Als sich die schwere Eisenkette spannt, wirbelt Sand auf. Der riesige Anker bahnt sich einen Weg durch den Meeresboden, reißt alles mit, was sich darauf befindet, hinterlässt eine Schneise der Zerstörung. „Es ist schrecklich“, sagt Marcial Bardolet Richter und drückt auf Stopp, das Unterwasser-Video auf seinem Smartphone hält an. Wenn der Deutsch-Mallorquiner solche Bilder anschaut, dann weiß er wieder ganz genau, warum er seine Arbeit macht. Seit 2017 leitet er die Abteilung zur Überwachung der Seegraswiesen im balearischen Umweltministerium. Mittlerweile sind im Sommer 18 Aufklärungsboote im Meer rund um die Balearen im Einsatz und versuchen, größere Schäden zu verhindern.

Miguel Juan lässt den Motor an und steuert langsam durch den Hafen von Port d’Andratx. Hier und da nicken ihm ein paar Leute zu – Juan ist bekannt. Seit Anfang Juni ist der Mallorquiner Führer des Kontrollboots der balearischen Landesregierung. Sechs Mal pro Woche legt er in Port d’Andratx ab und bleibt den ganzen Tag auf dem Meer, an seinem freien Tag wird er vertreten. Bis Mitte Oktober ist sein Boot täglich im Einsatz. „Im Spätherbst sind dann kaum noch Leute auf dem Meer unterwegs. Kein Vergleich zu der Masse im Hochsommer“, so Juan und blickt prüfend zum dunklen Himmel, der sich an diesem Freitagvormittag (26.8.) immer weiter zuzieht. „Das könnte Gewitter geben. Heute werden es wohl nicht so viele sein, aber ein paar werden wir schon antreffen.“

Aufklärung und Kontrolle: Die meisten Bootsführer reagieren positiv auf Bardolet und sein Guckrohr. Nele Bendgens

Immer weniger Verstösse

Routiniert fährt Juan das Boot in Richtung offenes Meer, vorbei an Luxusyachten, kleinen llaüts und Segelschiffen. Die Gefährte, die im Hafen vertäut sind, interessieren ihn nicht. Er hat es auf die abgesehen, die im Meer vor Anker gegangen sind. So wie der große Katamaran im minimalistischen Design, der leicht auf dem Wasser schaukelt. „Der ist ganz oft hier. Eigentlich ankern die Inhaber immer korrekt, seit ich sie am allerersten Tag zurechtgewiesen habe“, meint Juan zu seinem Chef Bardolet. Wenn die Presse mitfährt, ist auch Marcial Bardolet mal mit an Bord. Sonst koordiniert der Sachbearbeiter der Landesregierung die Arbeit der 25 Angestellten von seinem Büro in Palma aus.

„Heute bin ich mir nicht so sicher“, sagt Bardolet und blickt prüfend ins Wasser – dorthin, wo der Anker des Katamarans in etwa liegen müsste. Laut der Seegras-App „Posidonia GOIB“, die die Landesregierung entwickelt hat, hat das Schiff den Anker unerlaubt in Seegras statt an einer freien, sandigen Stelle des Meeresbodens ausgeworfen. Doch so ganz genau kann man es nicht sagen, und die dunklen Wolken erschweren die Sicht – das sonst oft helle Wasser erscheint trüb. Vorsichtig hält Bardolet ein trichterförmiges Guckrohr ins Meer, dann schüttelt er den Kopf. „Nichts zu erkennen, da müssen wir später noch mal wiederkommen.“

Der "gute" Kontrolleur

Rund 120.000 solcher Checks haben die Führer der Kontrollboote auf den Balearen im vergangenen Jahr gemacht. „Und in 95 Prozent der Fälle sind die Leute kooperativ und lernbereit. Sie freuen sich sogar, dass wir sie informieren“, sagt Miguel Juan. Tatsächlich haben Bootsführer Glück, wenn sie es mit ihm oder seinen Kollegen zu tun haben. Er ist quasi der „Gute“. Informieren, aufklären, bei Bedarf helfen, den Anker richtig zu setzen – das ist Juans Aufgabe. Freundlich geht er auf alle Bootsführer zu. Strafzettel verteilen, dazu ist er nicht bemächtigt. „Das machen die Mitarbeiter vom Ibanat.“ In den verbleibenden fünf Prozent der Fälle muss Juan die Behörde oder die Guardia Civil zur Hilfe holen. Dann nämlich, wenn sich ein Falsch-Ankerer weigert, sein Verhalten zu korrigieren. Es drohen Strafen von 100 bis 450.000 Euro.

Das mag viel erscheinen. Doch der Schaden, den die Anker in den Seegrasfeldern am Meeresgrund anrichten, sieht nicht nur in Unterwasser-Videos verheerend aus, sondern hat auch langfristige Folgen: „Ein Seegrasfeld braucht etwa 200 bis 300 Jahre, um komplett nachzuwachsen“, erklärt Bardolet. „Zum Vergleich: Ein Kiefernwald regeneriert sich nach einem Brand schon nach etwa 50 Jahren.“ Es klingt stets etwas Stolz mit, wenn er davon spricht, wie sich der Schutz des Neptungrases in den vergangenen Jahren entwickelt hat: Die zahlreichen Aufklärungskampagnen haben dazu geführt, dass viele Menschen jetzt wissen, wie wichtig die posidonia für das Ökosystem ist. Und auch, wie gefährlich falsches Ankern. In den vergangenen Jahren, so Bardolet, sank die Zahl der Falsch-Ankerer von knapp 20 auf fünf Prozent. „Viele private Bootsführer melden sich bei uns, wenn sie Verstöße beobachten.“ Mittlerweile gibt es eine spezielle Posidonia-Hot-line (Tel.: 617-97 51 72), unter der Falsch-Ankerer angezeigt werden können.

