Charles Darwin hätte seine Freude an ihr gehabt: Auf der Isla del Aire, der kleinen Insel der Luft, eine Seemeile von Menorca entfernt, lebt eine Eidechse, die in einer Blume ihren bevorzugten Lebensraum gefunden hat und ein ganz eigenes Verhalten an den Tag legt. Podarcis lilfordis lilfordis heißt diese endemische Art, benannt nach ihrem Entdecker Lord Lilford.

Karstige Felsen, Büsche, Gräser und Pflanzen bestimmen die Oberfläche der Insel - und viele kleine schwarze Echsen. „Dank der Abgeschiedenheit leben sie in fantastischen Bedingungen", sagt der Reptilienforscher Valentín Pérez der Universität Salamanca. Seit über 30 Jahren erforscht er diese Subspezies der Balearen-Echse. „Sie hat hier schon vor der Ankunft des Menschen gelebt, die Isla del Aire selbst gibt es seit ungefähr elf Millionen Jahren", sagt er. Da die Echse keine natürlichen Feinde oder eingeschleppte Tiere wie Hunde oder Ziegen zu befürchten hat, konnte sie ganz besondere Verhaltensweisen entwickeln und sich gut vermehren.

„Es gibt hier mehr als 3.000 Exemplare pro Hektar, was weltweit einzigartig ist", sagt Pérez. „Die Echsen beobachten sich gegenseitig und lernen voneinander - das kommt sonst nur bei Affen vor." Es gibt die mutigen und die schüchternen Echsen, Wissenschaftler sprechen vom Bold- und Shy-Typus. Die „Draufgänger" ebnen den „Zurückhaltenden" den Weg.

Eine weitere Besonderheit der Podarcis lilfordis lilfordis ist die Art der Nahrungssuche. Normalerweise müssen Echsen ihre Beute in kurzer Zeit jagen und sie dann so schnell wie möglich in ein Versteck tragen, um sie dort in Ruhe vertilgen zu können. Die Balearen-Echse hingegen kann in Ruhe nach Nahrung suchen. Sie fühlt sich in Sicherheit. Diese Ruhe erlaubt es ihr, in aller Ruhe auch Pflanzen zu fressen, was andere Echsenarten wegen der Gefahr, selbst zur Beute zu werden, meiden.

Ganz besonders liebt sie dabei eine auf dieser Insel heimische Blume, die Dracunculus muscivorus, ein Aronstabgewächs. Ihre Blüten verströmen einen Geruch, der dem verfaulten Fleisches ähnelt. Damit werden Insekten angelockt, die in das Innere der Blüte fliegen und dort gefangen bleiben. Ebenfalls im Inneren liegen weibliche und männliche Kolben beisammen, was zu einem bestimmten Ablauf in der Bestäubung führt. Bis diese abgeschlossen ist, bleibt das Insekt in der Blüte gefangen. Die Podarcis Lilfordi Lilfordi macht sich diesen Moment der Gefangenschaft zunutze. Sie kriecht in die Öffnung der Blüte und schnappt sich ihr Fressen. Wie auch die Insekten, die der Blüte entkommen, verteilt die Echse über ihre Ausscheidung Samen oder Blätter und trägt zur Verbreitung der Blume bei. Im Mai gleicht das sonst trockene Eiland denn auch einem Blütenmeer.

Das schwarze Reptil liebt die orangene Blume aber noch aus einem anderen Grund: Die

Blütenkolben heizen sich während der Pollenphase beachtlich auf, bis zu 13 Grad über der Außentemperatur. Die Eidechse sonnt sich dann auf ihren Blüten und tut so ihrem Wärmehaushalt etwas Gutes.

Was genau im Innern der Blüte geschieht, konnte man bisher nur erahnen. Der menorquinische Naturfotograf und Filmemacher Toni Escandell aber hat nun eine Mikrokamera in das Innere geschleust, die ihm faszinierende Nahaufnahmen ermöglichten. Über mehrere Jahre begleitete er die Echsen auf dem Eiland; „Náufragos de la evolución" heißt der nun fertiggestellte Dokumentarfilm.

So idyllisch das Leben der Echse auf der Insel auch sein mag, der Wissenschaftler Pérez sorgt sich dennoch um ihren ungestörten Fortbestand. „Im Sommer ankern viele Boote vor der Insel, die Leute füttern sie, manche bringen sogar ihre Hunde mit. Das ist eine Katas­trophe für diesen - bis auf den elektrischen Leuchtturm - bisher weitgehend unberührten Lebensraum."

Náufragos de la evolución, 22.11., 20 Uhr im Cine Ciutat in Palma.