Mallorca Zeitung

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Für die Mallorca-Reise braucht es keinen Mann - auch vor 100 Jahren nicht

Sie waren klug, abenteuerlustig und hellsichtig: Ein neues Buch stellt Frauen vor, die vor gut 100 Jahren auf den Spuren von George Sand auf eigene Faust die Insel erkundeten – und dabei zu ganz anderen Schlüssen kamen als die Französin

Die Deutsche Else Seeger zu Esel in Pollença Fons Fotogràfic Bestard / Cerdà

Dass George Sand, französische Schriftstellerin und Gesellschaftskritikerin, im Jahr 1838 gemeinsam mit ihrem Liebhaber Frédéric Chopin einige Monate in Valldemossa verweilte, ist weitgehend bekannt. Und auch, dass es ihr dort nicht sonderlich gut gefiel. Was kaum jemand weiß: Ihr Werk „Ein Winter auf Mallorca“ animierte in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche fortschrittliche Frauen dazu, sich ebenfalls aufzumachen, um die Insel zu erkunden. Wenn man so will, waren sie die ersten weiblichen Reisenden aus Mitteleuropa und den USA, die Mallorca nicht als Anhängsel, sondern auf eigene Faust für sich entdeckten. Und doch haben sie kaum etwas mit dem heutigen Tourismus zu tun. Mehr noch: Viele der Frauen warnten schon damals, dass ein Ausufern des Tourismus der Insel schaden könne.

Von alledem berichtet Jaume-Bernat Adrover in dem dieser Tage erschienenen Buch „Dones viatgeres a Mallorca“ (Reisende Frauen auf Mallorca, Lleonard Muntaner Editor, 25 Euro). Der Kunsthistoriker aus Llucmajor hat sich auf Spurensuche begeben und 16 Frauen ausfindig gemacht, die Mallorca Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts besuchten und ihre Reisen dokumentierten. Sie taten dies teils unter erheblichen Schwierigkeiten und Pseudonymen, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Denn dass Frauen ohne ihre Männer reisten, war nicht gern gesehen. Und erst recht nicht, dass sie wie Abenteurerinnen auch abseits der bekannten Pfade wandelten, dass sie Kontakte zu den Einheimischen aufbauten, sich eingehend mit Land und Leuten beschäftigten und Bücher, Reiseführer und Abhandlungen über ihre Erlebnisse veröffentlichten.

Die undercover-Prinzessin

"Viatgeres a Mallorca" Marie de Behen war eigentlich eine russische Prinzessin

„Einerseits waren sie fortschrittlich für ihre Zeit, setzten sich über Konventionen hinweg. Andererseits wollten sie aber großes Aufsehen um ihre Person in der Presse vermeiden. Gerade weil einige von ihnen aus bekannten Familien stammten. Daher veröffentlichten die allermeisten unter fremdem Namen“, berichtet Jaume-Bernat Adrover. Entsprechend schwer sei es für ihn gewesen, so viel später die eigentlichen Autorinnen der qualitativ hochwertigen Mallorca-Abhandlungen ausfindig zu machen. Der Kunsthistoriker hatte 2017 im Rahmen anderer Forschungsarbeiten das Buch „Mallorca (Baléares)“ in die Hand bekommen. Verfasst hatte es eine gewisse Marie de Behen Anfang des 20. Jahrhunderts. Adrover recherchierte und fand schließlich heraus, dass es sich bei der Autorin um die russische Prinzessin Marie Wolkonsky handelte, die sich leidenschaftlich der Malerei und der Fotografie widmete, als eine der ersten Frauen Mallorcas höchsten Berg, den Puig Major, erklomm, und zu Fuß und auf Eseln bis ins abgelegene Estellencs reiste, wo sie bei Privatleuten um Unterkunft bitten musste. „In ihren Abhandlungen beschreibt sie mit bemerkenswertem Sachverstand auch die Arbeit der Landwirte und die Erntetechniken auf der Insel“, berichtet Adrover. „Da war mein Interesse geweckt. Ich forschte nach und entdeckte, dass es noch weitere Frauen gab, die einst unter ganz ähnlichen Umständen Mallorca erkundeten.“

