Mallorca Zeitung

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Wie sich ein legendärer deutscher Reporter auf Mallorca bekiffte

Im Frühjahr 2022 feierte Helge Timmerberg auf der Insel seinen 70. Geburtstag nach und gab eine Lesung. Was er dabei in welchem Zustand erlebte, erzählt er in einem Kapitel seines neuen Buches. Ein Auszug

Helge Timmerberg kifft gerne. Frank Zauritz

Am Abend vorher noch mal kurz Gedanken gemacht: Wie läuft das da? Das Internet weiß es. Es gibt einen Social Club 20 Minuten außerhalb von Palma. Rechtlich ist das ein Verein. Die Mitgliedschaft kann man für 20 Euro online buchen, mit der Codenummer kommt man rein. Aber nicht in Badeklamotten. Und auch nicht besoffen. Das Ganze gilt für ein Jahr, und sie haben täglich bis 23 Uhr geöffnet. Ich werde um 19.30 Uhr in Palma landen und um 20.30 Uhr im Hotel sein. Das könnte knapp werden. Darum Plan B. Ich nehme ’ne Winzigkeit für die erste Nacht im Flieger mit und kümmere mich morgen um die Social-Club-Cannabis-Ernte.

Ryanair landet mit einer Stunde Verspätung, und im Hotel checke ich erst gegen 22 Uhr ein. Ich bin deshalb froh über die Wenigkeit im Toilettenbeutel und über den Balkon. Es regnet ein bisschen, ich rieche das Meer und sehe Palmen. Nur ein paar, aber es reicht ja schon eine. Was fehlt, sind Wasser und Zigarettenpapier. In dem Lateshop, in dem ich mir beides hole, fragt man mich, ob ich zu dem Papier auch das Marihuana brauche. So läuft das hier.

Den Geburtstag auf Mallorca feiern

Geplant ist eine nachträgliche Feier zu meinem 70. Geburtstag rund um die Lesung, die ich am Freitag geben werde. Das stresst mich a bisserl, denn die Lesung ist organisiert, meine Feier nicht. Andere planen so etwas ein Jahr im Voraus, ich habe nur zwei Tage Zeit, um dafür eine geeignete Lokalität zu finden.

Andere und ich. Auch ein Dauerthema. Bin ich anders, weil ich kiffe? Oder kiffe ich, weil ich anders bin? Die Geburtstagsreisegesellschaft, für deren Wohlergehen ich mich verantwortlich fühle, kifft nicht. Weder meine Kinder noch die Freunde. Aber die Facebook-Freunde schon. Einer von ihnen hatte mir grad, also so um Mitternacht, geschrieben. Er lebe auf Mallorca und habe der deutschsprachigen Inselzeitung entnommen, dass ich am Freitag in Santa Maria lesen werde. Das freue ihn ungemein, er werde kommen, und falls ich ein bisschen Gemüse brauche, bringe er es gern mit. „Ich bin schon da“, schreibe ich zurück. Unterm Strich kommt dabei heraus, dass er am nächsten Tag gegen Mittag mit dem Gemüse vor meinem Hotel steht. Eigenanbau, sagt er. Zwei Pflanzen pro Person werden auf Mallorca toleriert. Die Tüte, in der er mir sein Marihuana überreicht, ist ziemlich groß, und es sind auch noch selbst gebackene Plätzchen darin.

Es läuft immer besser hier.

