte Etappe (2003 bis 2007) habe dann wahre Massen bewegt. Hier wandte sich die Umweltbewegung vor allem gegen die Politik von Premier Jaume Matas und Inselratspräsidentin Maria Antònia Munar, die eine ganze Reihe von Bauprojekten auf den Weg brachten: Schnellstraßen, Autobahnen, den zweiten Ring um Palma, die Erweiterung des Flughafens, der Bau von Sporthäfen. „Bereits 2004, ein Jahr, nachdem Matas sein Amt als balearischer Ministerpräsident angetreten hatte, gab es eine große Demonstration. Aber die Machthaber ließen sich nicht beirren“, sagt Mayol. Und so mündeten die Proteste schließlich am 18. Mai 2007 in einer Großdemonstration, bei der die verschiedensten Gruppierungen von der ganzen Insel gemeinsam gegen die Vorhaben der Regierung auf die Straße gingen. „Das zeigte ganz deutlich, dass die Bewegung in der Mitte der Gesellschaft angekommen war, auch wenn sie auf Mallorca stark von links geprägt ist.“

An der Kundgebung nahmen zwischen 50.000 und 80.ooo Menschen teil. Mayol: „Das ist für Mallorca einmalig.“ Das Aufbegehren hatte Erfolg: Wenige Tage später verfehlte die PP bei den Regionalwahlen die absolute Mehrheit, Matas verlor sein Amt. Ähnlich wie bereits 1999 musste die konservative Regierung einem Linkspakt weichen. „Die Umweltbewegung war sicher nicht der einzige Grund für den Machtwechsel, hat aber in jedem Fall dazu beigetragen und über all die Jahre immer wieder die politische Agenda bestimmt“, so Mayol.

Priorität Landschaftsschutz

Gerade aus deutscher Sicht auffällig: So sehr viele Mallorquiner für den Erhalt ihrer Erde kämpfen – was das Konsumverhalten, die Mülltrennung und klimafreundliche Lebensweisen angeht, ist in der mallorquinischen Gesellschaft noch viel Luft nach oben. „Das stimmt. Die Prioritäten lagen und liegen eindeutig im Landschaftsschutz“, bestätigt Mayol. Deshalb seien es auch großteils Mallorquiner, die juristisch und medienwirksam gegen die Bebauung der Insel vorgehen und die Umweltbewegung über die Jahre vorangetrieben haben; meist fordern die Aktivisten neben der Bewahrung der Landschaft auch die Bewahrung ihrer Sprache und Kultur. So zum Beispiel die 2013 aus der Bewegung hervorgegangene Partei Més, die unter anderem Sympathisanten der früheren Parteien PSM und Els Verds vereint und für viele Umweltschützer als politisches Sprachrohr gilt. Anders im Bereich des Tierschutzes, der in Mayols Buch nur partiell behandelt wird. „Unter den Tierschützern sind auffällig viele Ausländer, gerade Deutsche oder Nordeuropäer.“

Im Nachwort seines Buches skizziert Mayol, wie die Bewegung nach der Massendemo 2007 an Schwung verlor. Sei es, weil man sich durch die neue Linksregierung eine Besserung der Verhältnisse versprach, sei es durch die Wirtschaftskrise, die einige Bauprojekte obsolet machte und sozialpolitische Probleme in den Vordergrund rückte. Erst der wirtschaftliche Aufschwung und die Touristen-Rekorde 2018 und 2019 belebten die Organisationen wieder. „Allerdings hat hier ein Umdenken in der Bewegung stattgefunden. Der Blick wurde internationaler, zumal die Auswirkungen des Massentourismus auch in anderen Orten wie Venedig oder Barcelona zu beobachten sind.“ Erstmals gab es lockere Kooperationen mit Bewegungen von außerhalb. Dass Greenpeace bereits in den 70er-Jahren beim Schutz von Dragonera unterstützte, war bis dato die Ausnahme. Meist kochten die Mallorquiner ihr eigenes Süppchen. „Was nicht heißt, dass es gar keinen Kontakt zu internationalen Organisationen gab. Es ist bezeichnend, dass der langjährige Vorsitzende von Greenpeace Spanien, Xavier Pastor, Mallorquiner ist.“

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Und der Klimawandel?

Zudem haben sich neue Gruppierungen wie Terraferrida gegründet, die sich – obwohl der Umweltbewegung zuzuordnen – auch mit Themen wie der Wohnungsnot durch touristische Vermietung und der Überbevölkerung der Insel beschäftigen. Umweltschutz ist mehr, als neue Bauvorhaben zu verhindern und Naturschutzgebiete zu fordern – das ist vielen Aktivisten in den vergangenen Jahren bewusst geworden. Schließlich richtet sich der Blick nun auch verstärkt auf globale Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel. „Ausschlaggebend dafür sind internationale Bewegungen wie Fridays for Future. Sie werden auch zukünftig den Umweltschutz auf Mallorca prägen“, sagt Mayol.