Da sitzt Charly K. nun – auf einem Stuhl, abseits einer Bar, weil dort nicht geraucht werden darf. Er hat einen Smoothie in der Hand, an seiner Seite ist seine Freundin Sandra D. Zurückgelehnt schaut er auf das türkisblaue Meer hinter der Promenade von Cala Millor. „Die Luft, das Meeresrauschen, die Farben. Es ist wie im Paradies“, schwärmt der Krefelder.
Dabei wollte er eigentlich gar nicht nach Mallorca kommen. Zu abschreckend sei seine Vorstellung gewesen, dass die Insel nur vom lauten Ballermann-Tourismus geprägt sei. In Cala Millor hingegen gehe es überraschend gemütlich zu. An der frisch asphaltierten Promenade wird zwar teils noch gewerkelt und an den vielen Spaziergängern fahren immer wieder Familien mit den für viele Urlaubsorte typischen Familien-Fahrrädern vorbei. Doch davon lässt sich Charly K. nicht aus der Ruhe und dem Schwärmen bringen. „Gut, dass du mich überredet hast, hierherzukommen“, sagt er und schaut zu seiner Freundin.
Für Sandra D. ist es bereits der dritte Urlaub in dem Ferienort, der längst wieder aus dem Winterschlaf erwacht ist. „Ich bin überrascht, wie voll es heute ist“, sagt sie am Freitagnachmittag (19.5.). Das Paar ist in der nebenan gelegenen, deutlich ruhigeren Bucht Cala Bona untergebracht. Während der Strand quasi leer gefegt ist und auch an der Promenade der Wind unangenehm bläst, geht es in der erst vor Kurzem größtenteils umgestalteten Einkaufsstraße schon trubelig zu. Der Lärmpegel ist dennoch erstaunlich niedrig.
Bestes Shopping-Wetter
„Das Wetter heute ist bescheiden. Für die Urlauber ist das schade, für uns aber gut“, sagt Jennifer Thiesen und lacht. Die durch die TV-Sendung „Goodbye Deutschland“ bekannte Auswanderin betreibt im Carrer Binicanella schon seit 2010 erfolgreich die Boutique Jenny Delüx. „Ich bin begeistert, wie sich Cala Millor gemacht hat. Es gab ein Frühlingsfest. Auch sonst merkt man, dass die Verantwortlichen des Ortes Vollgas geben, um Touristen anzuziehen.“ Das Rathaus hat die Straße vor ihrem Geschäft schon im vergangenen Jahr neu asphaltieren lassen. Auch Palmen stehen dort nun.
So ist die Auswanderin mit dem Saisonbeginn 2023 sehr zufrieden. Während der Osterfeiertage, an denen Thiesen stets ihren Laden wiedereröffnet, sei der Ort nach der Winterpause zum ersten Mal wieder richtig voll gewesen. „Danach war zwei Wochen Ruhe. Mit Pfingsten Ende Mai startet dann die Hauptsaison so richtig“, sagt Thiesen.
Über fehlende Kundschaft kann sich die Mutter eines Sohnes auch am Freitag zu keinem Zeitpunkt beschweren. Während des Interviews kommen immer wieder Passanten vorbei, die ein Foto mit der TV-Auswanderin machen wollen, oder neugierig den Laden betreten. 98 Prozent von Thiesens Kunden würden aufgrund der Sendung zu ihr kommen. Genervt von den vielen Foto-Anfragen sei sie nicht – „solange die Leute nett und die Rückmeldungen positiv sind.“
Verlängerte Öffnungszeiten
Ab Juni ändert die Boutique-Betreiberin ihre Öffnungszeiten und lässt ihr Geschäft am Abend statt bis um 20 Uhr bis 22 Uhr geöffnet. „Davor ist es vielen zu heiß zum Shoppen. Gegen 20 Uhr ist der Laden im Sommer dafür dann fast immer proppevoll.“ Besondere Erwartungen für die Sommersaison hat sie keine: „Ich bin schon zufrieden, wenn alles so bleibt, wie es gerade ist“, schwärmt sie. Endlich sei Cala Millor wieder so belebt wie in Zeiten vor der Pandemie. „Es fühlt sich so an, als hätte es Corona nie gegeben“, sagt die Auswanderin, die Anfang Juni ein zweites Geschäft in Artà eröffnen wird.
900 Euro für zwei Wochen Hotel
Auch bei den meisten Urlaubern scheint die Pandemie längst vergessen. Für Corinna und Peter, ein Paar aus der Pfalz, das wir in der Fußgängerzone antreffen, war die Mallorca-Reise die erste Flugreise nach der Corona-Zeit. Dass es dieses Mal Cala Millor geworden ist, sei eher Zufall. „Wir waren vor 30 Jahren schon einmal in Alcúdia und haben hier nun ein gutes Angebot gefunden“, erzählen sie. Knapp 900 Euro pro Person zahlen sie für zwei Wochen in einem Vier-Sterne-Hotel.
