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Kein Whatsapp, viel Geduld: Wie man auf Mallorca in den 1950er-Jahren telefonierte

Wie Mallorca kommunizierte als die Telefonnummern auf der Insel noch aus zwei Ziffern bestanden. Auszug aus Sabine Belz' "Das Lächeln von Llucmajor"

Kein Whatsapp, viel Geduld: Wie man auf Mallorca in den 1950er-Jahren telefonierteSabine Belz

Auf Mallorca hatte um 1950 kaum ein privater Haushalt Telefon, außer in öffentlichen Einrichtungen gab es das nur in Geschäften und Manufakturen. In Llucmajor, einer Kleinstadt 20 Kilometer östlich von Palma mit damals rund 60 Schuhmanufakturen, existierten entsprechend viele Telefone, die auch von der Nachbarschaft privat genutzt werden durften.

Das Telefon in Margaritas Strohhut-Manufaktur

Die Verbindungen wurden in der Zentrale an der Plaça d’Espanya hergestellt, in der zwei Frauen damit beschäftigt waren, die per Anruf gewünschte Nummer zu kontaktieren. Es wurde gestöpselt. Das dauerte, und man wartete manches Mal stundenlang, bis das Gespräch zustande kam. Nachfragen und Drängeln halfen nichts, denn in dieser Zentrale häuften sich die Wünsche. Dorthin kamen die, die kein Geschäft mit Telefon in der Nähe hatten oder die keines kannten, um von dort zu telefonieren. Die Telefonzentrale am Platz war die Informationsschaltstelle des Ortes, dort erfuhr und wusste man alles, was sich ereignete und besprochen wurde. Das Telefonieren auf der Insel war kostenlos.

Die Hutmanufaktur von Llucmajor

Am nördlichen Stadtrand von Llucmajor nahe der Plaça S’Arraval stellte die Manufaktur im Ca’ na Vilara von Margarita Andover Tomàs die beliebten Strohhüte her, die auf der ganzen Insel zu Festtagen getragen wurden. Manche Orte, wie Sa Pobla oder Campos, bevorzugten zum Feiertag Sant Jordi Hüte mit Strohblumendekor. Sogar vom Festland, aus Barcelona und Alicante, wurden große Mengen bestellt. 14 Frauen verarbeiteten dafür jährlich zwei Lastwagen voll Palmstroh vom Waschen, Bleichen, Trocknen bis hin zum Flechten und Dekorieren der Hüte.

Alle nutzen ein und dasselbe Telefon

Dort gab es natürlich ein Telefon – zentral im comedor nahe der Küche an der Wand etwas zu hoch installiert. Hob man den schweren Bakelit-Hörer von der Gabel, erreichte man automatisch die Vermittlung und sagte möglichst laut die gewünschte Nummer. So mancher schrie hinein, denn es gab eine Menge Nebengeräusche. Die Telefonnummern auf Mallorca bestanden nur aus zwei Ziffern, das Ca’ na Vilara hatte die Nummer 56.

Die Nachbarn des Viertels durften dieses Telefon, wenn erforderlich, benutzen. Kam tatsächlich ein privater Anruf an für einen der Nachbarn, wurde jemand losgeschickt, um diesen zu informieren. Das passierte selten, denn das Telefon war eine relativ neue, noch luxuriöse Technologie.

Einer spricht, alle hören mit

Antonio, mein Nachbar und damals ein Schulkind, konnte mir genau die Stelle an der Wand zeigen, wo das Telefon hing. Oft hatte er loslaufen müssen, um den gewünschten Nachbarn herbeizuholen. Ein privater Anruf signalisierte meist einen Notfall, Krankheit, Geburt oder Tod. Entsprechend aufgeregt verlief das schreiend geführte Gespräch, das auch manches Mal abbrach und neu von der Zentrale hergestellt werden musste. Natürlich hörten alle zu und waren auf diese Weise gleichermaßen informiert über Anlass und Problemlösung. Man würde sowieso am Abend darüber sprechen, wenn man zur Entspannung gemeinsam vor einer Haustür saß – „en fresca“ – oder auf der Plaza. Nachbarschaft bedeutete auch Anteilnahme und selbstverständlich Informiertsein. Bis heute gilt auf Mallorca die Devise „Nachbarn sind wichtiger als Familie“.

Anrufe aus Übersee

Aufregender waren Telefonate nach oder aus Kuba oder Argentinien, wohin zu Beginn des 20. Jahrhunderts so mancher Mallorquiner auswanderte, um „sein Glück“ zu machen, natürlich immer mit dem Ziel, erfolgreich – also mit viel Geld – auf seine Heimatinsel zurückzukehren, was nicht wenigen gelang.

Viele erinnern sich noch an den Anruf aus Argentinien für Francisco, den Bruder von Miguel, der vor zwei Jahren dorthin ausgewandert war und eine Hacienda besaß, auf jeden Fall mit Pferden zu tun hatte, denn davon verstand er etwas. Er hatte wohl einen Unfall gehabt, verstand man hier den von Störgeräuschen begleiteten Anruf. Jemand wurde zu Francisco geschickt. Inzwischen hieß es, sein Bruder Miguel sei vom Pferd gestürzt und schwer verletzt. Aber Francisco war weit draußen auf seinem Hof und kam erst spät nach Haus. Da „wusste“ man schon, dass der Bruder schwer verletzt nach einem Sturz vom Pferd im Krankenhaus lag, fast tot war. Alle redeten auf ihn ein, als er in heller Aufregung hereinstürzte, machten betretene Gesichter.

Endlich am Nachmittag kam der dringend erwartete Anruf noch einmal, alle drängten sich hinzu. Tatsächlich war alles ganz anders: sein Bruder Miguel in Argentinien hatte vielmehr einige gute Pferdeverkäufe tätigen können, besaß nun genug Reisegeld und kündigte seinen Besuch an!

Kein Unfall, keine Verletzung! Ein Missverständnis durch schlechte Übermittlung! Große Erleichterung und Freude bei allen. Miguel aus Argentinien würde kommen! Eine Fiesta!

Aus dem Buch "Das Lächeln von Llucmajor"

Wie in dem hier abgedruckten Text erzählt die Autorin Sabine Belz in ihrem Buch „Das Lächeln von Llucmajor“ (Engelsdorfer Verlag, 11 Euro) von ihren Entdeckungen hinter zunächst verschlossenen Türen auf Mallorca. Die pensionierte Leiterin diverser Goethe-Institute lebt seit knapp sechs Jahren gemeinsam mit ihrem Mann in einem renovierten Stadthaus in Llucmajor. Belz ist von Natur aus neugierig, interessiert sich für ihre Mitmenschen und die Geschichte und die Kultur ihrer Umgebung. Besondere Einblicke in die mallorquinische Gesellschaft und ihre Gepflogenheiten bekommt sie auch dank der Freundschaft zu ihrer Nachbarin, der Ur-Mallorquinerin Magdalena Suau.

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