Mallorca Zeitung

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Mysterium Talaiot: So entdecken Sie sechs prähistorische Schätze auf Mallorca

Die Talaiot-Kultur auf Menorca ist seit Kurzem Welterbe. Inwiefern Mallorca den Vergleich nicht scheuen muss, woran es bislang hakt und was jetzt passiert

Der Puig de Sa Morisca in Santa Ponça ist Teil eines Archäologieparks und soll bald auch ein eigenes Museum haben. Parc Arqueològic.

Seit dem Herbst gibt es einen Grund mehr, Menorca zu besuchen: Mallorcas Nachbarinsel hat sich für ihre Talaiot-Stätten den Welterbe-Titel der UNESCO erkämpft. Zahlreich, monumental und bestens erschlossen – nirgendwo sonst lässt sich die Epoche zwischen Bronzezeit (1.600 v. Chr.) und später Eisenzeit (123 v. Chr.), die ihren Namen von den turmartigen Bauten hat, besser erleben.

Die Auszeichnung für Menorca ist freilich keine Herabwürdigung für Mallorca. Wenn man sich auf ein halbes Dutzend der sehenswertesten Stätten konzentriere, müsse die größte Balearen-Insel keinen Vergleich mit der Nachbarinsel scheuen, stellt Manel Calvo klar. Der Archäologieprofessor und Beauftragte für Kulturerbe in der Gemeinde Calvià, der gerade am Projekt für ein Talaiot-Museum am Puig de sa Morisca mitarbeitet, sieht Menorca vor allem als Vorbild hinsichtlich der Erschließung und Aufbereitung für Besucher. Die intensive Arbeit für den UNESCO-Titel habe sich gelohnt.

Denn so sehenswert Mallorcas Ruinen sind, so ausbaufähig ist ihre Erschließung. Während Menorca das talaiotische Erbe auf seinem Online-Portal übersichtlich und detailreich präsentiert (descobreixmenorca.com), gibt es auf dem balearischen Portal illesbalears.travel für Mallorca nur eine unvollständige Liste ohne praktische Infos oder Links, auf dem Portal des Inselrats (mallorca.es) nicht mal das. Die Präsentation ist den einzelnen Stätten überlassen. Während das im Fall von Son Fornés bei Montuïri gut gelingt – die Talaiots lassen sich sogar virtuell besuchen –, gibt es für die meisten anderen Stätten oft nur schlecht auffindbare Online-Infos, die unvollständig, schlecht übersetzt oder veraltet sind, teils mit kaputten Links.

Ein Museum in Santa Ponça

Umso gespannter darf man auf die Neuerungen auf dem Puig de sa Morisca in Santa Ponça sein. Der dortige Parc Arqueològic, der laut dem Rathaus Calvià rund 70.000 Besucher im Jahr zählt, wird ausgebaut und bekommt ein eigenes Museum. Die zuständige Stiftung aus Gemeinde, Inselrat, Landesregierung und Balearen-Universität (UIB) trat im Frühjahr 2023 zusammen. Das Gebäude mit 1.500 Quadratmetern auf zwei Stockwerken, das mit Mitteln von rund 1,8 Millionen Euro aus der Touristensteuer finanziert wird, steht inzwischen. Die Vorbereitung der Ausstellung dürfte aber laut Calvo noch rund ein Jahr in Anspruch nehmen.

Aber schon jetzt gibt es ein umfangreiches, vor allem pädagogisches Programm: In Workshops hören Kinder Urzeit-Geschichten, malen und bauen wie die Bewohner der Talaiot-Zeit, lernen die Herstellung von Schmuck und das Schleudern von Steinen oder gehen auf Schnitzeljagd zwischen Talaiots. „Wir beginnen wieder am 15. Januar, haben aber schon jetzt Reservierungen für 4.000 Kinder“, so Koordinator David Javaloyas. „Wir sind an jedem Schultag bis zum Ende des Schuljahres ausgebucht.“ Auch für Erwachsene stehen regelmäßig Workshops und Vorträge auf dem Programm.

