Wenn ein Unternehmen für 120.000 Euro einen Bus kauft, wie viel Kredit muss es aufnehmen? Und wenn dann noch die Kosten für Computerausrüstung dazukommen? Was vor lauter Zahlen nach einer Mathe-Stunde aussieht und vor lauter Wirtschaft nach BWL, ist eine Vorlesung im Bachelor-Studiengang Tourismus.

„Wir beschäftigen uns hier viel mit dem business“, sagt Patricia Horrach. Die Professorin unterrichtet „Contabilidad financiera“, zu Deutsch: Buchhaltung. Eine Gruppe Drittsemestler an der Balearen-Universität (UIB) beginnt damit den Tag. Es ist kurz nach 8 Uhr. Zu dieser für deutsche Studierende eher untypischen Stunde rechnen die 20 jungen Männer und Frauen, während Horrach ihnen etwas von Fixed-Assets, Kapital und kurz- oder langfristigen Krediten erzählt.

Mallorca hat eine der besten Tourismus-Fakultäten Spaniens

Die Balearen-Universität gilt als eine der besten Hochschulen Spaniens, um Tourismus zu studieren. Je nach Jahr und Ranking ist sie unter den Top 5, oft sogar auf dem ersten Platz zu finden. Das Shanghai-Ranking, das Universitäten weltweit vergleicht, zählt die Tourismus-Fakultät der Balearen unter die besten 100.

Jedes Jahr beginnen bis zu 150 junge Menschen hier vor den Toren Palmas ihr Studium. Zu den rund 700 Studierenden der Fakultät kommen jährlich über 100 dazu, die an der Fakultät ihr Auslandssemester absolvieren. Wo sollte man auch besser Tourismus lernen als hier? Auf Mallorca wird seit Jahrzehnten Wissen darüber angehäuft, wie man Urlaubern Erholung verschafft. Anschauungsbeispiele finden sich gleich vor der Tür, und die Jobchancen nach dem Abschluss sind gut.

Patricia Horrach unterrichtet die Studenten in Buchhaltung. Marlene Weyerer

Der Raum, in dem Patricia Horrach die Grundlagen der Buchhaltung vermittelt, gleicht eher einem großen Klassenzimmer als einem Vorlesungsraum. Trotz der frühen Stunde hören die Studierenden aufmerksam zu. In bunten T-Shirts, rosa Kapuzenpullis und bauchfreien Tops sitzen sie einzeln oder in Grüppchen an den Tischen. In der zweiten Reihe knobeln Alba Bover und Matteo Eiras an den Aufgaben. Die beiden sind begeistert von ihrem Studium. Dabei waren sie ohne große Erwartungen gestartet. „Ich habe etwas gesucht, das viele Berufsmöglichkeiten bietet und keine hohen Zugangsvoraussetzungen hat“, erzählt Alba Bover.

Tourismus ist bei der UIB mit einer Zugangsnote von 5,0 (im spanischen Notensystem entsprechend einem deutschen Abischnitt von 4,0) zulassungsfrei. Matteo Eiras wollte eigentlich Jura studieren, Tourismus war seine zweite Wahl. Und eine positive Überraschung. „Es ist ein sehr praktisches Fach, bei dem man viel Verschiedenes lernt“, sagt er.

Vor dem ersten Semester wissen viele nicht, was sie erwartet

Ihre Kommilitonin Maia Fimpel hingegen wusste sehr genau, welches Studium sie gerade anfing. „Ich hatte mich vorher über den Stundenplan informiert“, erzählt sie. Fimpel weiß auch schon, wie es weitergehen soll. Sie will nach den acht Semestern Bachelor-Studiengang noch ein fünftes Jahr in Deutschland studieren, um einen weiteren Abschluss zu bekommen. Die UIB arbeitet dafür mit den Universitäten in Worms und Heilbronn zusammen.

Doch Fimpel ist wohl eher die Ausnahme. Die meisten beginnen wie Eiras und Bover ihr Studium eher blind. Laut der Dozentin Patricia Horrach wissen die wenigsten, was sie erwartet. „Sie hatten eher an Sprachen gedacht und müssen dann viel rechnen“, sagt sie fast entschuldigend. Die einen seien ganz begeistert von den vielen unerwarteten Möglichkeiten, die anderen brechen ab, bestätigt der langjährige Dekan und jetzige Vizedekan der Fakultät Bartolomé Deyá bei einem Gespräch in der Cafeteria. Etwa 20 bis 25 Prozent der Studierenden würden das Tourismus-Studium an der UIB vorzeitig abbrechen.

Bartolomé Deyá ist Vizedekan der Tourismus-Fakultät. A. Costa

Dabei täten sich für diejenigen, die weiterstudieren, eine weites Spektrum an Möglichkeiten auf, sagt Deyá. Tourismus sei schließlich weit mehr als kellnern und an der Rezeption stehen. „Wenn man an die Autoindustrie denkt, weiß man doch auch, dass es nicht nur Arbeitsplätze als Mechaniker gibt“, sagt er. „Bei uns ist es nicht anders, nur weiß das offenbar niemand.“ Dass die Drittsemestler in ihrer Buchhaltungs-Vorlesung durchrechnen, wie ein Tourismus-Veranstalter Laptops, Möbel und Fahrzeuge anschafft, sei ein gutes Beispiel. Wer im Tourismus erfolgreich sein will, müsse nicht nur Sprachen können und gern Zeit mit Menschen verbringen. Er oder sie müsse auch ein Unternehmen leiten und organisieren können.

