Upcycling auf Mallorca: Was ein Deutscher alles aus Fundstücken macht

Der Upcycling-Künstler Uwe Kuhn fertigt aus Fundstücken wie Seegras, Holz oder Fläschchen originelle Leuchtobjekte, Möbel und Deko-Artikel

Uwe Kuhn schenkt Fundstücken ein neues Leben.

Uwe Kuhn schenkt Fundstücken ein neues Leben. / Pere Joan Oliver Orell

Simone Werner

Simone Werner

Es ist schon mehrfach passiert, dass es Uwe Kuhn plötzlich am Straßenrand blitzen sah, wenn er mit seinem Partner Peter Freisem auf dem Fahrrad unterwegs zum Es-Trenc-Strand war. Dann weiß Freisem, dass er nun Geduld haben muss. Kuhn hat womöglich wieder einen Schatz aufgetan. Er hält an, steigt vom Rad und schaut nach, ob da nur eine Scherbe oder ein leeres Glas-Fläschchen am Straßenrand liegt. Solche sammelt der Upcycling-Künstler, um aus ihnen Leuchtobjekte unter Glasglocken zu basteln.

Dafür weicht er sie zu Hause in Wasser ein, um sie vom verbliebenen, nicht immer identifizierbaren Inhalt zu säubern. Dann kombiniert er mehrere Objekte und beleuchtet sie von unten mit LED-Lampen (siehe Foto), um sie unter der Marke Can Pau zu verkaufen. „Als Kunstobjekt wären die Flaschen allein vielen Kunden wohl zu wenig“, meint der Mallorca-Resident.

Je älter, desto besser

Blitzeblank müssen die Fläschchen aus unterschiedlich farbigem und dickem Glas dafür nicht sein. Ganz im Gegenteil: Spuren, die auf ein gewisses Alter hindeuten, sind sogar gewünscht. Unter anderem anhand von Bläschen, die auf einen Lufteinschluss hinweisen, Rissen im Glas oder Aufschriften kann der Hobby-Künstler die Fläschchen grob datieren. „Ist ihr Deckel aus Bakelit, einem frühen Kunststoff, stammen sie wohl aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.“ Auf Mallorca finde er im Gegensatz zu Deutschland vergleichsweise viele alte Fläschchen. Er vermutet, dass viele zusammen mit Bauschutt in der Natur gelandet sind.

Links: Eines der Leuchtobjekte, das Kuhn aus alten Fläschchen angefertigt hat.

Links: Eines der Leuchtobjekte, das Kuhn aus alten Fläschchen angefertigt hat. / Pere Joan Oliver Orell

Ein Herz für alte Dinge

Die Fläschchen sind nicht die einzigen Fundstücke, an denen sich Kuhn stundenlang erfreuen kann. Auch der Anblick und die Verarbeitung von altem Holz, rostigem Metall, alten Messing- oder Keramik-Haken, Weinfässern, Jugendstil-Lampen oder getrockneten Seegras-Bällen haben auf ihn eine beruhigende Wirkung, wie er sagt. Aus ihnen werden Lampen, Garderoben, Beistelltische oder auch Deko-Filz-Schafe. Auch alte Kronleuchter haben es ihm angetan. Er schraubt sie Stück für Stück auseinander, ergänzt sie gegebenenfalls und baut sie später zu einer restaurierten Version wieder zusammen.

Zeigt man dem Deutschen spontan ein Foto von einer in die Jahre gekommenen Deckenlampe aus dem eigenen Wohnzimmer, hat er sofort eine Vorstellung davon, wie sie ursprünglich ausgesehen haben muss und wie sie betrieben wurde. Im Falle des Objekts der MZ-Redakteurin sind die aktuellen Lampenschirme über den Glühbirnen deutlich zu kurz, wie er sagt. „Sie verdecken die Birnen gar nicht.“ Vermutlich ging eines der Originale aus den 70er- oder 80er-Jahren kaputt, und als billigste Lösung wurden der Einheitlichkeit wegen drei neue eingesetzt. Es ist ein genauso schräger wie wissender Blick auf alte und gebrauchte Dinge.

l Ein alter Wasserzähler, den Kuhn zur Lampe umfunktioniert hat.   l Jedes Armband glänzt mit einem besonderen Detail.  | F.: OLIVER, KUHN

Jedes Armband glänzt mit einem besonderen Detail. / Pere Joan Oliver

Seine Vorliebe für Antiquitäten hat der Teilzeit-Resident, der schon berufsbedingt ein aufmerksamer Zuhörer ist und im MZ-Interview genau über jede seiner Antworten nachdenkt, von seinem Vater geerbt. Schon als Jugendlicher habe dessen Faszination für hochwertige und mit viel Liebe und Aufwand angefertigte Wecker, Uhren und andere Objekte auf ihn abgefärbt. „Er hat etwa eine Wanduhr mit einem Pendel von seiner Urgroßmutter oder Bilderrahmen mit Schnitzereien aus Handarbeit bekommen und an mich weitergegeben.“ Umso mehr sind Kuhn heutige Uhren ein Graus, bei denen bewusst in Kauf genommen werde, dass die Zahnräder bereits nach drei Jahren verschleißen und man sich eine neue zulegen müsse.

