Mallorca Zeitung

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Eine Tagesreise auf der längsten Strecke von Mallorca – vom Sonnenaufgang in den Sonnenuntergang

Die Tour führt von Cala Mesquida im Osten bis nach Sant Elm im Westen von Mallorca

Cala Mesquida bei Sonnenaufgang Ingo Wohlfeil

Mallorca ist in seiner maximalen Ausdehnung circa 78 Kilometer lang (von Nord nach Süd) und circa 98 Kilometer breit (von West nach Ost). So weit, so gut. Aber was ist eigentlich die längste direkte Strecke auf Mallorca zwischen zwei Orten? Die meisten würden spontan auf den Ausgangspunkt Cap Formentor tippen, dem nördlichsten Punkt der Insel. Doch nach Zuhilfenahme von Routenplanern erweist sich die Strecke von der Cala Mesquida im Nordosten bis zum Ortskern Sant Elm im Südwesten als die längste. Ganze 120 Kilometer. Es ist eine Reise vom Sonnenaufgang in den Sonnenuntergang. Zumindest, wenn man sich die Zeit nimmt.

Die Route ist je nach Verkehrslage in knapp anderthalb Stunden zu bewältigen. Viel Schnellstraße, viel Autobahn. Abwechslung bieten höchstens die Kreisverkehre. Highlight zum Schluss: die Serpentinen bis nach Sant Elm. Ich beschließe deshalb, die Strecke zu strecken, indem ich in den meisten Orten auf der Tour mehr Zeit widme als sonst, sodass die Reise tatsächlich vom Morgengrauen bis in den Abend führt.

Cala Mesquida – 7.30 Uhr

Langer Sandstrand, Dünen, Kiefernwälder, Felsen, klares Wasser. Naturschutzgebiet. Blick auf das Cap de Freu. Cala Mesquida ist ein schöner Ort. Die wenigen Hotels sind zum Zeitpunkt meiner Reise ausgebucht. Im Winter 40 Einwohner, im Herbst überlaufen. Doch als ich kurz vor Sonnenuntergang gegen 7.30 Uhr den besten Platz für das schönste Foto suche, begegnen mir grade mal fünf Menschen. Eine Joggerin, die ihre ewig gleichen Bahnen läuft in dem überschaubaren Dörfchen und vier Touristen, die den Sonnenaufgang mit dem Handy fotografieren wollen. Die Cafés und Supermärktchen sind noch geschlossen. Es gibt keinen Kaffee. Deshalb beschließe ich, nach den ersten Sonnenstrahlen den Ort zu verlassen.

Cala Mesquida bei Sonnenaufgang. Ingo Wohlfeil

Capdepera – 8 Uhr

Ein erster kurzer Stopp an einer Weggabelung für einen Blick auf das Wahrzeichen der kleinen Gemeinde Capdepera, das Castell de Capdepera. Eine Befestigung aus dem 14. Jahrhundert, die jetzt noch über dem Städtchen thront. Der Wein steht kurz vor der Lese. Die Trauben sind rot und prall gefüllt.

Dieser Morgen hat es farblich in sich. Er lässt die Landschaft wirken wie ein Ölgemälde in Pastell.

Weinstöcke bei Capdepera, im Hintergrund die Festung des Ortes. Ingo Wohlfeil

Artà – 8.15 Uhr

Dieses Städtchen auf dem Hügel mit Pfarr- und Wallfahrtskirche sowie Festung aus maurischer Zeit zieht eher selten den Partytouristen an. Hier macht der Bildungsbürger Urlaub und verbringt den Tag abseits des Strandes in Boutiquen, Galerien und in den zahlreichen Bars, Restaurants und Cafés. Artà lädt schon am Morgen zum Verweilen ein. Kleine saubere Gassen, ein Stadtbild, das größtenteils seit Jahrhunderten unverändert daliegt. Es riecht nach Kunst, Kultur und Kaffee. Und der kostet in der Cafeteria Pas a Nivell gleich neben dem ehemaligen Bahnhof nur 1,60 Euro.

