Mallorca Zeitung

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Carlos Garrido Autor und Journalist

Neues Mallorca-Buch: Geschichten von den Menschen einer Stadt, die so nicht mehr existiert

Der Autor Carlos Garrido porträtiert in seinem neuen Buch 30 Menschen, die bis vor wenigen Jahren Palma prägten. Mit Nostalgie aber habe das nichts zu tun, sagt er

Schriftsteller Carlos Garrido mit seinem neuen Buch "Palmesan@s. Gente que conocí en Ciutat". DM

Er ist einer der großen Erzähler der Stadt Palma – obwohl er in Barcelona zur Welt kam. Carlos Garrido, der seit 1975 auf Mallorca lebt, hat sich in seiner Arbeit als Journalist und Autor einen Namen als Dokumentar der Stadtgeschichte gemacht – und sich dabei auch in Bereiche getraut, die vielleicht nicht so naheliegend sind, etwa die Mystik.

In seinem neuen, spanischsprachigen Buch „Palmesan@s. Gente que conocí en Ciutat“ (Palmesaner. Menschen, die ich in Palma kennenlernte, 18 Euro) reist der 74-Jährige in die Vergangenheit und erkundet die jüngere Geschichte der Stadt anhand von Menschen, die er kennengelernt hat.

Viele der Anekdoten, die er erzählt, sind amüsant. Etwa jene des Rezeptionisten der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“, der eines Tages Altkönig Juan Carlos I. an der Strippe hatte und ihm entgegenpfefferte: „Wenn du der König bist, bin ich Napoleon.“ Vor allem bietet das Buch eine Gelegenheit, mit den Protagonisten in eine Zeit zu reisen, als die Stadt noch überschaubarer, mallorquinischer war.

Sie beschreiben Persönlichkeiten und Anekdoten aus einer Stadt, die so nicht mehr existiert. Verspüren Sie Nostalgie?

Nein, es ist weder ein nostalgisches Buch noch ist es eine Kritik an der Stadt Palma, wie sie heute ist. Zumindest nicht explizit. Nostalgie wäre nicht angebracht. Es hat einen brutalen Wandel gegeben, seit Wohnungen in der Stadt in die Ferienvermietung gegeben werden. Die Auswirkungen sind mit denen des Abrisses der Stadtmauern vergleichbar. Alles hat sich grundlegend gewandelt, es gibt kaum noch alteingesessene Bewohner in der Altstadt. Zahlreiche Stadtteile sind gentrifiziert. Neulich musste ich 2,20 Euro für einen Kaffee bezahlen. Dennoch verspüre ich keine Nostalgie: Ja, es gab früher Dinge, die besser waren. Aber vieles war auch schlechter als heute.

Zum Beispiel?

Die Lebensqualität ist heute höher. Ich habe sehr dunkle Zeiten erlebt. Heute gibt es ein besseres öffentliches Gesundheitssystem als früher. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, mit der öffentlichen Verwaltung zu interagieren. Die Infrastruktur der Stadt ist besser. Und auch, wenn ich dem Massentourismus kritisch gegenüberstehe: Die Ankunft des Tourismus hat bewirkt, dass meine Generation viel mehr Möglichkeiten hatte. Das Land hat sich geöffnet. Der Wandel war halt so radikal, dass er schwer zu verdauen ist.

Warum ist es den Mallorquinern nicht gelungen, ihn zu verlangsamen?

Na ja, der Wandel hat ja nicht nur hier stattgefunden. Ich glaube auch nicht, dass die Mallorquiner großes Interesse hatten, ihn aufzuhalten. Das ganze Wirtschaftssystem rankt sich darum. Wie viele Leute würden ohne Ferienvermietung pleitegehen?

"Wichtig ist, keine Vorurteile zu haben"

Sie leben seit 1975 auf Mallorca. Wie lange hat es gedauert, bis Sie integriert waren?

Ich bin für den Militärdienst hergekommen. Von Anfang an hat mir die Überschaubarkeit von Palma gefallen. Gerade als Kontrast zur lauten und unangenehmen Großstadt Barcelona, wo ich herkam. Aber ich bin schnell mit den Mallorquinern in Kontakt gekommen. Das hat die Integration beschleunigt. Das Wichtigste ist doch, offen zu sein und keine Vorurteile zu haben.

Die Menschen, die Sie porträtieren, sind sehr unterschiedlich. Prominente, Intellektuelle, Helden des Alltags, Einheimische, Zugewanderte. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?

Ich habe mich entschieden, nur Leute zu porträtieren, die bereits verstorben sind. Und nur diejenigen, für die ich Zuneigung oder zumindest Sympathie empfinde. Ich wollte mich in diesem Buch mit niemandem anlegen.

Für wen haben Sie das Buch geschrieben?

Man könnte schnell denken, dass ich es für diejenigen geschrieben habe, die die Protagonisten kannten. Aber das ist nur zum Teil der Fall. Ich habe auch an die Zukunft gedacht. Ich habe im Laufe meines Lebens viele Archive durchwühlt, da ich häufig historische Themen bearbeitet habe. Und dabei ist mir aufgefallen, dass man Informationen über eine Person findet, diese aber selten persönlich sind. Ich wollte etwas hinterlassen: Falls jemand eines Tages über die Geschichte Palmas forscht, hat er etwas zur Hand, das über die Information in einem Lexikon hinausgeht.

"Das Stadtfest ist trivialer geworden"

An diesem Wochenende findet das Stadtfest Sant Sebastià statt. Haben Sie das Gefühl, dass das Fest dem Lebensgefühl der Menschen von Palma entspricht?

Ich glaube, wir dürfen die Bedeutung der Stadtfeste für den sozialen Zusammenhalt nicht überschätzen. Diese Art von Feiern haben sich internationalisiert, sie werden vereinheitlicht. Sant Sebastià heute hat nichts mit dem vor 30 Jahren zu tun. In gewisser Weise ist das Stadtfest trivialer geworden, hat sich den Regeln der Unterhaltungsindustrie angepasst. Schauen Sie sich die Konzerte an. Man erkennt kaum den Unterschied zwischen dem Stadtfest und dem Mallorca Live Festival.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Sind Sie optimistisch, was Palma angeht?

Nun, solange der Tourismus wie gehabt funktioniert, kann es eine positive Zukunft geben. Wir hängen schließlich davon ab. Aber gerade das macht mir Sorgen. Denn wenn wir uns anschauen, wie kompliziert die Welt ist und wie fragil die Logistik und das Transportwesen im Allgemeinen, macht mir das Angst. Denn was passiert mit Mallorca, wenn diese Systeme versagen? Wenn keine Schiffe mehr kommen können, die uns die Lebensmittel bringen? Dann wird es schnell unbequem.

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