Es gibt jede Menge zu lernen: Zwar entstanden während des Talaiotikums ähnliche Bauwerke auch anderswo im Mittelmeerraum, doch gilt die Kultur auf den Balearen jener Zeit als weitgehend eigenständige Entwicklung. Aus einer ersten Phase sind vor allem allein stehende Türme, Grabstätten oder Wasserspeicher bekannt, in einer zweiten Phase kamen ummauerte Einfriedungen hinzu. Von Säulen getragene Säle (Hypostyle) sind das Markenzeichen der dritten Phase. Dazu lassen etwa Keramikfunde auf Handel mit seefahrenden Kulturen schließen. In der vierten und letzten Phase entstanden zahlreiche Heiligtümer (Sanktuarien), und die Menschen gingen von der Einäscherung zur Bestattungsform in Fötusstellung über.

Tipps für Ausflüge

Wer die Talaiot-Kultur Mallorcas erleben will, sollte am besten sechs Orte besuchen, rät Calvo (siehe unten). Dabei bestehe keine Gefahr eines Déjà-vu. Jede Stätte habe ihren eigenen Charakter – hinsichtlich ihrer Bauweise, aber auch der Umgebung – und sei eine Einladung, auch gleich die Umgebung einschließlich Natur oder etwa Gastronomie kennenzulernen.

Über die empfohlenen Orte hinaus ist eine Erkundung des Talaiot-Erbes von Mallorca schwierig. Bedeutende Stätten wie etwa Es Rossels bei Cas Concos (Gemeinde Felanitx) oder Les Talaies de Can Jordi (Santanyi) befinden sich auf Privatgrund oder sind nicht erschlossen. Almallutx liegt am Grund des Stausees Gorg Blau. Und Son Oms musste dem Fortschritt Platz machen – der Landebahn des Flughafens.

Der Talaiot (re.) hat 17 Meter Durchmesser. Son Fornés

Son Fornés: Der größte Talaiot

Wer seinen ersten Talaiot besucht und ein Gefühl für die Monumentalität der Bauten haben will, für den ist Montuïri die richtige Anlaufstelle. In der Gemeinde gibt es nicht nur den wohl größten Turmbau aus der Zeit, sondern auch ein kleines archäologisches Museum in einer restaurierten Windmühle mit sehenswerten Exponaten (sonfornes.mallorca.museum/deutsch/). Die Fundstätte Son Fornés, eine frühere Siedlung mit drei Talaiots, liegt etwas außerhalb (sonfornes.mallorca.museum/el-jaciment/com-arribar-hi). In den größten mit seinen 17 Metern Durchmesser gelangt man durch einen niedrigen Korridor und eine fünf Meter dicke Außenwand. Verbaut wurden rund 2.000 Tonnen Stein. Von der zentralen Säule, die das Dach stützte, sind vier imposante Blöcke erhalten. Führungen gibt es auch in Kombination mit der Besichtigung alter Dorfhäuser (https://sonfornes.mallorca.museum/extensio-educativa/visites-guiades/). 

Die Stätte ist von einer Ringmauer umgeben. Bendgens

Ses Païsses: Im Steineichenwald

Ses Païsses in der Gemeinde Artà ist nicht nur eine der besterhaltenen Talaiot-Stätten auf Mallorca, sie hat auch einen besonderen Charme. Im Gegensatz zu den meisten anderen Standorten liegt sie nicht auf freiem Feld, sondern mitten im Steineichenwald. Besucher betreten Ses Païsses durch eine Ringmauer, sie wurde in einer späteren Phase des Talaiotikums in Zyklopen-Technik erbaut, das heißt als Mauerwerk mit unregelmäßigem Fugenbild ohne waagrechte Linien. Eingefriedet sind frühere Wohnhäuser sowie im Zentrum die Ruine eines Turms, ältester Teil der Siedlung. Erstmals erschlossen hat sie der italienische Archäologe Giovanni Lilliu mit seinem Team Anfang der 1960er. Die Gemeinde geizt online mit Infos (artamallorca.travel/de/sesPaisses). Mo.–Sa. 10–14 Uhr, im Sommer bis 17 Uhr, in Artà der beschilderten Abzweigung folgen (Camí de sa Corballa).

