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Schwarzgeld und 50-Stunden-Wochen: Wie es in vielen Restaurants und Hotels auf Mallorca wirklich zugeht

Arbeitsrecht im Gastro- und Hotelgewerbe wird oft ignoriert – mit stiller Zustimmung der Mitarbeiter

Theorie und Praxis im Gastro- und Hotelgewerbe sind auf Mallorca noch immer nicht ein Abwasch.

Theorie und Praxis im Gastro- und Hotelgewerbe sind auf Mallorca noch immer nicht ein Abwasch. / SEBASTIAN GOLLNOW/DPA

Höheres Einkommen als in manchen anderen Branchen, jährliche Gehaltserhöhungen, eine starke Lobby: Die Arbeitsbedingungen, die auch Dank des Tarifvertrags fürs Gastro- und Hotelgewerbe auf Mallorca vorgesehen sind, sind durchaus annehmbar. Offiziell ist die Zeit der Arbeiter-Ausbeutung seit Jahren vorbei. Zumal das Dekret, das als wichtigster Tarifvertrag Mallorcas gilt, derzeit neu verhandelt wird – und nach Abschluss weitere Verbesserungen für die rund 180.000 Arbeitnehmer bereithalten dürfte, die davon profitieren. So weit die Theorie. In der Praxis zeichnet sich häufig ein anderes Bild ab – geprägt von Schwarzgeldzahlungen, kruden Unter-der-Hand-Vereinbarungen mit den Vorgesetzten und freien Tagen, die nur auf dem Papier existieren. Erfahrungsberichte von vier Angestellten, die zeigen, wie ihr Arbeitsalltag in Gastro und Hotellerie wirklich abläuft.

Schwarzgeld willkommen

16 Uhr, Schichtende. Die meisten Außentische sind voll besetzt. Osterurlauber, die auf Kaffee und Kuchen warten. „Da fehlen noch zwei café con leche für Tisch 2“, ruft der Geschäftsführer und wirft Fede einen gehetzten Blick zu. Der 27-jährige Kellner bleibt gelassen, bedient den Kaffeevollautomaten mit geübt schnellen, aber ruhigen Handgriffen, blendet die Hektik um sich herum aus. „Wenn man in Panik verfällt, hat man verloren“, sagt er. Seit zehn Jahren ist Fede in der Gastro tätig. Einen Schulabschluss hat er nicht, dafür viel Erfahrung. Als Küchenhelfer in einem Hotel, als Barkeeper in einem Nachtclub, als Kellner in Tanzlokalen und Restaurants. Im Sommer auf Mallorca, ein paar Winter über auch in Österreich zur Skisaison. Sein Deutsch und Englisch sind passabel. Vor wenigen Wochen startete er seine zweite Sommersaison in einem Restaurant im Inselosten.

Schuften ohne Ruhetage und Urlaub

„In all den Jahren habe ich auf Mallorca nicht einen Betrieb erlebt, in dem alles legal zuging“, erzählt Fede, als er gut eine Stunde nach offiziellem Arbeitsende endlich die Schürze abnimmt und das Lokal verlassen kann. Er stopft sich ein paar Scheine in die Hosentasche. Trinkgeld und ein paar Extragroschen vom Chef. „Schwarz, klar. Alle Überstunden hier werden schwarz bezahlt, aber das ist mir nur recht“, so der Spanier. Elf Euro bekommt er pro hora extra – steuerfrei.

Zusätzlich zum offiziellen Gehalt von 1.645 Euro, das auf den Tarifvertrag abgestimmt ist. „Davon allein kann ich aber nicht über die Runden kommen, ich arbeite ja nur acht Monate im Jahr.“ Also ackert er mehr als laut Vertrag vorgesehen. Unplanbare Überstunden, teils wochenlanges Schuften ohne die zwei gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetage, monatelanges Urlaubsverbot – all das gehört für den 27-Jährigen zum Mallorca-Sommer dazu. „Man gewöhnt sich daran. Fast alle meine Freunde sind in einer ähnlichen Situation. Richtig leben tun wir erst wieder im Winter.“