So kifft man in Spanien

Tolerieren ist die Vorstufe zum Legalisieren, und vor der Toleranz liegt die gesellschaftliche Akzeptanz. Spanien belegt in der Hitparade der Kifferländer dieser Welt den 13. Platz. Nur die rechten und die ganz linken Parteien finden das schlimm. Es sind immer und überall die Faschisten und Kommunisten, die im Cannabis einen Feind ihrer Ideologien sehen und auf der Bremse stehen, aber wenn immer mehr Spanier kiffen, wird es auch immer mehr kiffende Wahlberechtigte geben, und das wird dann schon ein Problem für die Prohibitionisten. Das Ringen um Kompromisse schafft Graubereiche zwischen legal und scheißegal. Konsum ist erlaubt, Erwerb nicht. Anbau ist erlaubt. Verkauf nicht. In Social Clubs, die eigene Plantagen betreiben, dürfen die Vereinsmitglieder die Ernte manchmal kaufen und rauchen. Und manchmal nicht. Sagt irgendein Gericht. Sicher dagegen ist, dass ich auf meinem Hotelbalkon so viel kiffen darf, wie ich will, nur öffentlich darf ich es nicht. No problem. Ich bin kein Konsum-Exhibitionist.

Und auch kein Easy Rider. „Am Morgen einen Joint, und der Tag ist dein Freund“, kann ich nicht empfehlen. Drogenkonsum, egal welcher, auch der von Alkohol, fühlt sich für mich vor Anbruch der Dunkelheit asozial an. Keine Ahnung, warum. Logischer wäre für mich die Erklärung, dass jedem High ein Down folgt, und dieses Auf und Ab der Energien will ich nicht, solange die Sonne scheint. Wenn das Abschlaffen jedoch in die Nachtruhe und den Schlaf übergeht, habe ich damit kein Problem. Muss ich tagsüber schreiben, nehme ich die Ups und Downs in Kauf. Aber in Palma muss ich nicht schreiben. In Palma muss ich Geburtstag feiern und ein Lokal dafür suchen.

Langsam mache ich mir Sorgen.

Am Nachmittag treffe ich Christina und Jürgen, um die Lesung zu besprechen. Sie sind die Veranstalter, aber sie machen es zum ersten Mal. Professionell sind sie Journalisten. Glückliche deutsche Journalisten, weil sie seit 20 Jahren auf Mallorca leben und arbeiten können, und glückliche Veranstalter, weil alles wie am Schnürchen klappt. Die Hälfte aller Karten ging bisher im Vorverkauf weg, und weil 60 Prozent der Einnahmen die meinen sind, hat das auch mich glücklich gemacht, denn damit ist jetzt schon ein großer Teil meiner Geburtstagsfeier finanziert. Und so war das ja auch gedacht. Ebenfalls glücklich sei der Geschäftsführer der Bodega Macia Batle, dem der Kartenvorverkauf einen für die Vorsaison ungewöhnlichen Getränkeumsatz verheißt. Um dem Klischee des geldgierigen Inselureinwohners nicht zu entsprechen, verzichte er deshalb freiwillig und ungefragt auf die Saalmiete. Die Lesung steht, sie haben das fabelhaft gemacht, und auch für meine Feier am Tag danach haben sie einen vielversprechenden Tipp: Hostal Corona.

Sightseeing in Palma

Der Name ist schon mal geil, das Restaurant im Garten soll fabelhaft sein, ab 18 Uhr wird es öffnen, dann schau ich mal rein. Bis dahin gibt es noch ergebnisorientiertes Sightseeing mit Christina und Jürgen, die mir die Plaça d’Espanya zeigen, an der der Bahnhof liegt, und im Bahnhof zeigen sie mir, wo man die Fahrkarten nach Santa Maria kriegt und wann die Züge fahren. Und kaum bin ich wieder im Hotel, übermannt mich ein wenig Hunger. Weil die selbst gebackenen Kekse meines Facebook-Freundes offen auf dem Tisch liegen, esse ich einen. Er schmeckt fabelhaft, ich esse noch einen und noch einen, dann fällt mir was ein, und ich rufe umgehend den Facebook-Mann an.

„Sag mal, sind auch die Kekse aktiv?“, frage ich.

„Natürlich. Warum fragst du?“

„Ich hab grad drei davon gegessen.“

„Grundgütiger!“

Wenn Cannabis nicht geraucht, sondern gegessen wird, braucht es etwa eine Stunde, bevor es das Gehirn inspiriert. Wenn es zu viel Cannabis gewesen ist, kippt die Inspiration in ihr Gegenteil um.

