Liz Mohn (68) ist eine der mächtigsten Frauen Europas. Die ­Vorsitzende der Bertelsmann-­Stiftung und zweite Frau von Reinhard Mohn (1921-2009) führt von Gütersloh aus ein wahres ­Medienimperium. Seit 40 Jahren hat sie in Alcúdia einen Zweitwohnsitz. Am vergangenen Sonntag ist sie für das sozia­le und kulturelle Engagement der von ihr geleiteten Bertelsmann-Stiftung auf Mallorca mit der Medalla de Oro geehrt worden. Es ist die höchste Auszeichnung der Balearen-Regierung. Mit der MZ sprach sie über Engagement, Macht und Disziplin.

Sie haben sich in Spanien über viele Jahre für ein modernes Bibliothekswesen engagiert. In Alcúdia haben Sie 1989 die Bibliothek Can Torró gebaut. Warum ist Leseförderung so wichtig?

Weil Lesen der Schlüssel zur Bildung ist. Wer nicht lesen kann, hat ein hohes Armutsrisiko.

Sind Sie mit Büchern groß geworden?

Bücher waren mir unheimlich wichtig. Als Kind und junges Mädchen habe ich sehr viel gelesen. Oft nächtelang.

Und heute?

Komme ich leider zu wenig ­dazu. Ich lese meist die Tagespresse oder Fachliteratur. Manchmal auch eine schöne Modezeitschrift.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Leseverhaltens bei Jugendlichen?

Alles ist viel technischer geworden. Dennoch lesen viele Kinder. Oft auch klassische Kinderbücher wie „Fünf Freunde" oder „Die Schatzinsel". Die meisten Kinder sind allerdings heute geübter mit dem Internet oder dem Handy.

Hat das gedruckte Buch noch Zukunft?

Da bin ich ganz sicher. Egal, in welchen Ländern Sie auch unterwegs sind, Sie sehen immer Menschen, die gerne ein Buch in der Hand haben und lesen.

Warum engagieren Sie sich mit Ihrer Stiftung ausgerechnet in Spanien so stark?

Mein Mann war mit dem spanischen Verleger José María Esteve befreundet. Er überredete ihn, hier eine Buchgemeinschaft zu gründen. Das war 1962. Wir waren das erste deutsche Medienunternehmen, das nach Spanien ging. Die Kultur ist uns sehr nahe.

Was gefällt Ihnen besonders daran?

Die Spanier leben oft in der Gemeinschaft, sind familienbewusst und freundlich. Dazu haben sie die­se wunderschöne, vielseitige Landschaft. Und das Mittelmeerklima finde ich faszinierend. Klimabedingt können die Menschen mehr draußen leben. Das hat ihr Verhalten geprägt. Sie sind offener als die Menschen in Deutschland. Das Straßenbild hier ist einfach fröhlicher.

Die Krise hat Spanien und auch Deutschland fest im Griff. Gibt es auch positive Aspekte?

Die Krise hat uns wach gerüttelt. Vieles kommt auf den Prüfstand. Die Krise öffnet uns Fenster, aus denen wir sehen können, dass wir etwas verändern müssen. Die Erkenntnis, dass wir in der Vergangenheit nicht immer alles richtig gemacht haben.

Was für Fragen stellen Sie sich?

Brauchen wir eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte? Wie kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden? Wie schaffen wir nachhaltiges Wachstum? Wo können wir einsparen? Wir sollten das Wort Disziplin wieder benutzen. Ohne Disziplin können Sie die anstehenden Probleme nicht lösen. Wir müssen hart arbeiten. Jeder, egal ob jung oder alt, braucht einen Lebenssinn und - inhalt.

Fällt Ihnen Disziplin leicht?

Nicht immer. Man muss sehr diszipliniert sein, um morgens früh aufzustehen und Sport zu treiben – auch wenn man schlecht geschlafen hat. Berufstätigkeit ist ein Langstreckenlauf. Man muss sich ein Leben lang motivieren. Meine Erfahrung ist, dass große Disziplin – bei Bewegung und Ernährung – auch viel Lebensfreude geben kann.

