Hölzerne Essstäbchen, exotische Pasten, Sushi-Zubehör in jeglichen Variationen – das Angebot des asiatischen Supermarkts Tokio Ya im Norden von Palma de Mallorca ist umfangreich. Orientalische Produkte so weit das Auge reicht. Doch einige Regale sind leer. „Gerade tierische Produkte wie verschiedene Saucen oder Langusten-Spezialitäten aus Vietnam haben Lieferschwierigkeiten“, erklärt Alejandro, ein Angestellter. Einige Produkte kämen mit ein, zwei Monaten Verspätung an, andere gar nicht. Und für alle müsse man deutlich mehr bezahlen als vor der Pandemie. „Letztlich legen wir die gestiegenen Kosten auf den Endpreis um – was bleibt uns anderes übrig“, so der Mitarbeiter.

Was im Tokio Ya passiert ist nur ein Bausteinchen im Mosaik der globalen Weltwirtschaft, deren logistisches System ins Schwanken gerät. „Lieferengpässe“ und „Rohstoffmangel“ – es sind die Stichwörter, die derzeit in ganz Europa und Nordamerika Schlagzeilen machen. Und dabei geht es längst nicht nur um asiatische Trendprodukte wie Sushi-Röllchen. Die Rede ist von Holz, von Elektrogeräten, Kleidung, Lebensmitteln und im Gesundheitsbereich wichtigen Flüssigsauerstoffsystemen.

Teils weil die Güter direkt im asiatischen Raum hergestellt worden sind, teils weil die Verpackung oder der Vertrieb global organisiert ist. „Deshalb sind praktisch alle Branchen und alle Produkte betroffen. Und die Situation wird auch noch anhalten“, prognostiziert Antoni Riera, Wirtschaftskoryphäe an der Balearen-Universität. Einige Produkte dürften in den kommenden Monaten gar nicht oder nur mit mehrmonatigen Verzögerungen zu bekommen sein, andere deutlich teurer werden.

Teure Container

Die Hintergründe des globalen Problems, dessen Auswirkungen die Verbraucher auf Mallorca zu spüren bekommen, sind vielschichtig: Da sind zum einen die völlig überlaufenen Frachthäfen auf der ganzen Welt. Zum Ausbruch der Corona-Pandemie hatten viele Reedereien die Zahl der Güterschiffe reduziert, die unermüdlich Tonnen um Tonnen von Waren über die Weltmeere transportieren – sei es, weil in China in vielen Bereichen die Produktionen eingestellt oder heruntergefahren wurden, oder weil die pandemiebedingten Hygienevorschriften die Arbeitsabläufe veränderten. In diesem Frühjahr kam dann ein Nachfrageboom, Laderaum und Frachter wurden knapp. Die Folge: Die Preise für den Transport stiegen. Teilweise verlangen Reedereien das Fünffache des vorherigen Preises. Als Konsequenz werden Rohstoffe in Europa immer knapper.

„Ein Container von China zum europäischen Umschlaghafen Rotterdam kostete vor der Krise rund 2.000 Euro, jetzt liegt der Preis bei bis zu 15.000 Euro“, so Ezequiel Horrach von der Vereinigung der Transportunternehmen auf den Balearen (FEBT). Und selbst wenn die bestellte Ware ankomme, sei die Überführung zu den Endabnehmern derzeit keinesfalls sichergestellt. „Es fehlt massiv an Lastwagenfahrern, die die Produkte von den Schiffen abholen und weitertransportieren. Das ist in ganz Europa so. Allein auf Mallorca fehlen etwa tausend Fahrer.“ Schuld daran hätten vor allem die schlechten Arbeitsbedingungen. „Es gibt in der Branche viel zu wenig Nachwuchs, weil kaum jemand der jungen Leute die harte Arbeit für die ge- ringe Entlohnung auf sich nehmen will“, so Horrach weiter.