Auch bei Briten beliebt
Die beiden sind viel zu Fuß unterwegs. Dabei haben sie mitbekommen, dass Cala Millor auch bei Briten an Beliebtheit gewinnt. Die Urlauber freuen sich dennoch, dass sie hier mit Deutsch gut über die Runden kommen und würden jederzeit wiederkommen. Auch übers Wetter können sie nicht motzen. „Bisher hat es jeden Tag wieder aufgeklart“, so Peter. Zum Baden sei es beiden aber zu frisch.
Micha und Andi, Schwager und Schwiegervater, sind von ihrer Finca nahe Artà nach Cala Millor gekommen. Sie sind am 13. Mai angereist und haben trotz des durchwachsenen Wetters schon sichtlich Farbe bekommen. Die beiden Männer, die auf einer Mauer an der Promenade vor dem türkisblauen Meer sitzen, machen einen rundum zufriedenen Eindruck. „Wir wussten, dass Cala Millor aus vielen Betonbauten besteht, finden den Ort trotzdem schön“, sagt einer der Braunschweiger. Auch das Seegras, das hinter ihnen am Strand liegt, stört die beiden Männer nicht. „Es gehört zum Meer dazu.“
Schirme stehen seit Anfang Mai
Läuft man ans südliche Ende des Strandes in Richtung der Landzunge Punta de n’Amer, dominiert an vielen Stellen nicht Sand, sondern felsiger Grund. Zudem stehen deutlich weniger Liegen und Sonnenschirme dort. Nach einem Sturm 2020 hat sich die Breite dieses Strandabschnitts praktisch halbiert. „Der Wind hat den Sand weggefegt. Die Schirme stehen trotzdem schon seit Anfang Mai“, erzählt uns Onur Yurtsever. Er ist der Betriebsleiter des Restaurants Mile’s, das ein paar Hundert Meter in die nördliche Richtung direkt an der Promenade liegt. „Im Sommer ist zumindest hier jede Liege über den Tag verteilt zweimal vermietet.“
40 Mitarbeiter bedienen bis zu 1.000 Gäste täglich
Mit seiner Lage und seinen vielen Plätzen im Freien ziehe das Restaurant selbst an einem windigen Tag wie heute über den Tag verteilt über 300 Gäste an. „Noch ist der Außenbereich nicht ganz ausgebaut“, sagt der 38-Jährige. In der Hochsaison gibt es in dem Restaurant ganze 300 Plätze, die meisten davon sind im Freien. Die dann bis zu 40 Mitarbeiter bedienen täglich bis zu 1.000 Gäste. „Da wir keine Reservierungen entgegennehmen, bilden sich zu den Stoßzeiten oft Schlangen“, so Yurtsever.
Mit dem diesjährigen Saisonstart ist auch er zufrieden – wenn der Betrieb des Restaurants durch seine Lage direkt an der Promenade auch vom Wetter abhängig ist. „Seit Kurzem haben wir wieder bis 0 Uhr geöffnet, vorher nur bis 23 Uhr.“ Auch die Küche soll ab Juni erst um 23 Uhr und nicht wie aktuell um 22 Uhr schließen.
Reger Austausch mit den Hoteliers
Mit den Hoteliers des Urlaubsortes seien die Verantwortlichen des Mile’s in regem Austausch, um sich über die Buchungslage zu informieren. „Während Anfang Mai noch viel älteres Publikum in Cala Millor ist, das nicht ausgeht, rechnen wir ab den Pfingstferien noch mit deutlich mehr Kunden.“ Im vergangenen Jahr seien die Betreiber noch unsicher gewesen: Wird das Geschäft nach der Pandemie gut anlaufen? „Dieses Jahr gehen wir deutlich entspannter heran.“ Die neu gestaltete Fußgängerzone bedeutet für dem Gastronom eine Image-Verbesserung. Über spät oder lang werde sie sicherlich dem Mile’s zugutekommen.
Fernab des Trubels
Etwas fernab des Trubels, dafür nicht weniger besucht, ist Biggi’s Konditorei. Auch für Lukas Truninger, der sich dort unter anderem um die Buchhaltung kümmert, und Konditorin Birgit Moll ist 2023 die erste Saison nach der Pandemie, in der ihr Lokal durchgehend geöffnet sein soll. Der Höhepunkt des Jahres sei stets das Oster- und Herbstgeschäft. In den Sommermonaten liegen ihre Kunden eher am Strand. Fürs Torten-Essen ist es dann zu heiß.
Ein, zumindest abseits der Hauptsaison, Schmankerl ihres Lokals: Auf den Außenbereich scheint den ganzen Mittag die Sonne. Zudem gibt es direkt gegenüber einen großen Parkplatz. Von den Umbauarbeiten haben sie nur wenig mitbekommen. Die Torten, das Frühstück und die deftigeren Speisen der Konditorei scheinen vielen zu schmecken: „Manche Gäste fahren nach der Ankunft jedes Mal direkt vom Flughafen zu uns“, so Moll. Andere würden zu temporären Stammgästen, weil ihnen das Essen im Hotel nicht schmeckt. Und dann seien da noch die Einheimischen, deren Gaumen sich längst an die in deutschsprachigen Kreisen bekannten Backwaren gewöhnt hat.