Muss man sich dafür entschuldigen, wenn man einen Roman in einer Fremdsprache schreibt, die man erst seit wenigen Jahren spricht? „Ich glaube schon, dass einige Menschen sagen werden: Was denkt die sich eigentlich?", sagt Chryssula Kokossulis. Die in Köln geborene Deutsch-Griechin schreibt, seit sie Anfang 20 ist, am liebsten Kurzgeschichten, meist auf Deutsch oder Englisch. Seit acht Jahren lebt sie auf Ibiza. Jetzt ist ihr erster Roman „La nit estesa" (in etwa „Die längste Nacht") erschienen. Geschrieben hat sie ihn auf Katalanisch. Geplant war das nicht.

„Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, einen Roman auf Katalanisch zu schreiben. Ich war in Katalanisch-Kursen und habe als Übung mal eine Seite geschrieben. Ich gab sie einem Freund zu lesen, der mich bestärkte weiterzumachen."

Irgendwann hatte sie 60 Seiten zusammen. Sie lernte den katalanischen Autor Salvador Macip kennen und zeigte ihm, was sie geschrieben hatte. Macip war begeistert. Das habe ihr den letzten Schubs gegeben, einen Roman ­daraus zu machen. Nacht für Nacht setzte sie sich an den Computer, versuchte, ihr Katalanisch immer weiter zu verbessern und holte sich von Testlesern Feedback.

„Ich bin ein Sprachenfreak", sagt die 45-Jährige. Acht Sprachen spricht sie, die meisten davon fließend. Für sie war es aber auch sonst ein ganz normales Bedürfnis, die Sprache der Insel zu lernen. „Allein schon, weil meine Töchter hier auf die Schule gehen und ich die Infozettel verstehen wollte, die die Lehrer den Kindern mitgeben. Es konnte nicht sein, dass ich eine dieser Mütter bin, die nichts schnallen. Das hat meinen Ehrgeiz geweckt."

Während sie an dem Buch arbeitete, schrieb sie 2013 auch den Gedichtband „emmetzinat" auf Katalanisch, der mit dem Literaturpreis der Stadt Eivissa ausgezeichnet und veröffentlicht wurde. Dabei hatte Chryssula Kokossulis in Deutschland außer ein paar Beiträgen in Kurzgeschichtensammlungen noch nichts publiziert.

Kokossulis schreibt auf Hochkatalanisch. Auch in den ­Dialogen in ihrem Buch hat sie nicht den Inseldialekt Ibizenkisch verwendet. „Das wäre doch ein wenig zu viel gewesen. Zudem hätte ich mir nicht zugetraut, das wirklich korrekt zu machen. Ich habe aber ein paar Begriffe benutzt, etwa Flüche."

Der Krimi „La nit estesa" spielt auf Ibiza und handelt von Pau, einem Endzwanziger, der glücklich mit seiner Freundin Sara lebt. Er rutscht wieder ab in eine Heroinsucht, die er eigentlich überwunden hatte. Die Beziehung verschlechtert sich. Irgendwann wirft ihm ein Drogenboss vor, ihn betrügen zu wollen und verliebt sich auch noch in seine Freundin. Der Drogen­boss möchte Pau am liebsten aus dem Weg räumen. Es ist eine Geschichte über einen Abstieg, den körperlichenund mentalen Verfall, die Suche nach Selbstzerstörung.

Ibiza gilt nicht als Heroin-Hochburg. Hier dominieren die Partydrogen Kokain, Ecstasy. Doch das sei ein unvollständiges Bild, sagt Kokossulis. „Heroin ist weltweit wieder im Kommen. Das liegt sicher auch daran, dass man für Drogen wie Kokain von Anfang an richtig Geld braucht. Heroin hingegen bekommt man schon für zehn Euro."

Kokossulis hat sich über die Droge informiert. Sie hat ­Bücher über die gesundheitlichen Auswirkungen gelesen. Auch ein ehemaliger Sozialarbeiter hat ihr bei dem Buch geholfen und ihr Einblicke in die Szene auf Ibiza ermöglicht. Ein dokumentarischer Roman aber sei „La nit estesa" deshalb nicht geworden.

Der Akt der Selbstzerstörung, eines der zentralen Motive des Buches, wird häufig als etwas Romantisches wahrgenommen. „Tatsächlich musste ich mich beim Schreiben zusammenreißen, um nicht in die Falle der Verklärung zu tappen." Gerade weil sie mit Pau einen Protagonisten geschaffen hat, für den sie Sympathie empfindet. Und weil sie selbst eine Tendenz dazu habe, so ein Verhalten zu romantisieren. Nicht zuletzt stehen dem Buch ein paar Zitate voran, die genau dieses Bild bestätigen. Etwa jenes aus dem Film „Knock On Any Door", wo der Gangster Nick Romano sagt: „Lebe schnell, stirb jung und hinterlasse eine gut aussehende Leiche."

Gegen so etwas hilft nur die Realität. Kokossulis sagt, sie habe selbst erlebt, wie Bekannte an der Droge niedergingen. Auch auf Ibiza. „Es ist vor allem erschreckend, wie viele Leute Drogen nehmen, ohne dass man es mitkriegt. Oft geht das jahrelang so."

„La nit estesa" ist in einer kleinen Auflage erschienen. Die Autorin kümmert sich selbst um die PR-Arbeit. Dass das nötig ist, hat Kokossulis auf die harte Tour gelernt. Als ihr Gedichtsband „emmetzinat" erschien, verließ sie sich ganz auf den Verlag, der aber keine Kapazitäten hatte. Jetzt organisiert Kokossulis selbst die Vermarktung in den sozialen Netzwerken und organisiert Lesungen. Auch wenn das frustrierend sein kann, wenn an einem Abend nur wenige Leute kommen. Als Autor müsse man für sein Buch kämpfen. Und sie hat noch einiges mit „La nit estesa" vor: „Ich übersetze es gerade ins Deutsche und bin auch schon mit Verlagen in Kontakt, die Interesse haben, es zu veröffentlichen." Dann zumindest wird keiner mehr nach der Sprache fragen.

La nit estesa ist im Verlag Carena erschienen und kostet 15 Euro. Unter anderem erhältlich bei www.edicionescarena.com