Strengere Kontrollen

Das kennt auch Sonia. Die 32-Jährige ist ebenfalls Saisonkraft (fijo discontínuo), seit mittlerweile fünf Jahren ist sie von Frühling bis Herbst Rezeptionistin in einem Hotel an der Ostküste. „Natürlich haben wir theoretisch Anspruch auf 2,5 Urlaubstage im Monat, aber niemand würde es wagen, die im Sommer einzufordern“, sagt sie. Stattdessen wird der Urlaub nach Saisonschluss kollektiv am Stück genommen. Statt der offiziell fünf erlaubten Tagen pro Woche arbeitet Sonia sechs, auch sie bekommt das Geld dafür unter der Hand. „Die Kontrollen sind strenger geworden in den vergangenen Jahren, trotzdem wird gemauschelt“, verrät sie.

Opfer bringen

„Solange ich keine Kinder habe, stört es mich nicht.“ Eine Kollegin habe jedoch vergangenen Sommer Probleme bekommen, weil sie ihre gesetzlich vorgesehenen 16 Wochen Mutterschaftsurlaub im Sommer nehmen wollte. „Letztlich durfte sie es machen, das Kind ist nun einmal im Mai geboren, aber sie musste hart darum kämpfen, und das ist nicht fair“, findet Sonia. Hochzeiten von Freunden auf dem Festland, der 80. Geburtstag ihrer Großmutter – auch für außergewöhnliche Ereignisse bekommt Sonia im Hochsommer nicht frei. „Es ist ein Stück Lebensqualität, das verloren geht“, findet sie.

Nicht ganz legale Praktiken

Dabei habe sich die Anspruchshaltung der Vorgesetzten bereits gebessert. „Vor einigen Jahren wurde uns Angestellten überall in der Branche sehr deutlich gemacht, dass keiner von uns unersetzlich ist. Man musste alles hinnehmen, was einem diktiert wurde.“ Teilweise seien Rezeptionshelfer auch in anderen Posten im Hotel eingesetzt worden, beispielsweise als Küchenhilfe, weil dort jemand benötigt wurde – entgegen der vertraglichen Vereinbarung. Andere Mitarbeiter seien weniger Monate angestellt gewesen, als sie tatsächlich gearbeitet hätten – nur, damit sich der Betrieb die Sozialabgaben spart. „Eine Freundin von mir war in dieser Situation, und ich weiß noch, dass sie fürchtete, am Ende des Monats ihr Gehalt nicht zu bekommen. Ohne Vertrag ist man ja schutzlos.“ Letztlich habe die Hotelleitung aber Wort gehalten und die vereinbarte Summe ausgezahlt.

Jetzt bessere Arbeitsbedingungen

Durch den aktuellen Personalmangel bemühten sich viele Vorgesetzte mittlerweile etwas mehr darum, dass es den Mitarbeitern gut geht, berichtet die 32-Jährige. „Das stärkt unsere Verhandlungsposition.“ Sonia selbst konnte immerhin aushandeln, dass ihr freier Tag in dieser Saison stets auf einen Freitag fällt. „Früher wurde mir jede Woche ein anderer Tag zugeschoben, das hat genervt.“ Auch ist sie mittlerweile neun Monate im Hotel angestellt – dadurch hat sie jeden Winter über ein Anrecht auf Arbeitslosengeld. Wer weniger Monate arbeitet, bekommt die staatliche Zahlung nur jeden zweiten Winter.

Mittelfristig und im Hinblick auf Familienplanung will sich die studierte Kunstwissenschaftlerin aber etwas anders suchen – außerhalb des Tourismussektors. „Pro Stunde bekommt man anderswo weniger Geld, dafür hat man ein geregelteres Leben. Das gibt es im Hotelsektor nur äußerst selten.“

Lange Arbeitstage

Auch abseits des Urlaubergeschäfts ist die Realität im Dienstleistungssektor hart. Das weiß Jennifer aus eigener Erfahrung. Sie arbeitet in einer Bar in Palmas In-Viertel Santa Catalina. Nicht eine der schicken Bars mit exotischen Cocktail-Namen und Tacos für 12 Euro das Stück, sondern eher die Art Establishment, in denen die Stammgäste sich an die Theke setzen und der 25-Jährigen zurufen: „Lo de siempre, niña.“ („Das, was ich immer nehme, Mädchen!“) Seit drei Jahren ist sie in der Gastronomie tätig – es ist bereits ihr dritter Job in diesem Bereich. Momentan ist sie mit 36 Wochenstunden angestellt, tatsächlich arbeitet sie meist eher 40.