Als „Sammler“ will er sich nicht bezeichnen. „Das klingt so nach ‚Messie‘.“ Bei ihm sei alles geputzt, feinsäuberlich sortiert, und die Dinge werden nach ihrer Verarbeitung zu Einzelstücken wieder verkauft. Massenproduktion sei noch nie sein Ding gewesen.

Schräger Blick auf Altes

Ein alter Wasserzähler, den Kuhn zur Lampe umfunktioniert hat. / Kuhn

Leidenschaft Armbändchen

Schon als er nach dem Abitur und seiner Ausbildung zum Galeristen in Nürtingen Kunsttherapie studierte und sich zum Pädagogen ausbilden ließ, bestückte er seine ganze Wohnung nur mit Flohmarktmöbeln. Dazu laugte und ölte er etwa ein altes Küchenbuffet. Später sammelte er Tierfiguren, die er für Familienaufstellungen mit Kindern nutzte. Und dann waren es plötzlich Ketten und Rosenkränze, die Kuhns ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen. Er nahm sie auseinander, sortierte die Teile und machte neue Armbänder aus ihnen.

Die ersten Exemplare fertigte er für Freunde an, jedes mit einem ganz besonderen Detail. So fand sich zwischen den afrikanischen Glasperlen oder solchen aus Messing plötzlich ein Buddha-Abbild oder ein Heiligenbildchen. Auf dem Kunsthandwerkermarkt in Stuttgart begann der Mallorca-Liebhaber dann 2010, seine Armbändchen zu verkaufen.

Auf Mallorca waren seine Kunstobjekte zuletzt bei der Kunstnacht in Santanyí oder auf dem Weihnachtsmarkt im Henry likes Pizza zu erwerben. Bei re.sen gibt es die Armbänder und Halsketten dauerhaft.

Einige von Kuhns Ketten.

Einige von Kuhns Ketten. / Kuhn

Ein Haus voller Details

Kuhn und Freisem hatten 2013 ein Stadthaus aus dem 17. Jahrhundert in Campos gekauft. „Bei unserem ersten Mallorca-Besuch 2011 waren wir sofort schockverliebt“, sagt der Antiquitäten-Liebhaber. Auf der Suche nach einer bezahlbaren Immobilie sei das alte Steinhaus ein Glücksfund gewesen.

Fast zehn Jahre lang legte der 47-Jährige, der weiterhin in Deutschland als Kunsttherapeut und Pädagoge arbeitet, selbst Hand an. Ein Großteil des Hausstandes stammt aus einem Sozialkaufhaus. Mittlerweile gleicht das Mallorca-Zuhause ein bisschen einem Antiquitätenladen. In der Küche steht am Esstisch ein alter Klavierhocker. Im Innenhof hängen alte mallorquinische Vogelkäfige. „Als ich sechs Stück hatte, hat Peter zu mir gesagt, ‚das reicht jetzt‘“, erzählt Kuhn, der besonders den Schattenwurf der Kerzen mag, die man im Inneren der Käfige anzünden kann. Im Außenbereich des Hauses hat er eine mechanische Dusche aus alten Fliesen angebracht. Selbst Freunde entdeckten bei ihren Besuchen immer noch neue Details in dem Haus.

Mütze aus Seegras

Man kann sich gut vorstellen, wie Kuhn auch ihnen enthusiastisch vom Fundort eines jeden Objekts erzählt oder was er sich bei der Aufbereitung gedacht hat, ohne sie zu langweilen. Und auch wenn man sich die mit Seegras dekorierte Mütze, die er im Meer gefunden hat (siehe Foto oben), vielleicht nicht unbedingt aufsetzen möchte: Der Deckenlampe im eigenen Wohnzimmer, die man eigentlich schon längst entsorgen wollte, kann man nach dem Gespräch mit ihm durchaus wieder etwas abgewinnen.

Can Pau, canpau.de, IG: canpaude, Verkauf von Armbändern oder Halsketten auch bei re.sen Mallorca, Plaça Porta Murada, 1, Santanyí