Café am Bahnübergang in Artà. Ingo Wohlfeil

Sant Llorenç des Cardassar – 9 Uhr

Am 9. Oktober 2018 kam der Tod über die Kleinstadt im Osten der Insel. Bei schwersten Unwettern trat der Torrent, also der Sturzbach, der mitten durch den Ort führt, über die Ufer. 13 Menschen starben. Zurück blieb ein Trümmerfeld. Ich parke direkt neben dem Torrent Ses Planes. Er ist staubtrocken. Erstaunt bin ich darüber, wie niedrig doch die Begrenzungen dieses einst mörderischen Abflusses sind. Gerade mal zwei Meter sind die Mauern hoch. In der 9.000-Seelen-Gemeinde ist rein gar nichts mehr von den Überschwemmungen zu bemerken. Klein, gepflegt, nix los am Montagmorgen. Im obligatorischen Café an der obligatorischen Kirche im Zentrum sitzen gerade mal vier Einheimische. Touristen sind keine zu sehen. Dennoch scheint hier häufig mehr Stimmung zu sein. Überall machen Schilder auf das Verbot von Saufgelagen aufmerksam. „Prohibit botellot“. Wer in der Gruppe trinkt, riskiert eine Strafe von bis zu 3.000 Euro. Davon bin ich weit entfernt.

Denkmal für die Opfer der Sturmflut in Sant Llorenç. Ingo Wohlfeil

Manacor – 10 Uhr

Manacor gilt manchen als hässlichste Stadt Mallorcas. Auch mir scheint, die Umgehungsstraße um die zweitgrößte Stadt der Insel wurde nur gebaut, um dem Touristen die architektonische Disharmonie Manacors zu ersparen. Umgeben ist die Stadt von äußerst unansehnlichen Gewerbegebieten. Ich mische mich unter die 45.000 Einwohner und zahlreichen Urlauber, die in den kleinen Gassen Schutz vor der Herbst-Hitze finden. Die Innenstadt lädt durchaus zum Bummeln ein. Rund um die Pfarrkirche Parròquia de la Mare de Déu dels Dolors gibt es Dutzende Boutiquen. Die Stadt wirkt wie eine Patchworkarbeit. Neubauten, Bauruinen, Baustellen und Denkmalschutz reihen sich aneinander. Echte Ästhetik erlebe ich nur im Inneren des Kirchenschiffs (s. Foto). Zu erwähnen sei noch der umfangreiche Kleidermarkt nahe der Kirche. Da gibt es Sommerkleider ab drei Euro. Mein Tipp: Fahren Sie zukünftig bei schlechtem Wetter antizyklisch. Shoppen in Manacor statt in Palma. Ist günstiger und ohne Stau.

In der Kirche von Manacor.

In der Kirche von Manacor. Ingo Wohlfeil

Es Cruce – 11.30 Uhr

Dieses Restaurant ist ein Phänomen. Es Cruce (Die Kreuzung) liegt zwischen Manacor und Vilafranca de Bonany an einem großen Kreisverkehr, der alleine schon dank seiner imposanten Metallfiguren-Installation des Künstlers Miguel Sarasate eine Attraktion ist. Es gibt Hunderte Park- und Hunderte Sitzplätze. Es Cruce wirkt wie eine 80er-Jahre Großkantine für die ganze Familie und ist unschlagbar billig und schnell, aber man muss hart im Nehmen sein. Laut, spartanisch und fettige Speisen, wie sie nur der Mallorquiner mag. Als ich diesen Ort betrete, kommen all die alten und schlechten Erinnerungen wieder hoch; der unfreundliche Kellner, die Massenabfertigung, die Karte auf Mallorquinisch, die sanitären Anlagen. Ich beschließe, woanders zu essen. Wollte Es Cruce aber auf jeden Fall erwähnt haben.

Am Kreisverkehr vom Es Cruce. Ingo Wohlfeil

Vilafranca – 11.45 Uhr

Es wird viel gebaut in Vilafranca de Bonany. Ein Ort im Inselinneren, der mich bisher nicht interessiert hat und mich wohl auch künftig nicht interessieren wird. Vilafranca ist nicht nur mausetot am Montagmittag, es gibt nicht einmal ein Café oder eine Kneipe neben der Kirche, wie in fast allen anderen Orten der Insel. Aber hier muss wohl keiner mehr nach 18 Uhr vor die Tür. Es sei denn, es ist September und das Melonenfest steht an. Dann steppt kurz der Bär in der staubigen Provinz.

