Mallorca Zeitung

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MZ-Serie „Die anderen Auswanderer“: Von einem Tschechen, der in Cala Millor auf Mallorca sein Deutsch trainiert

Martin Nechvátal kam 2014 für einen Job nach Mallorca und fand auf der Insel die Liebe

Martin Nechvátal wohnt im Urlaubsort s’Illot im Nordosten von Mallorca. Nele Bendgens

Als Martin Nechvátal auf die Welt kam, war eigentlich schon alles vorbei. 1989 hatte sich die Tschechoslowakei vom Kommunismus verabschiedet. Im Januar 1993 teilte sich das Land entzwei, Nechvátal gehörte im März desselben Jahres zu den Ersten, die in der Tschechischen Republik geboren wurden. Doch der Kommunismus begleitete Nechvátal noch lange.

„Es gab zwei Lager“, erinnert er sich. Die einen trauerten den vergangenen Zeiten nach und sagten, ihnen sei es damals besser ergangen. Die anderen freuten sich über die neue Freiheit. Wie auch in der DDR waren viele Tschechen während der kommunistischen Diktatur aus dem Land geflohen. „Die Familienmitglieder, die blieben, mussten die Konsequenzen tragen“, sagt Nechvátal. Selbst in seiner Familie lebte er mit den beiden Seiten der Erinnerungskultur. Seine Mutter war liberal, freute sich über die Änderungen. „Mein Vater erinnert sich noch heute wehleidig an den Kommunismus“, sagt der 30-Jährige.

Idyllische Kindheit

Abseits der Spannungen im Postkommunismus beschreibt Nechvátal seine Kindheit als idyllisch. Er wuchs in einem Ort in der Nähe von Prag auf. Sein Vater besaß die Dorfkneipe, daher kannte jeder den kleinen Jungen. Nechvátal verbrachte seine Zeit damit, Fußball zu spielen, im See zu schwimmen, Fahrrad zu fahren. Er half bei der Kartoffelernte und der Schweineschlachtung, mistete Kuhställe aus, melkte Ziegen, hackte Holz. Mit dem, was er verdiente, kaufte er sich Süßigkeiten im kleinen Supermarkt.

Die Sommer verbrachte Nechvátal mit seinem Bruder und Cousins bei den Großeltern im Norden Tschechiens. In einem Haus in den Bergen ohne Fernseher, ohne Telefon, mit einem Brunnen statt fließendem Wasser. „Es war die schönste Zeit überhaupt“, schwärmt Nechvátal.

Mit 20 Kilo Gepäck auf Mallorca gelandet

Nach seinem Schulabschluss begann der Tscheche einen Saisonjob als Gärtner. Sein Bruder, der als Koch in einer Skiregion Tschechiens arbeitete, besorgte ihm eine Anstellung für die Winterzeit. Zwei Jahre lang wechselte Nechvátal zwischen Gärtnerei und Küchenhilfe hin und her. Dann rief im Jahr 2015 ein Freund bei ihm an und fragte, ob er nicht die Gartenarbeit in Tschechien gegen Kellnern auf Mallorca eintauschen wollte.

Mit einem 20 Kilogramm schweren Koffer und 1.500 Euro landete Nechvátal am 16. April 2015 in Palma – eigentlich nur für ein paar Monate. Doch im nächsten Sommer kam der Tscheche wieder und in der nächsten Saison auch. 2019 lernte er dann seine jetzige Freundin, eine Polin, kennen. Seitdem wohnt er das ganze Jahr auf der Insel und spricht viel Spanisch. Zuvor hatte er als Kellner in Cala Millor vor allem sein Schuldeutsch ausgebessert.

Harte Arbeit über den Sommer

Um in den drei bis vier Monaten im Winter über die Runden zu kommen, spart der Tscheche den Sommer über. Er arbeitet an sechs Tagen die Woche acht bis zwölf Stunden. Im Winter fliegt er für zwei Wochen nach Tschechien zu seinen Eltern, zwei weitere Wochen verbringt er in Polen bei der Familie seiner Freundin.

Wenn er in Tschechien ist, wundert Nechvátal sich häufig über den Stress, der überall herrscht. „Tschechen schimpfen ständig über Politik und ärgern sich darüber, dass sie kein Geld haben“, sagt er. Auch Spanier könnten sich vieles nicht leisten, würden mit dem Thema aber entspannter umgehen. Zusätzlich dazu sei die Inflation in der Tschechischen Republik stärker zu spüren, die Menschen würden immer ärmer – und radikaler. „So wie die Lage in Tschechien aktuell ist, möchte ich nicht dorthin zurück“, sagt er.

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