Was waren die schlimmsten Fehler in der Vergangenheit?

Die Menschen wollen oft viel zu viel. Eine Ursache der Finanzkrise war die Maßlosigkeit. Das ist der Gesellschaft nicht bekommen und hat zu weitreichenden Problemen geführt. Wir brauchen wieder Vorbilder und Geradlinigkeit in der Politik und der Wirtschaft – eigentlich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ohne Vorbilder fehlt es an Orientierung.

Ihre Stiftung in Spanien unterstützt Initiativen, die den Ansatz vertreten, dass jeder etwas für die Gesellschaft tun kann.

Engagement hat nichts mit Reichtum zu tun. Ein Ehrenamt kann jeder ausüben. Das fängt schon in der Schule an. Man muss Kindern bereits beibringen, dass Helfen nicht nur Abgeben bedeutet. Sondern, dass es auch etwas sehr Schönes ist, wenn man etwas für jemand anderen tut. Zum Beispiel in Altenheime zu gehen. Jung und Alt die Hand zu halten, zusammen zu singen und zu leben. Es gibt vieles, was man ehrenamtlich unternehmen kann.

Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen damit?

Ich bin so groß geworden. Ich war mit sechs Jahren katholische Pfadfinderin. Das hat mein ganzes Leben geprägt. Man muss nicht immer Geld geben. Aber man kann für andere da sein. Ob es eine Nachbarin ist, der man eine Zeitung bringt. Oder ein freundliches Wort und ein Lächeln. Wichtig ist es, hinzuschauen, wie es anderen Menschen geht. Denn Einsamkeit wird in unserer Gesellschaft ein immer größeres Problem.

Sie engagieren sich auch sehr für berufstätige Mütter.

Viele Mütter möchten heute nach der Babypause wieder arbeiten. Sie wünschen sich neben der ­Familie auch Erfüllung über den Beruf. Für die Unternehmen lohnt es sich übrigens, wenn sie eine Balance zwischen Familie und Beruf ermöglichen – wir wissen heute, dass der wirtschaftliche Erfolg dieser Betriebe dann deutlich steigt. Immer mehr Unternehmen besinnen sich darauf. Auch wenn es dauert, Kulturen zu verändern.

Wie sehen Sie diese Doppelbelas­tung?

Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist sehr anstrengend. Ich sehe das in unserem Unternehmen. Ich bin ja selbst mit drei kleinen Kindern berufstätig gewesen. Man muss viel organisieren und sich selbst oft zurücknehmen.

Sollen Männer mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen?

Sicher. Wenn beide berufstätig sind, muss auch die Hausarbeit geteilt werden.

Man kann auch sagen: Frauen müssen heute arbeiten …

Der Beruf gibt Frauen Sinnerfüllung und führt zu größerer Zufriedenheit. Und in vielen Familien müssen beide arbeiten, um genug zu verdienen.

Wie wichtig ist Ihnen Macht?

Das Wort Macht bedeutet für mich, etwas zu bewegen. Dinge im positiven Sinne gestalten zu können. Aber man muss sensibel und verantwortungsvoll damit umgehen. Grundsätzlich freue ich mich darüber, dass Frauen immer mehr Spitzenpositionen übernehmen.

Wie viel Zeit verbringen sie in Ihrem Haus in Alcúdia?

Zu wenig – einige Wochen im Jahr. Ich hoffe, dass es irgendwann mehr wird. Mallorca ist mehr als ein Zweitwohnsitz. Die Insel ist auch zur Heimat geworden.

In der Print-Ausgabe lesen Sie außerdem:

– Olga Ferrer: "Ich fühle mich nicht verraten von Matthias Kühn"

– Tango auf Mallorca

– Auf eine Ensaimada mit: Jochen Maiwald

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