„Wie hast du die Kekse portioniert?“, frage ich.

„Normal“, sagt er.

Was ist leicht? Die Hälfte von normal? Drei Viertel von normal? Oder gelten selbst 90 Prozent von normal als leicht?

Und jetzt habe ich nicht nur das Doppelte, sondern das Dreifache der mehr oder weniger leichten Portion intus. Mein Facebook-Freund hat recht. Grundgütiger! ist dazu der einzig passende Kommentar. Also noch einmal: Grundgütiger!

Sich zugedröhnt ins Hostal schleppen

Mir bleibt nur eine Stunde Zeit, um noch nüchtern das Hostal Corona zu checken. Es ist glücklicherweise nicht allzu weit von meinem Hotel entfernt. Zehn Minuten zu Fuß oder so. Es liegt in einem Viertel, das mit seinen Jugendstilvillen und verschwenderischen Gärten in den 20er- und 30er-Jahren mal die Perle von Palma war, dann in den 50er- und 60er-Jahren total herunterkam und im neuen Jahrtausend von reichen Deutschen und reichen Schweden wiederentdeckt und auf Zack gebracht wurde. Schmale Gassen, prächtige, aber nicht protzige Häuser, und als ich durch das Eingangstor des Corona trete, fällt mir ein Stein vom Herzen, denn wenn das nicht die einzig richtige Location für meine Geburtstagsfeier zum 70. ist, was dann?

Ein marokkanisches Gartenrestaurant empfängt mich, marokkanische Zelte, marokkanische Lampen, marokkanisches Interieur plus eine sehr lange, gut sortierte Bar und eine separierte marokkanische Chillout-Polster-Abteilung. Ich bin der erste Gast, aber es ist ja noch recht früh. Zwei Frauen, eine schwarzhaarige und eine blonde, stehen an der Bar herum, und weil die Blonde, ich weiß nicht warum, mir wie die Chefin vorkommt und ich außerdem keine Zeit zu verlieren habe, gehe ich sie frontal an. Reservieren. Zwölf Leute. Samstag, 20 Uhr. Und jetzt ganz schnell was essen muss ich auch. Dafür ist die Schwarzhaarige zuständig.

Italienerin, flirtaktiv, so wie sie mir die Speisekarte erklärt, kann ich gar nicht anders, als ihr anzubieten, sich zu mir zu setzen und von unserem Kellnerin-Gast-Beziehungsstatus in ein Date zu wechseln. Bis das Essen kommt, beschäftige ich mich, die Italienerin und die Blondine, also alle hier, damit, die Tischgruppe für meine Truppe auszusuchen, denn es fällt mir schwer, mich diesbezüglich allein zu entscheiden. Die Tische unter dem blühenden Mandelbaum, die Tische im marokkanischen Zelt oder die Tische gleich neben der langen Bar? Das Corona ist ein Traum, die Party ist gerettet, diese Kombination aus balearischer Vegetation und maurischem Interieur hätte ich mir nicht mal erträumen können, und als ich dann den ersten Bissen von dem vegetarischen Gericht auf Blumenkohlbasis zu mir nehme, zerplatzt, nein, zerreißt, nein, verätzt mein Traum, als wenn ich Säure zu mir genommen hätte. Dabei ist es nur total versalzen und ertrinkt in Sojasoße. Meine Fresse! Was für ein Scheißessen!

Versehentlich nicht bezahlt

Dass ich trotzdem die Reservierung nicht absage, aber versehentlich die Zeche prelle und letztlich nur durch Gottes Hand den Weg zurück ins Hotel finde, liegt an der Wirkungsmächtigkeit der drei Kekse, die im Garten des Corona zwar nicht unerwartet, aber trotzdem überwältigend mein Gehirn erreichen. Die Italienerin muss mir in der malerischen Gasse hinterherlaufen. Und sie schreit. Sie schreit wirklich laut. Wahrscheinlich hatte sie schon einige Male geschrien und mit jedem Mal das Volumen erhöht, denn ich habe meine Hörgeräte ausgestellt. Reine Erfahrungssache.