Vilafranca de Bonany. Tomeu Obrador

Puig de Sant Miquel – 12.15 Uhr

Ein paar Kilometer weiter kommt ein Abzweig, der mich auf einen kleinen Hügel auf 247 Meter Höhe führt: der Puig de Sant Miquel. Hier herrschten einst die Tempelritter. Heutzutage steht hier eine Wallfahrtskirche und ein Restaurant, das ganzjährig geöffnet hat. Und beliebt zu sein scheint. Der Kellner erklärt mir erst einmal, was es alles nicht mehr gibt auf der Karte. „Am Wochenende wurde alles aufgegessen.“ Na gut. Pa amb oli ist noch da. Ein bisschen Salat gibt es auch noch. Alles doppelt so teuer wie im Es Cruce, aber dafür habe ich auch einen wunderschönen Blick über das Inselinnere.

Restaurant am Puig de Sant Miquel Ingo Wohlfeil

Montuïri – 14 Uhr

Die „Skyline“ von Montuïri ist einer der schöneren Anblicke von der Schnellstraße. Zwar hat das Dorf nur über 3.000 Einwohner, wirkt aber größer, alleine weil es gleich drei Abfahrten hat von der Ma-15. Als ich hineinfahre, gerate ich gleich in einen Stau. Schulschluss, und die Eltern holen ihre Kinder gerne persönlich mit Pkw von der Schule ab. Ich könnte jetzt noch hier schnell ins archäologische Museum gehen, um mir Funde aus der Zeit der mysteriösen Ureinwohner Mallorcas, den Erbauern der talaiots anzugucken, aber es ist schon 14 Uhr. Nur noch fünfeinhalb Stunden bis Sonnenuntergang. Ich muss mich sputen.

Blick auf Montuïri. Ingo Wohlfeil

Puig de Randa – 14.30 Uhr

Serpentinen auf Mallorca sind eine tolle Sache, besonders für Fahrradfahrer und Wanderer, die einen ihrer Höhepunkte auf dem Puig de Randa erleben. 572 Meter hoch entspringt er dem flachen Land. Wer es nach oben schafft, wird mit einer Aussicht bis zum Tramuntana-Gebirge belohnt. Schon der große mallorquinische Philosoph und Theologe Ramon Llull zog sich hier vor 800 Jahren zum Nachdenken und Visionieren in eine Höhle zurück. Die kann heute noch besichtigt werden. Den Schlüssel zur Höhle gibt es im Kloster Santuari de Cura auf der Spitze des Berges, wo die Radfahrer im Übrigen hochanständig versorgt werden.

Ausblick vom Santuari de Cura. Ingo Wohlfeil

Algaida – 15 Uhr

Viele Dörfer im Landesinneren ähneln sich. Enge schattige Gassen mit Häusern mit kleinen Fenstern, die nach außen eher lebensfeindlich, uneinladend wirken. Kirche, Kneipe, meinetwegen noch ein Korkenzieher- oder Glasbläser-Museum. Ich empfinde diese Orte höchstens als nett, aber ehrlicherweise fad. Dazu gehört auch Algaida, obwohl mich bei der Einfahrt in das Dorf farbenfrohe Wimpel begrüßen, die wohl vom letzten Patronatsfest übrig geblieben sind. In Reiseführern wird der Ort gepriesen, weil er nur 24 Kilometer von Palma entfernt ist. Na dann.

8warten auf das nächste patronatsfest algaida Ingo Wohlfeil

Planespotting bei Sant Jordi – 15.30 Uhr

Es gibt Menschen, die gerne Flugzeugen beim Landeanflug zusehen. Woher diese Leidenschaft kommt, kann ich mir nicht erklären, aber es ist schon ganz eindrucksvoll, wie die Jets zwischen Sant Jordi und Sa Casa Blanca an der Ma-5013 am Kreisverkehr Camí de Sant Jordi nur wenige Meter über meinen Kopf hinwegdonnern und wenige Sekunden später am Flughafen Son Sant Joan aufsetzen.

