Machen Sie sich einmal den Spaß, und stellen Sie sich an eine beliebige Ampelkreuzung in Palma, am besten eine mit hohem Verkehrsaufkommen. Falls Sie nicht schon länger auf der Insel leben und somit den, nennen wir es entspannten Umgang der Einheimischen mit roten Ampeln bereits kennen, werden Sie aus dem Staunen nicht herauskommen. Nahezu bei jeder Rotphase werden sich ein, zwei, manchmal auch drei Autos noch bei Rot über die Kreuzung mogeln. Die MZ-Fotografin benötigte nur wenige Minuten, um Dutzende von Beispielfotos zu schießen. „Das ist ja unglaublich", kommt sie staunend von ihrem Termin zurück.

Als wir Natalia Alonso, die Vorsitzende der balearischen Fahrprüfer-Vereinigung Asextra auf das Thema ansprechen, ist am Telefon ein Seufzen zu hören. „Ja, es ist furchtbar. Wir kämpfen so sehr gegen diese Unsitte an. Ins gleiche Raster zählt für mich auch das systematische Missachten von Stoppschildern und Zebrastreifen." Aber der Kampf sei aussichtslos. Sie selbst werde rasend, wenn sie wieder einmal als Fußgängerin an der Ampel stehe und trotz Grünlicht nicht loslaufen kann, weil noch Autos bei Rot durchfahren. Aber sie könne ja in diesem Moment wenig ausrichten.

Das Problem, so sieht es zumindest Alonso, ist ein vom spanischen Staat hausgemachtes. Im Zuge der Wirtschaftskrise habe die Zentralregierung in Madrid vor einigen Jahren die Vorgaben für Fahrschüler geändert. „Vorher war es für alle, die sich zur Fahrprüfung angemeldet haben, verpflichtend, zumindest acht praktische Fahrstunden bei einer Fahrschule absolviert zu haben." Zum Vergleich: In Deutschland sind es derzeit zwölf Stunden.

In der Krise wurde diese Vorgabe gekippt, was zur Folge habe, dass sich inzwischen viele junge Menschen zur Prüfung anmeldeten, die keine einzige praktische Fahrstunde hinter sich haben - um Geld zu sparen. „Die haben dann verbotener­maßen mit den Eltern oder dem Bruder mal ein bisschen auf einsamen Straßen geübt, und wenn sie meinten, sie waren so weit, dann haben sie sich zur Prüfung angemeldet." Das könne in der ­Prüfungssituation zufällig gut gehen, aber den jungen Leuten fehle eine ganze Menge Fahrpraxis - und das Bewusstsein, was passieren könne, wenn man rote Ampeln oder Stoppschilder nicht beachtet. „Da kann ich Ihnen Sachen erzählen", sagt Alonso. Nicht nur einmal sei es vorgekommen, dass ein Fahrschüler in der Prüfung ein Stoppschild einfach überfahren habe. Auf den Fehler angesprochen, lautete dann häufig die Antwort: „Aber es ist doch kein Auto gekommen."

Bei der Ortspolizei sieht man die Sache deutlich entspannter. Ein Sprecher erklärt der MZ, dass es sich bei dem Thema Rotlicht um ein eher vernachlässigenswertes Problem handle. „Wir haben so gut wie keine Verstöße in diesem Bereich", lässt sich der Sprecher zitieren. Gut, schränkt er ein. Er rede von roten Ampeln, die bei geringem Verkehrsaufkommen bewusst nach mehreren Sekunden Rotlicht missachtet werden. Herrsche dichter Verkehr, könne es schon mal vorkommen, dass in einem Schwung Autos noch jemand durchfahre, auch kurz, nachdem die Ampel auf Rot gesprungen sei. „Das ist durchaus nicht selten in Palma." Statistisch erfasst werde das Problem aber nicht, meist sogar nicht einmal bei Unfällen. „Vielfach ist es so, dass die Verursacher betrunken sind oder unter Drogeneinfluss stehen und dann noch bei Rotlicht durchfahren", sagt der Polizeisprecher. Da die Ortspolizei aber immer nur eine Unfallursache konstatieren könne, sei es in diesen Fällen immer Fahren unter Rauschmitteleinfluss.

So wie etwa bei einem Unfall im Januar 2017 nahe des s'Escorxador in Palma, als ein Lieferwagenfahrer nachts eine rote Ampel ignorierte und ein Auto erfasste, in dem ein Mann starb und eine Frau schwer verletzt wurde. Der Verursacher war in deutlich angetrunkenem Zustand unterwegs.

Abhilfe gegen das Problem gebe es kaum, so der Sprecher der Polizei. Bislang steht in Palma keine einzige Rotlichtkamera, die Verstöße aufzeichnet. Anzeigen kämen lediglich zufällig zustande. Die Stadt Palma hat dennoch vor, in absehbarer Zeit zumindest damit zu beginnen, an Ampeln auf Verkehrsknotenpunkten Kameras zu installieren, wie eine Sprecherin der Stadt der MZ berichtet. Bereits im vergangenen Jahr habe es derartige Pläne gegeben. „Aber die

Konzessionsvergabe zieht sich schon seit Monaten hin", bedauert die Sprecherin. Sie hoffe sehr, dass es in diesem Jahr noch etwas werde mit der neuen Überwachungsmethode. Wobei unklar ist, ob die Kameras überhaupt für Sanktionen genutzt werden dürfen. „Eigentlich darf nur die Polizei diese Verstöße ahnden", klärt ihr Sprecher auf.

Möglich sei aber, die Aufnahmen der Kamera von Polizisten auswerten zu lassen. Dann könne man Strafen ausstellen.

Natalia Alonso hofft unterdessen auf eine andere Lösung. „Wir sind auf einem guten Weg, die Zentralregierung wieder davon zu überzeugen, dass eine Mindest­anzahl von Fahrstunden bei einer Fahrschule vor der Prüfung wichtig und sinnvoll ist." Bis das nicht erreicht sei, werde ihr Verband nicht lockerlassen. Und bis dahin werde sich das mit den roten Ampeln wohl auch nicht bessern.