Mallorca Zeitung

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Das andere Lichtwunder von Mallorca

Vor 60 Jahren entwarf Josep Ferragut die Kirche La Porciúncula an der Playa de Palma. Von der lichtdurchfluteten Glaskirche und ihrem Schöpfer im Schatten

Eine komplexe Stahlbeton-Konstruktion aus 37 Streben, die Fenster aber in der Handwerkskunst des Mittelalters: Die von außen unscheinbare „Glaskirche“ entfaltet im Innern ihre Wirkung. Nele Bendgens

Mittags, wenn die Sonne an ihrem höchsten Punkt steht, erstrahlt auch La Porciúncula am prächtigsten. Die Strahlen fallen durch die Rosette im Zentrum der Kuppel mit ihren Glasscheiben in Gelb- und Rottönen und tauchen den Kirchenraum in warmes Licht. Es steht im Kontrast zum vorherrschenden Blau der 37 vertikalen Kirchenfenster ringsum, deren Glanz im Gegenlicht fast vergessen lässt, dass La Porciúncula eine Konstruktion aus Stahlbeton ist. „Man fühlt sich geborgen und wie in einer anderen Welt“, sagt Pere Ribot.

Der Franziskaner ist der Prior von La Porciúncula, und das Gefühl, das er beschreibt, das habe er heute genauso wie damals, im Jahr 1968, als er die Kirche nach ihrer Fertigstellung zum ersten Mal betrat. Er halte sich oft alleine hier auf, nicht nur in den Mittagsstunden, sondern auch am Morgen, wenn die Sonne aus dem Osten zunächst die Fenster der Eingangsfassade erstrahlen lässt: Gerade im Winter strömt das Licht quasi horizontal herein. Oder auch am Abend, wenn die letzten Strahlen im Westen über dem Altar verschwinden – ein Lichtwunder, das sich im Gegensatz zur viel bekannteren und stark frequentierten Kathedrale von Palma ganz alleine erleben lässt.

Die Glaskuppel im Zentrum des Dachgewölbes. Nele Bendgens

Ruhiger Nachbar des Ballermann

La Porciúncula, deren Bauprojekt vor inzwischen genau 60 Jahren auf den Weg gebracht worden war, dürfte die von Mallorquinern wie Urlaubern am meisten unterschätzte Kirche Mallorcas sein, obwohl sie so nahe an der Playa de Palma steht. Das liegt zum einen an ihrer versteckten Lage, mitten in einem Kiefernwald im Hinterland des Urlaubsstrands, und ihrem grauen Äußeren, das im Kontrast zum Farbwunder im Innern steht. Es liegt aber auch an ihrem Schöpfer, Josep Ferragut, einem genauso bemerkenswerten wie vielen Menschen unbekannten Architekten, der im Jahr 1968 unter nie geklärten Umständen ermordet wurde.

Der Prior der Porciúncula, Pere Ribot, hat den Bau als junger Mann miterlebt. Nele Bendgens

Prior Ribot führt seinen Besucher nicht durch den Haupteingang in die Kirche, sondern zunächst durch ein Seitengebäude, wo sich eine Dauerausstellung über den Weg „Vom Landleben zum Tourismus“ befindet, und bleibt dann vor einem Gemälde stehen. Es zeigt Antonio Bauzà, Provinzial des Franziskaner- Ordens in den 60er-Jahren. Ribot beschreibt den Geistlichen, der lange Jahre in den USA gelebt hatte, als Mann, der mit Geld umzugehen und dies für den Glauben einzusetzen wusste. Bauzà gab Ferragut den Auftrag für die Kirche, die den Namen La Porciúncula tragen sollte.

In Verehrung von Franziskus

„Porziuncola“, das bedeutet im Italienischen „kleines Stück Land“ und ist der volkstümliche Name der Kapelle Santa Maria degli Angeli bei Assisi – hier in Umbrien starb 1226 Franziskus von Assisi, hier nahm der franziskanische Orden seinen Ursprung. Bei den Geistlichen an der Playa de Palma handelt es sich um den sogenannten Dritten Orden des heiligen Franziskus. Der Orden erwarb das 23-Hektar-Landgut 1914. Die Pater erbauten ein Kloster, eine erste Kapelle, ein Priesterseminar.