Schön anzusehen und in vielerlei Hinsicht wichtig: das Seegras. Xavier Mas Ferrà

Lob für die Seegras-Schützer

In einer kleinen Bucht hinter dem Hafen drosselt Miguel Juan die Geschwindigkeit. Eine Handvoll Ausflugsboote liegt hier im Wasser. „Bei gutem Wetter sind es locker 40 oder 50“, so Juan. Aufmerksam späht er auf die Gefährte. Auch das trichterförmige Guckrohr kommt wieder zum Einsatz. Diesmal sieht man es genau: Die Anker der Mini-Katamarane, die man sogar ohne Bootsführerschein ausleihen darf, liegen ruhig auf sandigem Meeresgrund, ebenso die dazugehörige schwere Eisenkette. „Alles korrekt“, sagt Juan. „Lass sie uns trotzdem ansprechen, und ihnen eine Infobroschüre geben“, schlägt Marcial Bardolet vor und wendet sich auf Englisch an die Familie, die in Badekleidung an Deck entspannt. „Seegras“, ruft eine blonde Frau zurück. „Ich weiß, ich arbeite in einem EU- Umweltausschuss. Ihr macht einen super Job hier auf den Balearen. Danke dafür.“

Federführend in Europa

Tatsächlich sind die Balearen europaweit federführend, was den posidonia-Schutz angeht – was allerdings auch daran liegen mag, dass es vor allem hier gedeiht. Seit 2017 arbeiten Bardolet und seine Kollegen an einer Art Posidonia-Atlas: Anhand von Luftbildaufnahmen und speziellen Messgeräten, die in allen Aufklärungsbooten installiert sind, erstellen sie eine Kartografie der Seegraswiesen, die von Jahr zu Jahr genauer wird. Sowohl französische als auch andere spanische Regionen handeln mittlerweile nach balearischem Vorbild. „Man muss aber auch dazu sagen, dass die Landesregierung das Thema sehr ernst nimmt und uns seit Jahren die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, zum Teil aus den Einnahmen der Touristensteuer“, so Bardolet. „Sonst hätten wir das gar nicht erreicht.“

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Sie sorgt für ein sauberes Meer vor Mallorca: So sieht die Neptungraswiese vor Illetes aus Fundación Marilles

Neben Port d’Andratx sind die posidonia-Aufklärungsboote von Mallorca auch in der Gegend Palma-Calvià, Colònia de Sant Jordi- Es Trenc, Portocolom und in den Buchten von Alcúdia und Pollença im Einsatz. „An der Tramuntana-Küste bisher nicht, jedoch wächst dort weniger Seegras, da die Gewässer dort tiefer sind – die posidonia siedelt sich vor allem in seichten Gewässern bis 35 Meter Tiefe an.“

Niemand an Bord?

Noch ein paar kurze Worte mit den weiteren Ausflüglern in der Bucht, dann steuert Miguel Juan das kleine Aufklärungsboot wieder in Richtung Hafen. Sofort fällt ihm ein riesiger Luxus-Katamaran ins Auge. „Der hat falsch geankert!“, ist er sicher. Ein Blick durchs Guckrohr – stimmt. „Hello“, ruft Marcial Bardolet zu dem freizügigen Deck des Schiffes hinüber. „Hola.“ Nichts rührt sich. „Die sind wohl ausgeflogen, mit dem Beiboot. Dabei muss eigentlich immer jemand auf dem Schiff bleiben“, sagt Bardolet stirnrunzelnd. Mit einem geschickten Sprung klettert er an Bord des großen Gefährts und hinterlässt einen Info-Flyer. „Wir müssen sie im Hafen suchen, das Beiboot werden wir schon erkennen.“

Da taucht plötzlich ein Segelschiff auf. Ein Mann mit freiem Oberkörper drosselt die Geschwindigkeit, beginnt den Anker an der Seilwinde langsam auszufahren. „Nein“, ruft Bardolet. „No.“ Wild winkt er mit den Armen, bis der Segler auf ihn aufmerksam wird. Sofort schlägt Bardolet wieder den freundlichen Ton an. Erklärt geduldig auf Englisch, was es mit den Seegraswiesen auf sich hat, reicht wieder eine Infobroschüre hinüber. „Das sind die besten Fälle“, sagt Juan Miguel. „Solche, in denen wir das Ankern verhindern können.“

Neptungras - „Lunge des Mittelmeers“

Neptungras erzeugt Sauerstoff und gilt als „Lunge des Mittelmeers“. Seinetwegen sind die balearischen Gewässer so kristallklar. Auch für die CO2-Kompensation ist das Seegras wichtig: Ein Hektar posidonia an der Küste von Formentera bindet laut der balearischen Naturbehörde Ibanat mehr Kohlenstoff als ein Hektar AmazonasRegenwald. Zudem ist das tote Seegras, das ans Ufer gespült wird, wichtig, um die Strände und Dünen vor Erosion zu schützen. Auch ist es wichtiges organisches Material für Dünenpflanzen. Unter Wasser bietet das Seegras Lebensraum für Kleinsttiere wie Foraminiferen. Deren Schalen bilden den feinen, hellen Balearen-Sand.