Die anstehende Mallorca-Saison wird urlauberstark, prophezeit die Tourismusbranche. Auch in Cala Millor geht der Winterschlaf derzeit merklich zu Ende. In die Ladenzeilen kehrt Leben zurück, viele große Hotelketten haben seit Februar ihre Häuser geöffnet. Im März steht laut der örtlichen Hoteliersvereinigung ein Drittel der Hotelbetten zur Verfügung, im Mai sind es dann über 90 Prozent. Auch Antònia Iturbide hat ihr Hotel Villa Miel bereits auf. Nein, viele Buchungen habe sie noch nicht. „Aber was soll’s, für mich ist es kein großer Aufwand, zu öffnen“, sagt sie.

Das Villa Miel ist quasi ein Eine-Frau-Betrieb – und wirkt neben den Bettenburgen nebenan winzig. Doch irgendwie hat sich der Familienbetrieb immer durchgeschlagen. Eigenwillig, unkonventionell, dafür persönlich und charmant – und das seit nun 57 Jahren.

Keine Bettenbug zwischen Hotel und Meer

„Früher gab es nichts zwischen Hotel und Meer, das kann man heute kaum noch glauben“, sagt Antònia Iturbide und deutet auf ein weitflächiges Foto, das fast die gesamte Wand des kleinen Rezeptionsraums einnimmt. Ein breiter Strand ist darauf zu sehen, im Hintergrund das Villa Miel, „und die dort im Vordergrund bin ich“, so Iturbide und zeigt auf ein Kleinkind mit Sonnenhut.

Nur eine Bettenburg ist auf der alten Fotografie zu sehen – kein Vergleich zu der heute dicht besiedelten Küste Cala Millors. „Ich erinnere mich sogar noch an richtige Dünen“, so Iturbide. „Und im Winter habe ich mich als Kind immer etwas gefürchtet, weil es so einsam war“, ergänzt ihr Bruder Walter. Mittlerweile ist um das Villa Miel der Ort gewachsen, längst haben sich große Hotelkomplexe zwischen die dreistöckige 14-Zimmer-Unterkunft und den Strand geschoben. „Meerblick haben wir zum Glück trotzdem von allen Balkons“, so Walter Iturbide.

Kinder gingen mit Urlaubern an den Strand

Eigentlich war er es, der den elterlichen Betrieb immer weiterführen wollte. „Wir haben früher über dem Hotel gewohnt, und ich habe das Ambiente von damals geliebt“, schwärmt er. Wenn die Eltern arbeiten mussten – was im Sommer immer der Fall war –, dann gingen die Kinder gemeinsam mit Gästen an den Strand. „Man kannte sich, weil sie jedes Jahr wiederkamen, auch untereinander entwickelten die Urlauber Freundschaften und trafen sich immer wieder bei uns. Ich habe die Geselligkeit damals sehr genossen.“

Niemanden überraschte es, dass Walter denn auch an der Uni in Palma Touristik studierte und den Eltern – einer Schweizerin und einem Mallorquiner – danach unter die Arme griff. „Sie hießen Miguel und Elisabeth, daher auch der ursprüngliche Hotelname Mi-El. Wir haben es erst nachträglich zu Miel umgewandelt, weil es einfacher zu buchstabieren ist“, erklärt Antònia Iturbide. Anders als ihr Bruder hatte sie in ihrer Jugend keinerlei Ambitionen, in den Tourismus einzusteigen. „Ich habe ja gesehen, wie viel Arbeit das für unsere Eltern bedeutet hat.“ Sie wurde Biologin.

Aus Biologin wurde Hotelmanagerin

Erst als sie 2012, lange nach dem frühen Tod ihrer Eltern, wegen der Wirtschaftskrise ihren Job verlor, kam plötzlich die Idee auf, das Villa Miel weiterzuführen. Mittlerweile war es geschrumpft, der Essensbereich im Erdgeschoss längst nicht mehr Teil des Betriebs. Ihr Bruder Walter hatte die Unterkunft zudem zwischenzeitlich an andere Betreiber vermietet, weil er selbst sein Glück mit einer Drei-Zimmer-Pension in Petra versuchen wollte.

„Ich hatte keine Ahnung von Hotellerie, aber Walter versprach mir, mich zu unterstützen, was Papierkram und Instandhaltung angeht“, so Antònia Iturbide. Statt tiefgründiger Expertise bringt sie gesunden Menschenverstand mit. „Ich versuche, den Gästen das zu bieten, was ich selbst gern hätte: saubere, moderne Badezimmer, ein gemütliches Bett und persönlichen Umgang. Das ist wichtiger als durchweg neue Möbel.“

Die Villa Miel in Cala Millor. Nele Bendgens

Zwei Sterne aber Bewertung von neun bis zehn Punkten

Wenn ein Gast krank wird, bringt sie ihn zum Arzt, für spontane Wünsche ist sie 24 Stunden zu erreichen, und außerhalb des Hochsommers putzt sie auch die Zimmer selbst. Dass ihr Hotel nur zwei Sterne hat, stört sie schon lange nicht mehr. „Dafür haben wir bei Booking eine Bewertung von neun von zehn Punkten.“ Auch beim MZ-Besuch ist das Flair auffällig gemütlich – obwohl gerade noch keine Gäste da sind.

Den familiären Charakter von damals wieder ganz herzustellen, ist kaum möglich, das hat auch Walter Iturbide gemerkt. Die 70er kommen eben nicht zurück. Und ohne Reiseveranstalter oder großes Werbebudget sind auch die Buchungszahlen alles andere als gesichert – trotz guter Saisonaussichten. Ob sie schon daran dachten, das Villa Miel ganz aufzugeben? „Ja, jedes Jahr“, sagen die Geschwister unisono und müssen lachen. „Aber es ist dann eben doch diese romantische Erinnerung an damals und an unsere Eltern, die uns davon abhält“, so Antònia Iturbide.

Hoffnung auf spontane Reservierungen

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Auch im Corona-Jahr 2020 öffnete sie gleich nach dem Lockdown – „das hat mir selbst einfach gut getan“ – und freute sich, zumindest Bauarbeiter vom Festland beherbergen zu können, die in Cala Millor zu tun hatten. 2021 lief schon besser. Und für die Saison 2022 hofft sie auf viele spontane Reservierungen. „Am kommenden Wochenende erwarte ich, wie schon öfter, Gäste der Stiftung Natzareth – Kinder und Jugendliche, die in Palma im Heim wohnen und mit Betreuern im Villa Miel Urlaub machen.

An ihnen verdiene ich nichts, aber wenigstens werden die Zimmer genutzt.“ Sie will zudem verstärkt um Urlaubergruppen werben, will Rad- und Weintouren anbieten. Aufgeben kommt nicht infrage – wohl auch, weil die Quereinsteigerin ihre Arbeit längst lieben gelernt hat. „Ich freue mich auf die bevorstehende Saison – trotz der Unsicherheit.“