Und auch die steigenden Strom- und Ölpreise verschärfen die Misere. Letztlich träfen mehrere Missstände aufeinander. „Die Konsequenz daraus wird wie eine Bombe einschlagen“, glaubt Horrach. „Vermutlich wird das Anfang kommenden Jahres für den Verbraucher besonders zu spüren sein und sich auch noch bis weit ins kommende Jahr hinziehen.“

Lastwagen im Hafen von Palma Nele Bendgens

Lebensmittel

Dabei sei die Situation auf einer Insel als letztem Glied der Lieferkette noch einmal verschärft. Denn die Balearen sind in hohem Maße auf Lieferungen von außerhalb angewiesen. „Etwa 95 Prozent aller Waren stammen nicht von hier. Würde hypothetisch gar nichts mehr auf dem Seeweg auf die Insel geliefert, so wären wir spätestens nach einer Woche auf Notlieferungen vom Festland per Hubschrauber angewiesen“, erläutert Bartolomé Servera von der Vereinigung der Lebensmittellieferanten auf den Balearen. Dass es so weit kommt, sei natürlich nicht zu befürchten. „Die Supermärkte werden weiterhin gut gefüllt sein. Kunden werden höchstens nicht immer ihre Lieblingsmarke vorfinden. Vor allem aber sind Preissteigerungen von 200 bis 300 Prozent zu erwarten“, so Servera weiter.

Schon jetzt sei ein langsamer, aber stetiger Anstieg bei vielen Produkten bemerkbar. „Das wird noch zu einem großen Problem. Meiner Meinung nach war es ein riesiger Fehler, wirtschaftlich so sehr auf den asiatischen Markt zu setzen, wir hängen komplett von ihm ab“, bewertet der Lebensmittellieferant und nennt ein Beispiel: Selbst Sardinen, die in Spanien gefischt werden, kämen zum Verkauf oft in Büchsen, die in China hergestellt werden. Servera: „Wir werden da noch einen wirtschaftlichen Donnerschlag erleben.“

Autos und Mietwagen

Auch die Automobilbranche und insbesondere der gefragte Mietwagenmarkt auf Mallorca steckt in Schwierigkeiten. „Die zum Teil sehr hohen Preise im Sommer sind oft auch auf die globale Situation zurückzuführen“, so Ezequiel Horrach vom FEBT. Vier Monate Wartezeit seien derzeit bei Automobillieferungen auf die Inseln normal. Selbst Autos, die in Europa gefertigt werden, benötigen Kleinteile aus Asien.

Baugewerbe

Eine Branche, in der sich die Transportkrise ebenfalls bereits deutlich bemerkbar macht, ist das Baugewerbe. „Laut Zahlen des spanischen Transportministeriums sind die Kosten im Bausektor zwischen Januar und Juni dieses Jahres um zwölf Prozent angestiegen. Das ist so viel wie in den gesamten 13 Jahren zuvor“, sagt Sandra Verger von der Vereinigung der Baufirmen auf den Balearen. „Auf Mallorca sind Bauprojekte in etwa um 22 Prozent kostenaufwendiger als Anfang des Jahres.“ Rund 40 Prozent der Unternehmen mussten in diesem Jahr bereits mindestens ein einkalkuliertes Projekt absagen – schlichtweg weil die Preise in die Höhe schossen und den Antragstellern über den Kopf wuchsen. „Holz ist um 125 Prozent teurer als zum Ausbruch der Corona-Pandemie, Stein um 68 Prozent, Kupfer um 63 Prozent, Asphalt um 57 Prozent. All das können wir Baufirmen logischerweise nicht allein abfedern, sondern müssen es auf die Kunden umlegen“, so Verger.