In ihrem vorherigen Job in einer Eisdiele, auch in Palma, variierte die Arbeitszeit je nach Saison: Im Winter waren es 15 bis 20 Stunden, im Sommer teilweise über 50 – ihr Rekord lag bei 58 Stunden pro Woche. Auch sie kassiert die Überstunden schwarz. Als Trinkgeld erhält sie derzeit etwa 10 bis 15 Euro pro Woche. „Das Beste ist der Lohn. 1.200 Euro. Und wenn man gerne mit Menschen in Kontakt ist, ist die Arbeit toll“, findet sie. Wären da nicht die unklaren Arbeitszeiten: „Man weiß, wann man anfängt, aber nicht, wann Feierabend ist.“ In der Hochsaison habe sie bereits 12 bis 14 Stunden am Stück gearbeitet – manchmal ohne Pause.

Nicht das beste Ambiente

Auch die Atmosphäre ist nicht immer gut – weder im Team noch mit den Gästen. In ihrem vorherigen Job sei es so schlimm gewesen, dass man ihr jedes Mal, wenn sie einen Fehler machte, sofort mit Kündigung drohte. „Als ich weiter weggezogen bin und meinen Chef bat, mir frühere Schichten zu geben, weil ich nachts nicht allein durch Palma laufen wollte, meinte er nur: ‚Dann such dir eine nähere Wohnung.‘ “

Unhöfliche Gäste, die das Geld hinwerfen oder Kellner herablassend behandeln, gehören für sie auch bei der neuen Arbeitsstelle zum Alltag. Unangenehme Blicke von Männern während der Nachtschichten inklusive. Dennoch hat Jennifer auch schöne Erfahrungen gemacht: „Ich war einmal stark erkältet, ein Gast beobachtete mich beim Arbeiten, ging kurz raus und kam mit einem Glas Honig zurück.“

Drei Jahre ohne Urlaub

Joselin hat in einem Restaurant an der Playa de Palma ein besseres Verhältnis zu ihren Arbeitskollegen. Seit drei Jahren kombiniert die 30-Jährige ihren Nachhilfeunterricht unter der Woche mit dem Kellnern am Wochenende. „Vor diesem Job hatte ich noch nie gekellnert“, erzählt die Venezolanerin. Schon nach ein paar Tagen trug sie zahlreiche Krüge Bier und Sangria auf dem Tablett, heute ist sie für einen Bereich der Terrasse allein verantwortlich. Urlaub hatte sie bislang noch keinen. „Ich habe mit meinem Chef vereinbart, drei Jahre durchzuarbeiten, um genügend freie Tage für einen längeren Aufenthalt in Venezuela anzusammeln, damit ich meine Familie besuchen kann.“ Ein Abkommen, das jegliches Arbeitsschutzrecht unterwandert, aber beiden zugutekommt.

"Es wird mir nie langweilig"

Außerhalb der Saison arbeitet sie 20 Stunden am Wochenende, in der Saison sind es 30 bis 40 Stunden. Überstunden werden extra vergütet und kommen steuerfrei auf die Hand. „Das Lokal ist vor allem unter Mallorquinern beliebt, deshalb bekomme ich kaum Trinkgeld“, sagt sie. Dennoch mag sie den Job, zumal er ganzjährig ist. „Es ist ein dynamischer Beruf: Körperlich anstrengend, aber die Zeit vergeht schnell. Es wird mir nie langweilig, weil es immer etwas zu tun gibt.“ Nur wenn es stressig wird, kippe schon mal die Stimmung. Ausgeartet sei es aber noch nie. Joselin stört sich vor allem an der fehlenden Empathie mancher Gäste: „Ich bin immer freundlich zu allen – warum geht das nicht auch umgekehrt?“ Trotz der Strapazen – Joselin weiß, warum sie die Arbeit macht. „Und zum Glück gibt es auch genug nette Kunden.“

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