Planespotting in Sa Casa Blanca Ingo Wohlfeil

Sterben in Palma – 16 Uhr

Wer in Palma stirbt, sollte zu Lebzeiten dringend dafür gesorgt haben, dass er ein feuchtes Plätzchen auf dem Zentralfriedhof der Hauptstadt bekommt. Der Cementeri direkt an der Autobahn ist der schauerlich-schönste der ganzen Insel. Ein totes Meer von Gräbern und Mausoleen. Als ich diesen steinernen Garten betrete, ist er ein lebensfeindlicher Ort. Windstill und schattenlos bei 30 Grad. Ich sehe graue Engel, Kreuze, Grabplatten, die verblichenen Bilder der Verstorbenen. Viele Gruften der bekanntesten Familien Mallorcas befinden sich hier. Die größte Gruft mit 500 Quadratmeter gehört übrigens der Familie des legendären Bankers und Schmugglers Juan March.

Auf dem Friedhof von Palma. Ingo Wohlfeil

Auf der Suche nach Maria – 16.45 Uhr

Ich komme mir vor wie auf einer chinesischen Sieben-Tage-Europa-Reise. Kirchen, Klöster, Kreuze in knappster Zeit. Aber Mallorcas Religiosität ist von der Autobahn aus gut zu beobachten. Diese große Figur da ist das beste Beispiel. Nostra Senyora de Pau, auf vulgärdeutsch: Friedensmaria. Da will ich noch hin, da ich die ganzen Urlaubsorte an der Ma-1 Richtung Andratx hinlänglich kenne. Abfahrt in Gènova und dann auf den Coll de Creu, den ich mit Kreuzhügel übersetze. Ich fahre kilometerweit durch bewaldetes militärisches Sperrgebiet ohne Wendemöglichkeit und ohne Maria. Ich finde sie nicht, weil ich auf das Navi verzichte. Stattdessen gelange ich nach Calvià.

Hügel in Richtung Coll de Sa Creu. Ingo Wohlfeil

Calvià – 17 Uhr

Calvià ist Hauptort des gleichnamigen Verwaltungsbezirks, zu dem bekannte Urlaubsorte wie Puerto Portals, Magaluf, Santa Ponça und Peguera gehören. Reichste Gemeinde Mallorcas, zweitteuerste Spaniens. Calvia ist als Verwaltungssitz der strandreichsten Insel-Gemeinde sonderbar, es liegt mitten im Gebirge und hat gerade mal 2.500 Einwohner. Das Dorf wirkt gegen 17 Uhr menschenleer. Neben der Kirche haben Tauben ein verlassenes Restaurant besetzt. Tonnenweise liegt der Vogelkot in dem Gebäude, dazwischen Tauben-Kadaver. Farbenfroher kommt die Musikschule daneben daher. Hier wird auf einer liebevoll gestalteten Tafel die Geschichte der Gemeinde erzählt.

Die Geschichte von Calvià auf einem Wandbild an der Musikschule.

Die Geschichte von Calvià auf einem Wandbild an der Musikschule. Ingo Wohlfeil

Durch die Tramuntana

Als die Sonne fast im Westen steht, beginnt der letzte und schönste Teil der Reise. Von Calvià geht es durch Es Capdellà runter nach Andratx und von dort durch die hügelige Landschaft über Serpentinen in das einstige Fischerdörfchen Sant Elm. Ein Ort, wie gemalt. Im Restaurant Es Raor an der äußersten West-Spitze herrscht Personalmangel. Mehr als die Hälfte der Tische bleibt unbesetzt. So verteilen sich einige wenige Touristen rund um das Restaurant an den Klippen, als die Sonne in sattem Orange untergeht. Ein letztes Foto einer zwölfstündigen Reise. Als der Leuchtturm auf der vorgelagerten Insel Sa Dragonera mit seiner Arbeit beginnt, ist meine beendet. Ich habe an einem Tag mehr von Mallorca gesehen als im ganzen bisherigen Jahr. Vielleicht sollte ich mir das alles noch mal in Ruhe anschauen.

Sonnenuntergang in Sant Elm. Ingo Wohlfeil

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