Mallorca Zeitung

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Neue MZ-Serie "Die anderen Mallorca-Auswanderer": Ein Kolumbianer fängt wieder ganz unten an

Gustavo Camelo kennt aus seiner Heimat das Leben im Glamour. Doch auf den schnellen Aufstieg folgte ein harter Fall

Geerdet, sympathisch und offen: Gustavo Camelo beim Interview in Cala Ratjada. Mono

Exklusive Diskotheken, Edelrestaurants, VIP-Kreise, Partys und schöne Frauen. Es gab eine Zeit, da bestimmte der Glamour das Leben von Gustavo Camelo. 8.600 Kilometer von Mallorca entfernt, in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Seiner Heimat. Hier stieg er hoch hinauf, hier fiel er tief.

Gelegenheitsjobs statt Glamour-Welt

Heute hält sich der 56-Jährige mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Putzen, Hilfsarbeiten, Handlangertätigkeiten. Ohne gültige Papiere, im Osten der Insel. Knapp ein Jahr ist es her, dass er nach Capdepera zog. Mit einem Koffer und dem Kopf voller Hoffnung auf ein besseres Leben kam er am 3. April 2022 auf der Insel an. Es beschämt ihn schon lange nicht mehr, dass er ganz unten anfangen muss. Das war nicht immer so.

Wenn Gustavo Camelo von seinem Leben erzählt, kann man ihm stundenlang zuhören. Er berichtet plastisch, lebhaft, offen und ist dabei angenehm unaufgeregt. Es ist nicht schwer, sich den Auswanderer als den jungen Mann vorzustellen, der er einmal war. Aufgewachsen in bescheidenen, aber liebevollen Verhältnissen, bei seiner Mutter, die erst 14 Jahre alt war, als sie ihn bekam. Mit großer Leidenschaft zur Kunst, zum Theater, zur Musik, zum Film. Und zu seinem Land. „Ich liebe Kolumbien, das Land ist einmalig.“ Und doch ist es Spanien, wo er seine Zukunft sieht.

Von Bon Jovi bis Metallica

Camelos Geschichte bietet genug Stoff für einen Hollywoodstreifen, Spannungsbogen und Fallhöhe inklusive. „Ich habe selbst schon daran gedacht, einen Film daraus zu machen“, sagt Camelo und grinst. Da ist sein erst zaghafter, dann rapider Aufstieg: der erste Job nach der Schule, 1989, als Vertreter einer Schallplattenfirma in Bogotá. Nur ein Jahr lang, aber doch genug, um Kontakte in der Musikbranche zu knüpfen. 1990 dann die Anstellung bei einem Label des Technologiekonzerns Philips: Camelo darf durch die Plattenläden der kolumbianischen Hauptstadt ziehen und die Schaufenster mit den neuen Alben der Künstler dekorieren, die dort unter Vertrag sind, von Bon Jovi bis Metallica. „Das war eine tolle Zeit, ich war immer mit meinem Koffer unterwegs, konnte kreativ sein, bekam viel Musik geschenkt.“

Auch privat lief es rund: 1991 kam Camelos Sohn zur Welt, er heiratete.

Beruflicher Durchbruch

1994 dann der große berufliche Durchbruch: ein Festvertrag bei der Plattenfirma Codiscos als Promoter für verschiedene Musiker des kolumbianischen Genres Vallenato, aber auch für Rockgruppen wie die landesweit bekannte Band Ekhymosis. Camelo betreut die Künstler während ihrer Aufenthalte in Bogotá, organisiert ihre Werbekampagnen, ihre Touren, ihre Medienarbeit, berät sie, pusht sie, begleitet sie in die teuersten Lokale Bogotás.

In der Stadt, die er kurz zuvor noch aus den Augen der Unterschicht gesehen hat, öffen sich ihm nun Türen, von denen er zuvor nicht einmal ahnte, dass es sie gab. „Ich verkehrte mit Models, mit den Schönen und Reichen“, sagt Camelo mit einem verträumten Ausdruck auf dem Gesicht. Viel Arbeit, aber auch viel Party, viele Frauen – die Ehe war nach wenigen Jahren in die Brüche gegangen –, viele Oberflächlichkeiten prägen diesen Lebensabschnitt. „Könnte ich noch einmal entscheiden, würde ich all das wieder erleben. Aber diesmal wissend, wie man es wirklich lebt. Mit mehr Verstand, mehr Planung.“

Elf Jahre lang in der World of Fame

Elf Jahre dauert sein Kontakt mit der World of Fame. Dann wechselt die Führungsebene von Codiscos – und Camelo verliert seine Arbeit. „Ich hatte wenig gespart, das Geld verprasst“, erinnert er sich. Mit der Abfindung versucht er sich kurzzeitig als Imbissbudenbetreiber, ohne Erfolg. „Das schöne Leben war plötzlich zu Ende.“ Er zieht wieder bei seinen Eltern ein, mit Ende 30 ein herber Rückschlag. Versucht sich hier und da als freischaffender Künstleragent, ohne Fuß zu fassen. „Mir wurde klar, dass ich etwas ändern muss.“

