„Du bist doch verrückt.“ Cristian Ruiz ist es gewohnt, diesen Satz zu hören. Der Biologe kämpft seit sechs Jahren dafür, dass das Naturschutzgebiet Parc de Llevant erweitert wird – um das Zehnfache seiner bisherigen Größe. Vom Urlaubsort Can Picafort bis zur beliebten Badebucht Cala Agulla bei Cala Ratjada soll die geschützte Zone reichen, eine Fläche von gut 17.000 Hektar umfassen. Ein engagiertes Vorhaben, mit dem Ruiz auch den Fortbestand zahlreicher einheimischer Tierarten retten möchte. Hürde für Hürde nimmt Ruiz den Kampf gegen mallorquinische Bürokratie, politische Unwägbarkeiten und besorgte Bürger auf. Zeit für einen Zwischenstand.

Wie ein grünes Band erstreckt sich der Parc de Llevant über große Teile des Gemeindegebiets von Artà. Wanderer kommen hier her, Pflanzenkundler, Naturliebhaber. „Menschen, die die Umwelt respektieren. Leider sind es nicht allzu viele“, sagt Cristian Ruiz. Wer kommt, wird belohnt durch spektakuläre Ausblicke und eine scheinbar unberührte Küstenlandschaft. Seit rund 20 Jahren ist die Gegend im Norden der Llevant-Halbinsel offiziell ein Naturschutzgebiet. „Als ich 2016 die Parkleitung übernahm, war das Erste, was mir in den Kopf kam: Es reicht nicht, ein kleines Gebiet zu schützen, wenn rundherum jegliche Schutzmaßnahmen missachtet werden.

Auf der Suche nach Rückhalt

Und so begann der Biologe Klinken zu putzen. Beim balearischen Umweltministerium, aber auch bei übergeordneten spanischen Institutionen. Vor allem aber suchte er den Kontakt zur Bevölkerung. „Solche Entscheidungen können nicht ohne den Rückhalt der Menschen getroffen werden, die unmittelbar davon betroffen sind“, findet Ruiz. Er kann sie nicht zählen, die Bürgerveranstaltungen, die er einberief. Mit Grundstückbesitzern, mit Landwirten, mit Unternehmern aus der Gegend und Anwohnern. Immer und immer wieder suchte Ruiz zwischen 2016 und 2019 den Kontakt, erklärte den Menschen die Vorteile, ging auf ihre Sorgen ein. „Es geht fast ausschließlich um ohnehin bereits unter Schutz stehende Gegenden – nur, dass die Schutzbestimmungen dort größtenteils missachtet werden, und das muss sich ändern“, so Ruiz.

Vor allem die Landbesitzer hatten anfangs massiv Bedenken. Viele davon konnte Ruiz ausräumen, sagt er. „Aufgrund der bereits bestehenden Schutzbestimmungen dürfen sie mit ihrem Land ohnehin kaum etwas anfangen. Als Teil eines Naturschutzgebiets jedoch eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für finanzielle Unterstützung vom Staat und der EU, zum Beispiel für die Waldbrand- oder Plagenbekämpfung.“

Angst um Urlaubermagnet Cala Agulla

Und dann waren da die Big Player des Tourismusgewerbes. Sie hatten Angst, dass eine Erweiterung des Naturschutzgebiets dem Urlaubermagneten Cala Agulla schaden könne. „Dabei geht es in keinster Weise darum, die Badegäste zu vergraulen. Im Gegenteil. Das teilweise zerstörte Dünensystem könnte durch die Ausrufung zum Naturschutzgebiet regeneriert werden. Damit würde die Badebucht an Attraktivität noch gewinnen.“ Allein das Dünenrestaurant Paraiso de Barbassa müsse durch die Ausrufung zum Naturschutzgebiet geschlossen werden, ebenso wie der aktuelle Parkplatz in den Dünen. Beides habe aber ohnehin seit jeher auf rechtlich sehr dünnem Eis gestanden. „Letztlich geht es auch hier vor allem darum, bereits bestehende Vorgaben konsequent umzusetzen und ihr Einhalten zu kontrollieren“, sagt Ruiz.