Die Nekropolis liegt direkt am Meer. Ramon

Son Real: Die Totenstadt

Kein Ort der Lebenden, sondern der Toten: Direkt am Meer, an der Nordostküste Mallorcas nahe Can Picafort, befindet sich die Nekropolis Son Real, die aus der Zeit zwischen dem 7. und dem 1. Jahrhundert vor Christus stammt und einst aus rund 200 meist kunstvoll aus großen Steinen aufgeschichteten Grabstätten bestand. Einige davon hat im Laufe der Zeit das Meer verschlungen. Weitere Grabstätten wurden auf dem Eiland Illot dels Porros vor der Küste entdeckt. Die Funde geben den Archäologen weiter Rätsel auf, wurden in der Talaiot-Zeit die Toten doch meist gemeinsam und in Höhlen bestattet. Son Real ist der Name des öffentlichen Landguts, auf dem sich auch ein liebevoll gestaltetes, wenig besuchtes ethnologisches Museum befindet und das zu einem ausgiebigen Winterspaziergang zwischen Dünen und Kiefernhainen einlädt (https://de.balearsnatura.com/parque_natural/finca-publica-de-son-real/).

Im Privatbesitz: die Fundstätte Capocorb Vell. Feldmeier

Capocorb Vell: Cabrera im Blick

Im Gegensatz zu den anderen öffentlich zugänglichen Talaiot-Stätten Mallorcas ist Capocorb Vell in Privatbesitz (Eintritt: 3 Euro). Das Gelände an der Südküste der Gemeinde Llucmajor beherbergt fünf runde und quadratische Talaiots sowie mehr als zwei Dutzend Behausungen – ihre Struktur wirkt nicht organisch gewachsen, sondern städtebaulich geplant. In einem der Megalith-Türme wurde eine zweite Etage ausgemacht, die durch eine Wendeltreppe verbunden ist, der Blick reicht bis Cabrera. Rund 600 Personen dürften hier gelebt haben. Bei den Ausgrabungen entdeckte Pfeilspitzen deuten darauf hin, dass hier im Flachland die Jagd eine wichtige Rolle spielte. Die Stätte gilt als wichtige Station der damaligen Weidewirtschaft – von hier aus zogen die Hirten mit ihren Schafen in Richtung der Weideplätze mit saftigeren Gräsern in der Tramuntana (talaiotscapocorbvell.com).

Puig de Sa Morisca. Parc Arqueològic

Puig de Sa Morisca: Auf dem Hügel

Der Puig de sa Morisca dürfte im Talaiotikum ein wichtiger Handelsstützpunkt gewesen sein, dank intensiver Kontakte zu den Phöniziern auf Ibiza. Einen Besuch wert ist der Parc Arqueològic del Puig de sa Morisca aus mehreren Gründen. Da ist zum einen die Lage: Besucher können von hier oben neben einer Vielzahl archäologischer Funde auch die Landschaft ringsum mitsamt Meeresküste bestaunen. Dann liegt der Puig de sa Morisca in einem weitläufigen, mit Wegen erschlossenen Park, in dem sich weitere Fundstätten erkunden lassen, das Gelände umfasst rund 35 Hektar. Vor allem aber: Das talaiotische Erbe wird derzeit intensiv aufbereitet – es gibt neue Info-Tafeln und Karten, Veranstaltungen und pädagogische Angebote sowie bald auch ein eigenes Museum (Carrer Puig de sa Morisca, Santa Ponça, Tel.: 971-13 92 18, E-Mail: morisca@calvia.com, @parcsamorisca). 

Der Talaiot besitzt keinen ebenerdigen Eingang. foto: Wikipedia

s’Hospitalet Vell: Epochen-Mix

Diese Fundstätte an der Ostküste ist vergleichsweise wenig bekannt, aber nicht weniger sehenswert – auch deswegen, weil die Besichtigung mit einem Besuch des nahe gelegenen Museu de Manacor verbunden werden kann (museudemanacor.com). Das mittelalterliche Gebäude, zu finden neben der Rafa Nadal Academy, beherbergt auch Säle zur Vorgeschichte Mallorcas, in denen Fundstücke von s’Hospitalet Vell ausgestellt sind. Die Stätte selbst liegt dann Richtung Cales de Mallorca (Carretera de Cales de Mallorca, km 1). Zu sehen sind unter anderem naviformes, bootsförmige Strukturen aus dem Vor-Talaiotikum, Überreste eines rechteckigen, womöglich punischen Gebäudes, das wegen seiner ungewöhnlich akkuraten Bauweise hervorsticht, sowie als Besonderheit ein zweistöckiger Talaiot – auf der Mittelsäule sind noch Reste der einstigen Abdeckung erhalten. 

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