Auswanderung in die USA

Kurz entschlossen wandert er in die USA aus, mit einem Besuchervisum, aber ohne Arbeitserlaubnis. Sechs Monate lang haust er in einem Kellerapartment in New Jersey, schlägt sich mit Jobs in New York durch. Als Vertreter von Kochtöpfen, Bäckergehilfe, Lagerarbeiter, schließlich als Reinigungskraft in einem edlen Bürogebäude. Die Erinnerung an die Welt des großen Business trifft ihn dort, zwischen Wischmopp und Aufnehmer, wie ein Schlag. „Mein Ego war am Boden. Die Erkenntnis, so tief gefallen zu sein, war hart“, sagt Gustavo Camelo. Nur zu gut erinnert er sich, wie er eines nachmittags im Winter vor dem Empire State Building saß, frierend den Menschen beim Schlittschuhlaufen zusah, seine Mutter anrief und weinte. Schließlich zog er zurück nach Bogotá. Mit nicht mehr als 70 US-Dollar in der Tasche – einem Abschiedsgeschenk eines seiner Arbeitgeber. „Die Zeit in den USA war hart und einsam. Aber sie hat mich geerdet“, resümiert Camelo.

Gern unter Mallorquinern

Und sie hat ihn vorbereitet auf seine zweite Auswanderung 13 Jahre später. Wenn Gustavo Camelo heute durch Capdepera läuft, stets gepflegt, trotz der etwas ausgetretenen Chucks an den Füßen und der unauffälligen schwarzen Winterjacke, dann kennt er mittlerweile schon viele Leute. Einheimische, andere Ausländer. Mehr auf jeden Fall, als viele andere Auswanderer nach knapp einem Jahr auf der Insel kennen. Wieder ist Camelo ohne Papiere im Ausland, wieder hangelt er sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob.

Doch etwas ist grundlegend anders als damals in den USA. Er verspürt nicht dieselbe Einsamkeit wie damals – wohl auch, weil er gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lina gekommen ist, die er vor acht Jahren heiratete. Sie war es auch, die Mallorca ins Spiel brachte. „Ihre Tante lebt seit 30 Jahren in Capdepera und hat uns vorübergehend bei sich aufgenommen“, sagt Camelo. Vor allem aber sei er nicht mehr so nostalgisch wie früher. Statt ständig zurückzuschauen, auf seine Heimat, seine Vergangenheit, auf das etwas chaotische und doch so lebensfrohe Gewusel in Bogotá, statt sein kolumbianisches Lieblingsgericht bandeja paisa zu vermissen und in Kummer darüber zu versinken, dass seine Familie so fern ist, lebt er im Hier und Jetzt. „Und das ist Mallorca.“

Einst Bistro in Bogotá

Hier will er arbeiten, unter besseren Bedingungen als in den vergangenen Jahren, als er mit Lina gemeinsam in Bogotá ein Bistro führte und von morgens bis nachts schuftete. „Mein Traum ist es, eines Tages Theatergruppen anzuleiten und davon leben zu können.“ Theater, eine seiner Leidenschaften aus der Jugend, die er während seiner Glamourphase gänzlich aus den Augen verlor, auf die er sich in den vergangenen Jahren aber wieder zurückbesann. Ein paar Euro hat er sich mit dem Schauspiel schon auf Mallorca verdient: Gemeinsam mit seiner Frau tritt er hier und da als Clowns-Duo auf (Instagram: Show_plays).

Keine Scham

Doch dass gut Ding Weile braucht, das weiß Camelo mittlerweile. Allein für die offizielle Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde muss er mindestens drei Jahre lang auf Mallorca gemeldet sein. Bis dahin nimmt er jede Arbeit an, die er unter der Hand bekommt. „Scham verspüre ich nicht mehr, das ist vorbei.“ Und er nutzt die freie Zeit, seiner neuen Heimat näherzukommen. „Einmal war ich neulich in einem kolumbianischen Restaurant in Palma essen – und bereute es schnell.“ Lieber wolle er die mallorquinische Kulinarik besser kennenlernen.

Auch auf Grillnachmittage mit anderen Latinos hat er wenig Lust. Stattdessen hat er sich einer Theater- und einer Trommelgruppe im Ort angeschlossen. Langsam würden die mallorquinischen Teilnehmern mit ihm warm. „Leicht ist es nicht, sie sind teilweise misstrauisch, haben Vorurteile gegenüber uns Kolumbianern“, sagt Camelo. Aber das schreckt ihn nicht ab. Mit Youtube-Videos lernt er Katalanisch, mühsam noch, aber kontinuierlich. Auf den örtlichen Feiern mischt er sich unters Volk. Diesmal soll es kein gesellschaftlicher Blitzaufstieg werden – wohl aber einer, der Bestand hat.

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