Als dann zu Beginn des Tourismusbooms ringsum die ersten Hotels entstanden, kam die Idee für den Neubau auf. „Hier in der Gegend gab es keine Kirche, und die Hotelangestellten sollten einen spirituellen Ort haben“, erklärt Ribot. Eine Kirche, die keinen Vergleich scheuen brauchte, wie Josep Lluís in seinem neuen Buch „60 de seixanta“ schreibt, das Phänomenen und Orten rund um die Zahl 60 gewidmet ist. „Pater Bauzà stellte eine interessante Überlegung an: Wenn alle diese Gebäude zur Erholung der Menschen gebaut wurden, durfte das Haus Gottes dann dahinter zurückstehen?“

Die Eingangsfassade der Porciúncula. Nele Bendgens

Der Architekt

Ferragut war damals der wichtigste Architekt der Insel, gemessen an der Zahl der Bauprojekte seines Büros, aber auch ihrer ästhetischen Bedeutung. Auf das Konto des ebenso kreativen wie spirituellen Mallorquiners gehen Wohngebäude und Industrieanlagen genauso wie das Gesa-Gebäude oder die Instandsetzung des Schreins der Jungfrau von Lluc. Nach bereits eingespielter Zusammenarbeit mit Ferragut ließ ihm Bauzà für die Porciúncula freie Hand, so denn ein würdiges Gotteshaus entstehen würde. Ferragut kombinierte Tradition und Moderne. Einerseits konzipierte er eine komplexe Betonkonstruktion im Stil des Brutalismus – der Name rührt nicht vom Wort Brutalität her, sondern vom damals innovativen Material, dem sichtbaren Rohbeton (béton brut). Andererseits entstanden die Glasfenster wie einst in den gotischen Kirchen in mittelalterlicher Handwerkstechnik mittels Bleiverglasung – die Glasstücke werden durch Bleiruten eingefasst.

Der Tod, ebenfalls Teil der Schöpfungsgeschichte. Nele Bendgens

Für eine Würdigung der Motive würde auch eine längere Predigt nicht ausreichen – sie machen ein Innehalten vor jedem einzelnen Fenster nötig und spannen einen weiten Bogen von Schöpfung und Bibel bis hin zum Franziskaneruniversum. Ribot ärgert sich über einen Sprung im Glas, den er gerade entdeckt, und weist auf Besonderheiten hin: hier eine mallorquinische Mühle, dort der Gelehrte und Franziskus-Anhänger Ramon Llull, hier stilisierte Olivenzweige, dort das franziskanische Ordensgelübde.

Es sind Eindrücke, die auch Judit Vega auf sich wirken ließ, als sie vor knapp drei Jahren zum ersten Mal die Kirche besuchte. Der Prior ließ die Kunsthistorikerin, die Palmas Sitz der Fernuni UNED leitet, eine Stunde allein mit der Stille und dem Werk von Ferragut. Danach beschloss Vega, eine Doktorarbeit über Mallorcas kaum beachteten Architekten zu schreiben, die nun kommendes Jahr fertig werden soll.

Deutsche Gläubige zu Gast

Eine besondere Beziehung zur Porciúncula haben auch die deutschsprachigen Gläubigen auf Mallorca – ohne eigenes Gotteshaus auf der Insel sind sie zu Gast in denen der Mallorquiner, ab und an auch in der Glaskirche. So etwa die deutschsprachige evangelische Gemeinde am vergangenen Samstag, anlässlich der Einführung des neuen Kirchenvorstands. Pfarrerin Martje Mechels befindet sich gerade dort, als die MZ bei ihr auf dem Handy anruft. Immer zu besonderen Anlässen, zur Konfirmation oder zum Gemeindefest, feiere man Gottesdienst in dieser lichtdurchfluteten, ausdrucksstarken Kirche, erzählt Mechels und lobt die herzliche Gastfreundschaft der Franziskaner. Auch die Schule Eurocampus hat heute auf dem Gelände ihren Sitz.

Und dann ist da der Grundriss der Porciúncula, in der sich die Merkmale des architektonischen Rationalismus zeigen – Schlichtheit, Nützlichkeit, Demokratie – sowie die Ideen des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspiegeln: Pfarrer und Gläubige stehen sich in dem eiförmigen Bau nicht frontal gegenüber, vielmehr sollen die Laien in den nach einem Fischgrätenmuster angeordneten Bänken im Kirchenschiff mehr Anteil an der Liturgie haben. Weitere Sitzbereiche gibt es zudem im Chorraum selbst, für die Ordensbrüder und die einstigen Seminaristen. „Wenn wir heutzutage einen Kindergottesdienst machen, nehmen alle Besucher hier Platz“, erklärt der Prior und zeigt ringsum – die Atmosphäre sei dann intimer.

Das Tabernakel ist der Bundeslade nachempfunden. Nele Bendgens

Zum Schluss führt der 78-Jährige noch zum Tabernakel, dem Aufbewahrungsort der Hostien. Der Quader aus Altsilber ist der Bundeslade nachempfunden, in der einst die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden. Vom mallorquinischen Bildhauer Jaume Mir gefertigte Engel aus Bronze tragen das Tabernakel mit biblischen Abbildungen aus glasierter Keramik – und berühren in ihren Tanzbewegungen mit keinem Fuß den Boden.

Weihnachtsgottesdienst mit Sibyllengesang in der Porciúncula: 24.12., 19 Uhr.

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