Zum Hauptinhalt springenZum Seitenende springen

Capdepera oder Artà? Warum der Einzelhandel für Ausländer floriert – und für Einheimische verschwindet

In Artà boomt der auf Ausländer fokussierte Einzelhandel, in Capdepera machen die Läden dicht. Beides besorgt die Bewohner – und zeigt die Zerrissenheit der mallorquinischen Seele

Rafaela Flaquer Pascual hält in Capdepera als eine der wenigen mit ihrem Schuhladen „Ca na Rafaela“ die Stellung.

Rafaela Flaquer Pascual hält in Capdepera als eine der wenigen mit ihrem Schuhladen „Ca na Rafaela“ die Stellung. / Sophie Mono

Sophie Mono

Sophie Mono

„Den Laden, den will ich mal haben.“ Rafaela Flaquer Pascual war noch ein kleines Kind, als sie diesen Wunsch zum ersten Mal äußerte. Vehement, lautstark. Mittlerweile ist sie 56 Jahre alt und immer noch genauso ein Dickkopf wie damals. Ihren Wunsch hat sie sich schon vor 26 Jahren erfüllt. Ein eigener Laden, mitten in Capdepera. Für die Menschen, für das Dorf. Doch aus Leidenschaft ist auch Last geworden.

Unterschiedliche Bedürfnisse

Flaquer ist eine der wenigen Einzelhändlerinnen, die die Stellung halten. In einem Dorf, das – wie so viele andere auf Mallorca – zwiegespalten scheint. Zwischen dem mallorquinischen Wunsch nach Identität, dem wirtschaftlichen Streben nach Aufschwung, dem persönlichen Bedürfnis nach Leben im Ort und dem gesamtgesellschaftlichen Desinteresse vieler, wirklich etwas für den lokalen Einzelhandel zu tun.

„Glaubt es mir oder nicht, aber mein Motto war schon damals: ‚Die Leute sollen kommen und sich wohlfühlen, nicht kaufen‘ “, sagt Flaquer. Man glaubt es ihr. Mit ihren Pluderhosen, der praktischen Kurzhaarfrisur und dem trotzigen Gesichtsausdruck wirkt sie nicht wie jemand, der sich darstellen will.

"Ich mag Urlauber"

Aber auch sie selbst ist zwiegespalten. Sie ist gabellina, wie die Einwohner Capdeperas sich nennen. Und doch wieder nicht. „Ich liebe mein Dorf. Oder liebte es. Aber ich fühle mich nicht mehr an diesen Ort gebunden. Ich könnte auch woanders leben, mittlerweile. Das ist befreiend“, sagt Rafaela Flaquer. Dabei ist ihr ihre Heimat nicht egal. Das merkt man ihr an. Etwa wenn sie davon erzählt, wie es vor 26 Jahren war, als sie – 29 Jahre jung – tatsächlich das Ladenlokal ihrer Kindheitsträume anmietete. Ein paar Meter vom jetzigen Ladenlokal entfernt, auch an der Hauptstraße.

„Damals war das Dorf noch voller Läden. Es gab hier alles, was man brauchte.“ Vier Banken, drei Bäckereien, mehrere Bekleidungsgeschäfte, vier kleine Lebensmittelläden, ein Haushaltswarenladen, ein Fotogeschäft … Auch vor zehn Jahren, als sie das jetzige Ladenlokal erwarb und umzog, war noch Leben im Ort zu spüren. Mittlerweile aber sind der Buchladen und die Bankfiliale schräg gegenüber ebenso Geschichte wie die Drogerie, der Naturheilkundeladen und die Eisenwarenhandlung. Die meisten Schaufenster stehen leer, ausgeblichene Schilder informieren: „Se alquila“. Einige Deko- oder Souvenirläden kamen und gingen. Erst vor Kurzem zogen die deutschen Betreiber eines stylischen Concept-Stores weg – zwei Jahre lang hatten sie versucht, ihren Laden in Capdepera zu behaupten. „Jetzt sind sie in Artà. Dort geht es ihnen besser“, sagt Flaquer.

Sie ist eine starke Frau, energisch, anpackend, das merkt man, wenn man sie reden hört, hier, zwischen den Regalen voller Schuhe. „Ca na Rafaela“ (übersetzt: das Haus von Rafaela) heißt ihr Laden. Kein anderer wäre passender. Während der zwei Stunden, die die MZ bei ihr ist, betreten zahlreiche Kundinnen das Geschäft. Frauen aus dem Dorf. Nur um zu gucken – und zu schwatzen. „Vielleicht komme ich zehn Mal und kaufe nichts, aber beim elften Mal dann doch“, sagt eine von ihnen. Rafaela Flaquer schenkt ihr ein Lächeln. Die einzigen, die etwas kaufen, sind zwei Deutsche. Zweithausbesitzer. „Ich mag Urlauber. Die Stimmung, die sie mitbringen, berauscht mich“, sagt Flaquer. Solange es nicht zu trubelig wird. Doch die Gefahr der Überfüllung und Entfremdung, über die man im Nachbarort Artà klagt, besteht in Capdepera nicht.

