Die MZ in den sozialen Netzwerken:

Er sei so etwas wie "eine neue Spezies", sagt Victor Uwagba über sich selbst: "Ein Afro-Mallorquiner!"Nele Bendgens

MZ-Serie "Die anderen Auswanderer": Warum sich der Nigerianer Victor Uwagba als "Afro-Mallorquiner" bezeichnet

Victor Uwagba studierte Jura und wollte doch lieber Theater machen. Dann landete er eher zufällig auf Mallorca. Heute ist er mit seinen Workshops und als Konfliktmanager für die Insel geradezu unverzichtbar

Wenn Victor Uwagba sagt: „Ich mache 10.000 Dinge“, dann ist das keine Übertreibung. Jurist, Schauspieler, Regisseur, Tänzer, Choreograf, Musiker, Pädagoge, Sozialarbeiter, interkultureller Vermittler, Konfliktmanager, zweifacher Vater: Der 47-Jährige schultert einen prall gefüllten Rucksack mit Erfahrungen und Kompetenzen, die er nach Bedarf auspacken kann. Damit ist der vor Energie nur so strotzende Mann mit der sonoren Bühnenstimme und dem sonnigen Gemüt auf Mallorca heute bestens bekannt, seine Expertise ist begehrt.

Das hier sei das Land, das ihn vor 22 Jahren adoptiert hat, und wo er einmal begraben werden will, sagt Uwagba. Doch das mit der Zugehörigkeit sei so eine Sache: „Jedes Mal, wenn ich mallorquí spreche, werde ich komisch angeschaut. Und wenn ich meine Leute treffe, genauso – weil ich so etwas wie eine neue Spezies bin: ein Afro-Mallorquiner!“, sagt er und lacht. Das tut er häufig, und man möchte jedes Mal mit einstimmen.

1975 kam Uwagba, der heute die spanische Staatsbürgerschaft hat, in der Millionenstadt Lagos in Nigeria zur Welt – als jüngstes von acht Geschwistern. „Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit“, betont er. Das Nesthäkchen wurde von vier älteren Brüdern und drei Schwestern gut behütet.

Mit der Familie: Victor ist der Kleinste

Seine Mutter war Geschäftsfrau, die mit Pyjamas handelte, ging morgens früh aus dem Haus und kam abends sehr spät heim. Der Vater hatte in England studiert, zurück in Nigeria leitete er die Küche eines Krankenhauses. „In diesem Ambiente mit weißen Kitteln und ständigem Kommen und Gehen sind wir aufgewachsen. Deshalb sind wohl auch drei meiner Geschwister Ärzte geworden.“ Die Bildung seiner Kinder hatte für den Vater oberste Priorität: Alle studierten, und alle sollten Karriere machen.

Jura-Studium den Eltern zu Liebe

Auch Victor Uwagba machte im Jahr 2000 einen „vernünftigen“ Abschluss: „Ich habe Jura studiert, um meine Familie zufriedenzustellen“, sagt er. Die Dinge, für die sein Herz in Wahrheit schlug – Schauspielerei, Musik und Tanz –, standen bei seinen Eltern nicht so hoch im Kurs.

Ironischerweise sollte es aber die „brotlose Kunst“ sein, mit der er später Geld verdiente. Schon direkt nach dem Studium unterrichtete er Theater an der Universität von Lagos. Und kurz bevor er Nigeria den Rücken kehrte, inszenierte er noch eine Musical-Adaptation von „Macbeth“ mit afrikanischem Tanz. „Es war spektakulär! Eine Woche später interessierte sich der British Council dafür, aber da war ich schon in Spanien“, erzählt Uwagba.

Als Jura-Student in lagos: Victor Uwagba (2.v.li.) 1998 mit Kommilitonen.

Die Erklärung, wie er 2001 auf Mallorca landete, ist kompliziert: Während seines Studiums war Uwagba im Haus einer seiner Brüder untergekommen, der als Arzt arbeitete. Seinen Schwager, den Bruder der Frau dieses Bruders, packte die Lust, in die Welt aufzubrechen. Er überredete Victor mitzukommen. „Ich war eigentlich glücklich in Nigeria, aber sie haben es mir irgendwie schmackhaft gemacht“, sagt er. Zuerst war von den USA die Rede gewesen. Doch der Sohn des Klempners seines Bruders war gerade in Spanien unterwegs und hatte auf Mallorca Station gemacht. „Als ich dort ankam, war er allerdings gar nicht dort, und ich kam dann bei einem seiner Freunde unter“, erinnert sich Uwagba.

Er blieb, obwohl das erste Jahr sehr hart wurde: Nicht nur, weil er keine Papiere hatte, sein Jura-Abschluss nicht anerkannt wurde und er zu diesem Zeitpunkt kein Spanisch sprach, das er heute wie Mallorquinisch fließend beherrscht. Sondern vor allem, weil ihm anfangs kaum jemand glauben wollte, dass er Talent hatte – nicht einmal seine eigenen Mitbewohner. „Immer wenn ich sagte ‚Ich bin professioneller Tänzer und Schauspieler‘, lachte man mich aus“, sagt Uwagba. Noch heute sei in den Köpfen verankert: Schwarze Menschen arbeiten auf dem Bau oder als Maurer. „Das ist das Profil. Alle werden in einen Topf geworfen. Aber so etwas habe ich noch nie in meinem Leben gemacht.“

Leidenschaft Tanz und Theater: Victor Uwagba bei einer Aufführung im Jahr 2008 in Palma.