Mit eigenen Augen sehen

Die 16 Frauen, die Adrover in seinem Buch vorstellt, haben dabei dennoch unterschiedliche Hintergründe. Da sind britische Adlige wie Elizabeth Mary, Gräfin von Westminster, oder H. Belsches, die sich Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr damit zufriedengeben wollten, Souvenirs ihrer Männer zu erhalten, die in der damals in aristokratischen Kreisen populären „Grand Tour“ durch Europa reisten. Sie wollten selbst sehen, was dieser Kontinent zu bieten hatte. „Mallorca war für die meisten nicht das einzige Reiseziel. Vielmehr war es eine von mehreren Stationen auf einer längeren Rundreise durch Südeuropa oder den Mittelmeerraum“, berichtet Adrover.

Dass gerade George Sands Buch, das bekanntlich alles andere als eine Ode an Mallorca ist, die Damen motivierte, die Insel zu besuchen, findet Adrover gar nicht so abwegig. „Meiner Meinung nach wurde George Sand hier auf der Insel gehörig missverstanden.“ Wenn man ihre Erfahrungen von dem Winter mit Frédéric Chopin in Valldemossa liest, müsse man bedenken, dass ihre persönliche Situation schwierig gewesen sei – schließlich war Chopin krank, und sie als geschiedene Frau wurde misstrauisch beäugt. „Aber sie selbst sagte später auch, dass Mallorca durchaus seinen Reiz habe.“

Buchautor Jaume-Bernat Adrover B.Ramon

Die meisten der Frauen, die es Sand nachtaten, machten denn auch bessere Erfahrungen. Nicht nur, dass sie keinen so regenreichen Winter wie die Französin auf der Insel erwischten. In der Regel waren ihnen die Anwohner auch wohlgesonnener als der mondänen Liebhaberin des Musikers. Zwar wurde H. Belsches, die „aus Spaß“ in Begleitung mehrerer Freundinnen 1878 über die Insel tourte, kurzzeitig in Valldemossa als Spionin verhaftet, da man die im viktorianischen Stil gekleideten Damen nicht richtig einordnen konnte. Das Missverständnis war jedoch schnell geklärt, und die Frauen kamen frei. „Man trat ihnen überrascht, aber in der Regel wohlwollend gegenüber. In Artà lud man sie zum Rauchen ein, da die Bewohner gehört hatten, dass alle englischen Ladys dem Tabak verfallen seien. Sogar zur Jagd wollte man sie mitnehmen, aber sie lehnten dankend ab und besichtigten stattdessen lieber die Höhlen von Artà.“

Drei deutsche Frauen

Auch die drei deutschen Frauen, die Adrover in seinem Buch porträtiert, pflegten guten Kontakt zu den Insulanern. „Allerdings war es besonders schwer, biografische Informationen über sie zu sammeln, sie waren sehr diskret“, so Adrover. Da ist zum einen die Archäologin Else Seeger, die 1910 ihr Werk „Streifzüge auf Mallorca“ veröffentlichte. „Sie war vor allem in Pollença unterwegs und lernte dort, wohl über ihre Unterbringung in einer Herberge, den Fotografen Guillem Bestard kennen, der sie wiederum mit der deutschen Residentin Clara Hammerl und ihrem Mann Guillem Cifre de Colonya bekannt machte“, so Adrover. Überhaupt sei auffallend, wie groß das Interesse der Frauen an der hiesigen Kultur war. „Die meisten kamen sehr gut informiert an, verfügten auch über Sprachkenntnisse und beschäftigten sich wirklich mit dem, was sie hier sahen. Daher würde ich sie auch nicht als Touristen bezeichnen. Es waren Reisende, die die Authentizität, das echte Mallorca suchten und die Mentalität der Menschen wirklich verstehen wollten.