"Künstliches, aufgesetztes Deutschland" in Artà?

„Wenn man nach Artà kommt, auf die Hauptstraße, haben viele – selbst viele Deutsche – das Gefühl, nach Deutschland gelangt zu sein. Aber es ist ein falsches, künstliches, oberflächliches und aufgesetztes Deutschland“, schrieb kürzlich der mallorquinische Historiker und Kolumnist Miquel Llull aus Capdepera auf der Lokalseite capvermell.org. Er warnte vor einem „Ethnozid“, der in Artà bereits um sich greife, und künftig auch Capdepera drohen könne. Der Untergang des Mallorquinischen. Tatsächlich könnte man sagen, dass Artà das geschafft hat, was Capdepera nicht gelungen ist: einen florierenden Einzelhandel aufzubauen. Oder eben anders gedacht: Artà hat kapituliert und der deutsch-skandinavischen Hip-chic-Szene die Führung überlassen. Beides stimmt.

Wie auch immer man die Entwicklung im Nachbarort bewerten mag – Capdepera ist davon weit entfernt: Mitteleuropäische Touristen sieht man hier so gut wie nie in Scharen, und wenn, dann vor allem auf den zwei, im Sommer drei Restaurants am Marktplatz. Manche zieht es in den einzigen beständigen Dekoladen „La tortuga“, zwei Lokale neben dem „Ca na Rafaela“, einst von Deutschen gegründet. „Klar würde der Laden in Artà besser laufen, aber mittlerweile hat ihn die mallorquinische Hauseigentümerin übernommen. Wir bleiben also hier“, berichtet eine Angestellte. Auch das traditionelle Korbflecht- Geschäft „Son Poca Palla“ lockt noch Kunden an. Und sonst? Ist da nicht mehr viel. Keine überteuerten Boutiquen für „Qualitätstouristen“ , aber auch kaum noch Dorfläden für die Einheimischen.

Hohe Mieten, viele Autos und wenig Interesse

„So oft habe ich mir gesagt: Dieses Jahr mache ich im Winter zu, weil es sich nicht lohnt. Getan habe ich es nie. Ich will doch immer für die Menschen da sein – und kein Saisongeschäft“, sagt Rafaela Flaquer. Sie klingt nicht verbittert, wenn sie reflektiert, was in Capdepera schiefläuft. Auch nicht resigniert. Eher so, als sei sie mittlerweile auf einer Metaebene angelangt, fast philosophisch: „Was macht ein Dorf aus? Es sind doch die Menschen. Vor allem die Alten verdienen ein lebendiges Dorf. Aber das gibt es nur, wenn es auch Läden gibt. Schaufenster, die nachts die Straßen erleuchten. Orte, wo persönliche Kontakte stattfinden.“

In Capdepera kümmere sich das Rathaus nicht darum, etwas zu ändern, findet Flaquer. Ein Schild, das zum Einkauf im Ort aufruft, reiche nicht. „In der Altstadt um die Burg herum erlauben sie keine Läden. Und hier an der Hauptstraße kann man nicht bummeln, bei all den Autos und den engen Bürgersteigen.“ Schuld seien aber auch die Menschen selbst. Die Inhaber der Ladenlokale, die diese lieber leer stehen lassen, als den Mietpreis zu senken. Oder die Anwohner, die sich über das Ladensterben beschweren, aber selbst nie vor Ort kauften, weil es angeblich zu teuer sei. „Die gabellins sind nicht sonderlich solidarisch untereinander“, sagt Flaquer.

"Totes Dorf mit viel Lärm"

Klar, die größte Konkurrenz sei der Online-Handel. „Nein“, korrigiert sich die Unternehmerin. „Vor allem das System, das uns dazu drängt, Geld für immer mehr immer günstigere Produkte auszugeben, statt für wenige, hochwertige Produkte von hier.“ In einigen Orten – wie eben Artà – wäre das kollektive Bewusstsein darüber, wie wichtig es ist, den lokalen Einzelhandel zu unterstützen, größer. Und in anderen – wie Capdepera – eben nicht. Nein, ein zweites Artà, das wolle Flaquer auch nicht für Capdepera. „Aber dort herrscht wenigstens noch Leben. Capdepera ist nur noch ein totes Dorf mit viel Lärm.“ Ob sie es noch einmal machen würde, einen Laden hier eröffnen? Trotz all der Entbehrungen? „Nein. Ich weiß nicht . Vielleicht ja. Aber ich kann absolut verstehen, dass meine Kinder es nicht wollen.“ Zehn Jahre noch bis zur Rente, dann werde auch ihr Laden Geschichte sein. Kein befriedigender Ausblick. Aber die Realität.

Abonnieren, um zu lesen

Tracking Pixel Contents