Es gibt Bücher, die einen das ganze Leben lang begleiten. Die einen nicht loslassen, auch wenn man jahrelang nicht in ihnen geblättert hat. Die immer in einem Teil des Gehirns schlummern, als Referenz, als Vergewisserung des eigenen Ichs.

Für Christian Brückner, Deutschlands wohl bekanntesten Synchron- und Hörbuchsprecher, ist „Don Quijote von der Mancha" von Miguel de Cervantes so ein Buch. „Ich habe es gelesen, als ich noch zur Schule ging", erzählt er von Berlin aus am Telefon. „Aus eigenem Antrieb. Selten hat mich ein Buch so beeindruckt, so amüsiert. Ich kann mich erinnern, dass ich laut aufgelacht habe."

Immer wieder, im Laufe der Jahre, habe er wieder reingeschaut in dieses Monument der Weltliteratur, das zwischen Amüsement und Tragik oszilliert. Jetzt hat er es wieder hervorgeholt, um es pünktlich zum 400. Todestag von Cervantes (siehe Kasten) als Hörbuch zu präsentieren. Herausgekommen ist ein Hörbuch so gewaltig wie das Werk: 48 Stunden, verteilt auf vier CDs.

Als Jugendlicher hatte Brückner die Übersetzung von Ludwig Tieck gelesen, aus den Jahren 1799-1801. Für das Hörbuch entschied er sich für die von der Kritik einhellig gelobte Neuübersetzung von Susanne Lange aus dem Jahr 2008. „Flink und witzig", nennt Brückner die Version von Lange. Tatsächlich erleichtert sie nicht nur die Lektüre, sondern das Hör­erlebnis, mit einem verständlicheren, unkomplizierteren Deutsch - wobei Don Quijote sich auch weiterhin so schwülstig ausdrückt, wie es Cervantes gewollt hat.

Hat man einmal die sehr kunstvollen, aber auch leicht anstrengenden Sonette überstanden, die Cervantes nach seinem Vorwort der Erzählung voranstellt, steigt man gleich ein in das Leben dieses wundersamen Mannes, der zu viele Ritterbücher liest und eines Tages beschließt, selbst einer zu werden. Der eine einfache Schenke für ein Schloss hält, die Huren für Burgfräulein und den Wirt für einen Ritter, von dem er das Sakrament des Ritterschlags erbittet. Und der nebenbei ein paar Hirten mit seiner Lanze verkloppt.

Es seien diese anderen Charaktere, die Don Quijote erst zu einer Figur machen, die uns berührt, schreibt Susanne Lange im Nachwort ihrer Übersetzung. „Cervantes lässt uns die Realität mit den Augen von Hidalgos, Bauern, Schankwirten, Herzögen, Prostituierten, Studenten oder Pfarrern sehen, und ebenso aus der eines Ritters. Wir erfahren welchen Eindruck Don Quijote auf die anderen macht, doch empfinden wir ebenso, wie Don Quijote die Welt und sich selbst sieht. Hätten wir bei den Höhenflügen seiner Phantasie nur die lächerliche Gestalt vor Augen, sie würde uns wenig mitreißen."

Die Geschichte des Ritters im Wahn sei keinesfalls veraltet, sagt auch Brückner. „Don Quijote ist ein modernes Buch, weil wir Anteil nehmen können an der Geschichte unseres ­Helden. Es wird uns etwas vorgeführt, was wir auch 400 Jahre später nachvollziehen können. Cervantes zeigt uns, dass ein individuelles Leben voller bunter Episoden steckt." Auch heute noch könne sich der Leser oder Hörer mit den Hauptfiguren Don Quijote und seinem treuen Begleiter Sancho Panza identifizieren. „In beiden stecken archetypische Menschen."

Brückner liest und erzählt all dies in ruhigem Tonfall, mit seiner knarzigen Stimme und mit hörbarer Überzeugung. „Ich setze meine Stimme nicht ein, um mit ihr zu verführen, sondern um mitzuteilen. Ich arbeite mit ihr", sagt der Schauspieler, der seit über fünfzehn Jahren zusammen mit seiner Frau Waltraut in seinem eigenen Verlag Parlando Hörbücher produziert. „Wir publizieren nur die, die uns wichtig erscheinen." Es sind Klassiker der Literatur dabei, aber auch viele Werke US-amerikanischer Autoren wie Don DeLillo oder Bücher über Politik.

Die Vorbereitung sei das Wichtigste, um dem Buch, das man vertonen möchte, gerecht zu werden. „Sie nimmt die meiste, meiste, meiste Zeit ein", sagt Brückner und jedes „meiste" klatscht wie ein Regentropfen auf ein Blatt. Auch auf den „Quijote" habe er sich lange vorbereitet, monatelang, und das Buch immer wieder gelesen. „Mit der Zeit wird die Lektüre immer genauer." Erst danach habe er sich an eine akustische Vorbereitung gemacht, bei der er nie laut liest. „Das passiert alles in meinem Kopf." Wenn es dann ins Studio geht, müsse jeder Punkt sitzen. Als Interpret sei es seine Aufgabe, ein Gerüst zu bauen, das das Buch umfasst.

„Die Bücher verändern sich mit der Zeit in meinem Kopf", sagt Brückner, der gemeinsam mit seiner Frau einen Teil des Jahres auf Mallorca verbringt. „Sie verdichten sich in Schwerpunkten. Häufig passiert das auch, nachdem die Aufnahme schon fertig ist." Große Werke der Weltliteratur sind in dieser Hinsicht unerschöpflich. Brückner ist weiterhin fasziniert von der Tiefe des Don Quijote. „Es ist, als wenn man einen Brunnen ausschöpfen wolle, in dem aber immer Wasser übrig bleibt. Die Figur des Don Quijote ist unerklärbar in den vielen Facetten ihrer Vielfältigkeit."

„Wie kaum ein anderes Buch lebt Don Quijote innerhalb und außerhalb des Buches. Man muss es nicht gelesen haben, um viel über den Quijote zu wissen", sagt Francisco Rico, der bekannteste Quijote-Experte in einem Interview mit der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca". So berühmt dieses Buch ist, so wenige haben es auch gelesen. Selbst in Spanien. Eine Umfrage im Juni 2015 ergab, dass mindestens 41 Prozent der Spanier den „Quijote" nicht gelesen haben und 66,2 Prozent ihn wegen der Sprache für unleserlich halten. Tatsächlich empfiehlt es sich, bei der Lektüre auf eine kommentierte Ausgabe zurückzugreifen, etwa die auf Spanisch von Francisco Rico.

Das Hörbuch von Christian Brückner lädt dazu ein, einen neuen, unbeschwerteren Zugang zum „Don Quijote" zu finden. Statt sich einen Klassiker „zu erarbeiten", sich einer Stimme hinzugeben und mit ihr die Abenteuer des Ritters mitzuerleben, der so viel mehr ist als nur ein armer Verrückter.

Christian Brückner liest Cervantes: „Don Quijote de la Mancha" in der Übersetzung von Susanne Lange, erschienen bei parlando, 29,99 Euro