Ebenso die Deutsche Gertrud Richert, die als Kunsthistorikerin an der Uni Barcelona arbeitete und eine der Ersten war, die sich für mittelalterliche Kunst aus Katalonien interessierte. „Sie brachte 1927 den Reiseführer ‚Barcelona‘ heraus, in dem sie ein Kapitel auch Mallorca widmete“, so Adrover. Unter anderem erwähnte sie lobend Attraktionen, die noch heute zu den größten Touristen-Magneten zählen, wie beispielsweise die Drachenhöhlen (Coves del Drach) in Portocristo.

Die dritte Deutsche, Klara Rumbucher, zog es in den 1930er-Jahren auf die Mittelmeerinsel, wie aus ihrem 1934 erschienenen Buch „Frühling in Spanien“ hervorgeht. Die Gymnasiallehrerin durchwanderte nicht nur die gesamte Tramuntana, sie nahm sich auch der mallorquinischen Literatur an und übersetzte mehrere lyrische Werke bekannter mallorquinischer Dichter ins Deutsche.

Gut bei Kasse

„All diese Frauen waren gebildet und eloquent. Natürlich waren sie auch wohlhabend, sonst hätten sie sich eine solche Reise nicht leisten können. Doch das trifft auf Männer wie Erzherzog Ludwig Salvator ja auch zu und schmälert nicht den Wert ihrer Arbeiten“, findet Adrover. Jeder der 16 Frauen ist in dem Buch ein biografischer Teil gewidmet, den der Kunsthistoriker selbst recherchiert hat, danach folgen Analysen und Auszüge ihrer Werke.

Beeindruckend ist auch die Geschichte der US-Amerikanerin Nina Larrey. „Sie ist die feministischste aller Frauen in meinem Buch. Sie floh vor ihrem Mann, der sie misshandelte, nach Europa, gründete im Ersten Weltkrieg eine Hilfsorganisation und veröffentlichte 1927 ein Buch über Mallorca“, so Adrover.

„Was mich am meisten überraschte, war, wie klar und weitsichtig die Frauen schon damals vor einem ausufernden Tourismus auf Mallorca warnten, der der Insel ihre Identität nehmen könnte“, berichtet Adrover. Das treffe vor allem auf die Frauen zu, die Ende der 20er- und Anfang der 30er-Jahre Mallorca bereisten. Auf ihrer Suche nach Authentizität sei es ihnen bitter aufgestoßen, dass in den 20er-Jahren etliche Hotels errichtet wurden, dass der neu gegründete Fremdenverkehrsverband die Werbetrommel rührte und die Insel ihren Stellenwert als Geheimtipp verlor.

Auch sie machten neugierig

Tatsächlich gibt Adrovers Buch nicht nur einen Einblick in die Lebens- und Vorstellungswelt abenteuerlustiger Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es beschreibt durch deren Berichte auch den Mentalitätswandel und die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auf der Insel vollzogen. „Gerade in den 20er-Jahren veränderte sich hier sehr viel, und die Frauen nahmen das wahr“, so Adrover. Dass die Autorinnen mit ihren Veröffentlichungen ebenfalls dazu beitrugen, Interesse an der Insel zu wecken, sei dahingestellt.

Die letzte der 16 im Buch aufgeführten Frauen, Lady Sheppard, ließ sich gar mehrere Monate lang in Fornalutx nieder. „Sie war dort sehr gut integriert, nahm am Dorfleben teil und ging sogar auf Schlachtfeste“, sagt Adrover. Dies, solange es die politischen Umstände erlaubten. Der spanische Bürgerkrieg machte dem Zustrom reiselustiger Frauen ein Ende. Der Zweite Weltkrieg tat sein Übriges. Bis in den 50er-Jahren der Massentourismus begann – und sich die Befürchtungen der Frauen nach und nach verwirklichten.

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