Auch eine Umfrage unter den Anwohnern ließ er organisieren. Knapp 70 Prozent sprachen sich demnach für die Erweiterung des Naturschutzgebiets aus, acht Prozent dagegen. „Das war wichtig, um die Politiker zu beschwichtigen. Sie treffen eben nicht gerne unpopuläre Entscheidungen.“

Protest der Landwirte

Und siehe da: Kurz vor den Kommunal- und Regionalwahlen im April 2019, stimmte die damals schon regierende Linksregierung für die Mega-Erweiterung. Ein erster Triumph für Ruiz. Plötzlich hielt keiner mehr den Biologen für verrückt, stattdessen lobte man ihn für sein Engagement. Im Wahlkampf schmückten sich die linken und grünen Parteien mit „ihrem“ Vorhaben.

Und seither? In einem Dreivierteljahr stehen erneut Wahlen an und noch immer ist die Erweiterung nicht mehr als ein Plan auf dem Papier. „2023 wird es so weit sein, dann wird die Erweiterung umgesetzt“, versichert eine Sprecherin des balearischen Umweltministeriums auf MZ-Anfrage. Bis dahin seien noch zahlreiche Abänderungen nötig. Bis Ende Juli lag die Projektbeschreibung öffentlich aus, ein letztes Mal hatte die Bevölkerung die Möglichkeit, Beschwerden oder Änderungsvorschläge einzureichen. 432 Anträge gingen bei der Landesregierung ein. Welcher Art, das müsse man noch auswerten, so die Ministeriumssprecherin.

So oder so scheint von der Zustimmung, um die Cristian Ruiz in der Bevölkerung warb, nicht allzu viel übrig zu sein. Vor allem die Landwirte machen ihrem Ärger über die geplante Erweiterung weiter Luft. Viele der eingegangenen Beschwerden stammen von ihnen. Die Erklärung zum Naturschutzgebiet bedeute einen „Verlust der Rechte der Landwirte“ und sei „unnötig“, schimpfen Vertreter des Verbandes ASAJA. Die mit dem Naturschutzgebiet einhergehenden Vorgaben seien „deutlich strenger“ als das aktuelle Landwirtschaftsgesetz auf den Balearen. Statt ein großflächiges Naturschutzgebiet auszurufen, sei es sinnvoller, bestehende Schutzvorgaben zu überarbeiten und anzupassen. Unterstützung erfahren die Landwirte von der rechtsextremen Partei Vox, die prompt gegen „Enteigung von Privateigentum“ wetterte. Derweil verspricht die Landesregierung, die Änderungsvorschläge „sorgfältig zu prüfen“ und diejenigen, die realisierbar seien, „teilweise oder gänzlich“ in der Endplanung zu berücksichtigen.

Weiter Optimist

Cristian Ruiz ist skeptisch, dass dieses Prozedere bis 2023 durch ist. Überhaupt scheint auch bei ihm die Hochstimmung von einst zu verfliegen. Im Oktober 2021 gab er sein Amt als Leiter des Parc de Llevant auf, er ist nun im Umweltministerium für die Ranger und Parkwächter zuständig. „Die Pläne werden nicht so umgesetzt, wie ich es einst angedacht hatte“, sagt er. Statt einer durchgängigen Schutzzone sollen – so die aktuellen Pläne – nur jene Gebiete ins Naturschutzgebiet eingebettet werden, die bereits Teil des Schutznetzes Natura 2000 sind. „Mir wäre Kontinuität wichtig gewesen“, so Ruiz. Trotzdem bleibt er Optimist. „Eines Tages wird es sogar eine zwanzigfache Erweiterung geben. Mögen mich die Leute ruhig für verrückt erklären.“