Der Wendepunkt kam, als er sich auf Englisch bei der renommierten Tanzschule einer US-Amerikanerin vorstellte. Daraufhin gab er dort Kurse in afrikanischem Tanz und stellte mit seinen Schülern eine Show auf die Beine. Uwagba war im siebten Himmel. „Ich lud meine Mitbewohner zur Aufführung ein“, erzählt er. „Als ich an diesem Abend heimkam, hatten sie für mich gekocht, räumten das beste Zimmer für mich frei und behandelten mich wie einen König!“

Mallorca wurde schließlich sein „Lebensprojekt“: Als Freiwilliger bei der Hilfsorganisation Ärzte der Welt lernte er seine Frau kennen, eine Mallorquinerin. Sie haben zwei Kinder, die heute neun und 15 Jahre alt sind. Beruflich gelang es Uwagba, seine Fähigkeiten immer genau dort einzubringen, wo sie am meisten gebraucht wurden: Das Rathaus von Palma beschäftigte ihn mehr als zehn Jahre als interkulturellen Vermittler. Dann hatte er eine Stelle im Jugendzentrum der Gemeinde Calvià.

Victor Uwagba bei einem seiner Workshops.

Seit 2018 arbeitet er selbständig für verschiedene Gemeinden und Einrichtungen. Reich wird er damit nicht, sagt er, aber glücklicher, weil er so mehr Zeit für seine Kinder hat, und weil es ihm die Flexibilität gibt, verschiedenste Projekte mit Jugendlichen und Erwachsenen durchzuführen: von Trommel- und Erzähl-Workshops über Konfliktlösungs-Seminare bis hin zur Betreuung von Sozialfällen, die durchs Raster fallen. „Da ist jemand mit psychischen Problemen und dazu Migrant. Niemand kann mit dieser Person arbeiten, wir brauchen einen Experten … Also Victor!“, heiße es dann.

Rassismus auf Mallorca nimmt neue Dimension ein

Was das Thema Rassismus auf Mallorca betrifft, so glaubt er, dass es heute mehr davon gibt als noch vor einigen Jahren. Der Rassismus habe eine andere Dimension angenommen, seit die rechtspopulistische Partei Vox auf der Bildfläche erschienen ist. Uwagba leistet nun noch mehr Aufklärungsarbeit an Schulen als zuvor, weil er Entwicklungen wie etwa in Brennpunktvierteln in Frankreich befürchtet, wo dieser Rassismus Hass und Ablehnung schürt. „Wir geben jenen zu viel Raum, die schlecht von Migration sprechen. Das Positive wird nicht gesehen“, sagt er.

Der Wunsch, andere Migranten aus Afrika zu erreichen, die sich mit der Integration mitunter schwertun, treibt Uwagba an. „Ich arbeite dafür, Familien vor mir zu haben, denen ich meine Geschichte erzählen kann. Denn es gibt nichts Besseres, als jemanden zu treffen, der so ist wie man selbst ist und der dir sagt: Ich habe das Gleiche durchgemacht. Und schau, wo ich jetzt stehe – weil ich an mich geglaubt habe und weiß, was ich kann.“

Bei der Sprache fängt die Integration an

Möglichkeiten gebe es hier viele, doch man müsse für die Integration kämpfen. „Aber wo muss man anfangen? Bei der Sprache!“ Das gelte für jede Nationalität, sagt Uwagba: Raus aus der Komfortzone, nicht nur unter seinesgleichen bleiben, „als wäre man auf der Durchreise“.

Er selbst stellte schnell fest, dass Sprache für ihn essenziell ist: In seinem Arbeitsbereich dreht sich alles um Kommunikation. Dass er beim Sprechen immer noch lebhafte Gesten verwendet, kommt noch von seiner Anfangszeit auf der Insel. Am besten habe er immer durch die Arbeit mit Kindern gelernt. „Ich liebe es, wenn ein Kind mit mir Katalanisch spricht! Und ich möchte ihm antworten können“, sagt Uwagba.

Immer noch öffnen sich für ihn dadurch neue Türen auf der Insel: Im Rahmen des Programms „Tutories Teatrals“ werden mehrere Schulen ein Theaterstück aus seiner Feder aufführen: „La promesa d’olumrombi“, das auf afrikanischen Erzählungen basiert. „Als ich vor einer Schulklasse stand und die Kinder erfuhren, dass ich der Autor bin, haben sie mich angesehen, als wäre ich Shakespeare“, erzählt Uwagba und freut sich.

Jetzt registrieren und nichts verpassen!

Als registrierter Nutzer haben Sie jede Menge Vorteile und helfen uns, die Website weiter zu verbessern.

KOSTENLOSE REGISTRIERUNG

Wenn Sie bereits registriert sind, klicken Sie bitte hier.