Der Studiengang ist weitgehend verschult. Die Fächer sind den Studierenden größtenteils vorgeschrieben. Neben Englisch lernen sie als weitere Fremdsprache entweder Deutsch oder Französisch. Abgesehen davon haben etwa die Drittsemestler noch Vorlesungen in Marketing, Unternehmensorganisation, Geografie und Jura zu belegen. Im Master können sich die Studenten dann auf eine Richtung konzentrieren. Zur Auswahl stehen etwa Tourismus-Management, Kongress-Tourismus oder Luftverkehr.

Silicon Valley des Tourismus

Für Bartolomé Deyá ist Mallorca eine Art Silicon Valley des Tourismus. „Im Parc Bit arbeiten wahrscheinlich mehr Tourismus-Absolventen als Informatiker“, scherzt der Professor. Der Technologiepark nördlich von Palma beherbergt viele Unternehmen, die direkt oder indirekt mit seiner Branche zu tun haben. Hier werde beispielsweise an modernen Hotelbetten gefeilt oder an den Buchungssystemen im Internet. „Diese Firmen brauchen natürlich Mitarbeiter, die wissen, wie Tourismus funktioniert und was Urlauber wollen“, sagt Deyá.

Die meisten der Studierenden würden nach ihrem Abschluss im Berufsalltag dann gar keinen direkten Umgang mit Urlaubern, geschweige denn denen auf Mallorca haben. Sie arbeiteten etwa bei Dienstleistern, die im Internet Hotels vermitteln und dabei ohne größere Investitionen einen beträchtlichen Anteil dessen mitnähmen, was ein Tourist ausgebe. „Hier auf den Balearen gibt es sogar Firmen, die an Urlaubsreisen in die Dominikanische Republik verdienen“, sagt Deyá.

Keine klassischen Vorlesungen

Weil 80 Prozent der Unterrichtsfächer auf Englisch vorgetragen werden und das für viele Studierende herausfordernd ist, sind keine klassischen Vorlesungen vor 100 Menschen vorgesehen. Stattdessen gibt es jede Vorlesung mehrmals pro Woche, die Studierenden müssen sich für einen Tag eintragen.

Zum Beispiel eben für Freitagfrüh um acht. Zwei Reihen hinter Alba Bover und Matteo Eiras sitzen vier weitere Freunde von ihnen. Ihr Grüppchen ist seit dem ersten Semester nach und nach geschrumpft, jetzt hoffen sie, zusammen bis zum Abschluss durchzuhalten. Was danach kommt, ist bei den meisten noch eher ein grober Plan. Wimper González beispielsweise plant eine Karriere in der Urlaubsbranche. Grenzen will er sich nicht setzen, vielleicht Hotelmanager. Evelyn Mulet würde gern viel reisen, vielleicht bei einer Fluggesellschaft anheuern. Matteo Eiras will sehen, was ihm am meisten liegt, und dann in diesem Fach einen Master machen. Und Alba Bover will sich tatsächlich auf Buchhaltung konzentrieren.

Windsurfen und Animation

Auch wenn dem Vizedekan etwas anderes vorschwebt, wird ein Teil der Studierenden doch in klassischen Tourismus-Berufen landen. Zum einen braucht es dort Fachkräfte, zum anderen will nicht jeder im Büro arbeiten. „Ich bin lieber unter Menschen“, sagt etwa die frischgebackene Absolventin Tara Bonnet. Während ihres Bachelors hat die 22-Jährige bereits als Animateurin in einem Hotel gearbeitet, im Moment macht sie damit weiter. Sie bewirbt sich zwar auf andere Stellen, ihr sei es dabei aber weiterhin wichtig, direkt mit den Urlaubern zu tun zu haben.

Tara Bonet arbeitet als Animateurin in einem Hotel

Tara Bonet arbeitet als Animateurin in einem Hotel Privat

Ähnlich ergeht es einer weiteren Absolventin der UIB, Anna Glaser, die sich zwar nicht vorstellen kann, in einem Hotel zu arbeiten, aber doch anderweitig den Kontakt zu den Urlaubern sucht. Die 28-Jährige aus Köln war schon vor ihrem Studium nach Mallorca gezogen, um auf der Insel als Windsurf-Lehrerin zu arbeiten. Bis heute gibt sie Unterricht an der Wasserport-Schule Watersports Mallorca an der Playa de Muro.

Nach einem Bachelor in Tourismus an der UIB hat sie auch einen Master in Eventorganisation gemacht. Jetzt ist sie an der Windsurf-Schule für die administrativen Aufgaben zuständig, kann außerhalb der Saison weiterarbeiten. Und könnte einmal selbst ein Unternehmen gründen. „Mein Ziel im Studium war es, vor allem Sprachen zu lernen“, sagt Glaser. Jetzt sei sie über die wirtschaftlichen Aspekte ihres Studiums froh. „Es hat mir gezeigt, dass es auch andere Wege geben kann.“