Oft gebe es dabei Probleme: Bei öffentlichen Bauprojekten sei es meist gar nicht möglich, den zuvor gesteckten Kostenrahmen einfach auszuweiten. Auch zeitliche Verzögerungen, weil die Materialien nicht pünktlich geliefert werden, seien in den engen Vorgaben der öffentlichen Aufträge problematisch. „Vor allem über die Ausführung der Projekte, die durch den EU-Fonds Next Generation auf Mallorca anlaufen sollen, machen wir uns Sorgen. Dabei könnten sie unserer Branche eigentlich einen enormen Aufschwung verleihen, denn wir gehen davon aus, dass rund 70 Prozent des Fonds ins Baugewerbe fließen werden.“

Und auch bei privaten Bauvorhaben sei es oft schwer, die Kostenvoranschläge an die gestiegenen Kosten anzupassen. Baufirmen müssten regelrecht dafür kämpfen, dass sich die Kunden an den zusätzlichen Kosten beteiligten, so Verger. „Nicht alle Investoren haben Verständnis dafür, und so platzen manche Projekte gänzlich oder Baustellen liegen brach.“

Kunden in der Bekleidungsabteilung eines Kaufhauses auf Mallorca. Manu Mielniezuk

Mode und Technologie

In der Textilbranche sind die globalen Lieferengpässe noch nicht flächendeckend. „Wir können keine allgemeinen Lieferschwierigkeiten feststellen, auch wenn einige Lieferanten davor warnen, dass es in der Weihnachtszeit Probleme geben könnte“, so Miguel Angel Mateu, der im Unternehmerverband PIMEM auf Mallorca für den Einzelhandel spricht. Man werde die Situation aber weiterhin genau beobachten. Anders die Einschätzung von Pedro Mesquida, Vorsitzender des Verbands von Einzelhändlern an Palmas Verkaufsstraße Jaime II: Im Gespräch mit der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“ berichtet er von zahlreichen Modemarken, deren aktuelle Herbst- und Winterkollektionen erst mit zeitlichen Verzögerungen eingetroffen seien. Statt bereits im August hätten viele Läden erst im September das Sortiment für die kalte Jahreszeit ausstellen können.

Angesichts der erwarteten hohen Nachfrage am Black Friday (26.11.) und in der Vorweihnachtszeit sind auch die Elektrofachgeschäfte alarmiert. Vor allem Elektrochips, die das Herzstück zahlreicher Produkte darstellen und fast durchweg in Asien hergestellt werden, sind derzeit Mangelware. „Da wird es sicherlich Engpässe geben, die nicht zu übersehen sind. Die Verbraucher sollten Weihnachtsgeschenke so früh wie möglich bestellen“, so Ezequiel Horrach vom Transportverband FEBT. „Bei einigen Produkten wie bestimmten Spielkonsolen steht jetzt schon fest, dass sie bis Heiligabend nicht hier sein werden.“

Die Kette Media Markt arbeitet auf Hochtouren daran, solche Szenarien abzufedern. Man habe zahlreiche Bestellungen vorverlegt, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Ware an den konsumstarken Tagen und Wochen auch in den Filialen auf Mallorca zur Verfügung stehe, so Media-Markt-Verkaufsleiter Samuel González. Statt acht Wochen im Voraus fordere man Lieferungen derzeit bis zu 25 Wochen vor dem geplanten Verkauf an. Von allmählichen Preissteigerungen für die Endverbraucher will González nichts wissen. „Das können wir uns im Technologiebereich gar nicht erlauben, die Menschen sind erschwingliche Preise gewöhnt“, betont er. Doch auszuschließen seien kleinere Preiserhöhungen natürlich nicht. Wie auch, wenn die Weltwirtschaft kopfsteht?

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Nur ein kleiner Dämpfer?

Trotz drohender Inflation beurteilt Wirtschaftswissenschaftler Riera die Gesamtlage recht optimistisch. „Das Wachstum auf den Inseln ist in diesem Jahr beträchtlich.“ Die Stiftung Impulsa, der Riera vorsteht, schätzt das Wachstum auf mindestens zehn Prozent. Der Konsum auf den Inseln habe vor allem durch die Urlauber im Sommer deutlich zugenommen, liege aber noch unter Vor-Corona-Niveau. Die Logistikprobleme versetzten dem Aufwärtstrend nur einen kleinen Dämpfer – zumindest bisher.