Von Brigitte Kramer

Dennoch will die Ausstellung „Mapas abiertos. Fotografía ­latinoamericana 1991-2002" (Offene Landkarten, lateinamerikanische Fotografie 1991-2002) endlich mit den Klischees über den Subkontinent aufräumen. Auf den ersten Blick scheint das nicht gelungen zu sein - was dem künstlerischen und politischen Wert der Bilder aber keinen Abbruch tut.

Kurator Alejandro Castellote, einer der angesehensten Fotografen Spaniens, Gründer der internationalen Kunstmesse „PhotoEspaña" und erfahrener Kurator von Fotoausstellungen, hat auf ausgedehnten Reisen durch die Länder Lateinamerikas Fotokünstler ausgewählt, die sich mit Themen auseinandersetzen, die Castellote in die drei Bereiche „Identitätsrituale", „Räumlichkeiten" und „alternative Geschichten" aufgeteilt hat.

Vier Jahre lang wird die Schau - zu der beim Lunwerg Verlag in Barcelona ein Buch gleichen Titels erschienen ist - durch Spanien und Lateinamerika touren. Eingeweiht wurde sie vergangenen Sommer zeitgleich in Madrid und Barcelona.

Stilistisch gesehen, scheint es zwischen Karibik und Feuerland, Atlantik und Pazifik zwei Trends zu geben: die Schwarz-Weiß-Ethno-Fotografie und die Farb-Konsumgesellschafts-Fotografie. Die Gesellschaft und ihre Individuen sind, so lernt man beim Rundgang, entweder von Ritualen und Erbe der indígenas geprägt oder sie leben als identitätslose Yankee-

Persiflagen. Man kann auch sagen: Lateinamerika, das ist Land gegen Stadt, Anden gegen Tiefland, Arm gegen Reich, Idealisten gegen Zyniker - die Realität Lateinamerikas besteht scheinbar aus zwei weit voneinander getrennten Welten.

Hat man diese, eigentlich schon bekannte Kluft erfasst, ungefähr nach der Hälfte der Schau mit insgesamt rund 170 Fotografien, gelangt man in einen kleinen Raum mit einer dreiwandigen Videoinstallation: Dunkelhäutige Männer werden in tonloser Slowmotion dabei gefilmt, wie sie auf ihrem Rücken behinderte oder kranke Frauen durch den Urwald tragen. Selbst gezimmerte Tragen, schlenkernde Beine der Kranken, nackte, breite Füße der Träger auf Trampelpfaden, Schweißperlen und ein schier endloses Dickicht auf drei großen Projektionsflächen. Die Wirkung der Installation ist

enorm, alle Theorie über Klischees und Realitäten vergessen - es geht auch plötzlich nicht mehr um lateinamerikanische Fotografie der 90er Jahre, sondern um ein Grundthema menschlicher Existenz und um die Frage, wie weit wir uns, die Bewohner der industrialisierten Welt, vom Leben dieser Menschen wohl schon entfernt haben.

Uns so bietet die Ausstellung nicht nur einen Einblick in künstlerische Tendenzen und Selbstwahrnehmung in Übersee, sie vermittelt etwas viel Wichtigeres, das wir oft vergessen: Ein Großteil der Weltbevölkerung hat tagtäglich mit Problemen zu kämpfen hat, an denen wir schon beim ersten Versuch scheitern würden. In der Druckausgabe lesen Sie außerdem:

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