Bei einer THC-Überdosis hören sich Dackel wie Doggen an, und jeder Motor ist der Feind. Ohne Hörgeräte höre ich fast gar nichts; selbst wenn ein Kind oder, schlimmer noch, ein Kleinkind, ein Baby im Flugzeug oder im Zug hinter mir Rabatz macht, höre ich es nicht, und das erklärt vielleicht, wie laut die italienische Kellnerin des Hostal Corona schreit.

„Hey, you have to pay.“

Endlich im Hotel. Ich werfe mich aufs Bett. Die Schuhe lasse ich an. Eine THC-Überdosis ist nicht tödlich, sie hinterlässt keine bleibenden Schäden, man kann auch mit einer THC-Überdosis nichts Schädliches anrichten, denn was soll ein Mensch, der sich nicht mal mehr im Bett umdrehen kann, schon Böses oder Blödes anstellen? Man liegt halt nur wie angenagelt da, wo man grad liegt, oder, um ein besseres Bild zu bemühen, wie 9-Punkt-fixiert. So nennt sich die maximale Fesselung zur Ruhigstellung in der Klapse. Ich habe die Stunden nicht gezählt, aber irgendwann bin ich wieder fit genug, um mich auf den Balkon zu setzen und an morgen zu denken.

Morgen kommen sie an, meine Töchter, mein Sohn, meine Freunde, was werden sie über das Hotel denken, das ich für uns gewählt habe? Eine Spur zu preiswert und eine Straße zu weit vom Meer entfernt? Oder werden sie es mit meinen Augen sehen? Große Zimmer mit großen Balkonen und kleiner Einbauküche, und wenn man sich die Freiheit nimmt, das Mobiliar hier und da umzustellen, öffnen sich Lebensräume. Ich will in einem Hotel wohnen, nicht übernachten.

Unter meinem Balkon schwingen die Kurven der Latinas. Von Ballermännern ist nichts zu sehen, auch von braven Touristen wenig. Auf dieser Straße feiern die Spanier, die Kubaner, die Kolumbianer la vida loca, dazwischen Marokkaner, Afrikaner, Hindustaner, alles ganz normal. Und alles, was man braucht. Alle paar Meter ein Mini-Shop, ein paar Meter weiter der Supermercado, die Tanke, der Tabakladen, et cetera pp., und das erscheint am Tag zwar superpraktisch, aber nicht sonderlich attraktiv, denn die steingewordenen Träume der maurisch-iberischen Hochkultur sind nicht hier, die sind in der Altstadt, rund um meinen Balkon herrscht die Architektur der 60er- und 70er-Jahre. Das waren für Musiker gute Jahrzehnte, Bauherren schienen sie weniger inspiriert zu haben. Aber Schwamm drüber, wenn die Sonne untergeht, die Lichter der Lokale die Beleuchtung übernehmen und ihre Lautsprecher die Beschallung der Bürgersteige. Diese Straßen sind wie Blumen, die nur in der Dunkelheit blühen. Man feiert den Feierabend und die Rückkehr der Sommernächte.

Alle essen draußen, alle trinken a bisserl, alle sind laut, und es mag sein, dass nicht alle lachen und lustig sind, aber die Weinenden hört man ja nicht. Die Stimmen der Fröhlichen mischen sich mit Salsa, Reggae, Gipsy Kings, und was ihre musikalischen Körper angeht, ist zu sagen: Ich bin noch nicht in dem Alter, in dem Männer nicht wegen der Frauen, sondern wegen deren Hunden auf Wiesen rumstehen. Frauen-Gucken macht mir noch immer wahnsinnigen Spaß. Aber es reicht. Ich muss da nicht mehr runtergehen. Und kann es auch noch nicht. Die Kekse haben mich weiter im Griff.

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