Es war ein besonders kompliziertes Unterfangen, und einen Moment lang dachte Joan ­Aguiló sogar, dass er sein knapp 100 Quadratmeter großes Wandgemälde im Mercat de l'Olivar in Palma de Mallorca gar nicht realisieren könnte. „Ich wusste nicht, mit welcher Art von Kran oder Gerüstkonstruktion ich bis in die Ecken kommen könnte. Glücklicherweise haben wir doch noch eine Firma gefunden, die es uns ermöglicht hat", so der Künstler. Während auf der unteren Etage Marktbesucher umherwuseln oder auf den langen Rolltreppe zum im zweiten Stock gelegenen Supermarkt fahren, pinselt Aguiló schon seit Anfang August in luftiger Höhe seine neueste Auftragsarbeit an die Wand: Hände, die Lauchzwiebeln umgreifen, ein Netz voller Fische tragen, einen Laib Brot halten. „Das Bild ist eine Hommage an die Menschen, die im Primärsektor tätig sind", so der palmesano, der stolz darauf ist, dass er an einem so prominenten Ort wie der bekannten Markthalle eines seiner Kunstwerk anbringen darf.

Aufträge kommen von allein

Groß dafür bewerben musste er sich nicht. „Es war wie so oft: Der Geschäftsführer des Marktes kannte meine Arbeiten schon von anderen Orten und wollte der Halle einen neuen Anstrich verpassen. Also kontaktierte er mich", erzählt der 37-Jährige. Dann hätten sich beide vor Ort getroffen, um die Details zu dem geplanten Gemälde zu besprechen. Schnell sei etwa klar gewesen, dass es im Inneren der Markthalle angebracht werden muss. „Die Fassade der Halle ist geschützt und noch dazu alt und aus Stein", so Aguiló. Beim Erstellen des Kostenvoranschlags musste der Künstler dann beispielsweise bedenken, dass etwa die Hälfte des Wandgemäldes im Inneren auf einer Glaswand, also mit anderen Materialien, angebracht werden muss. „Neben der Größe des Gemäldes spielt auch die Komplexität der ­Auftragsarbeit sowie die dafür benötigten Arbeitsstunden und Hilfsmittel wie Kräne oder Gerüste eine Rolle", sagt Aguiló.

Während die MZ-Redakteurin beim Interview am Dienstag versucht, dem Künstler eine ungefähre Preisangabe zu entlocken, leider vergebens, kommt ein älterer Mann auf Aguiló zu und beglückwünscht ihn. Er habe Aguiló bereits beim Malen eines anderen Bildes in der Tiefgarage des Marktes beobachtet und seinen Stil und ihn sofort wiedererkannt. „Da oben an der Decke wirkt das Gemälde noch etwas dunkel. Die Verantwortlichen sollten sich darum kümmern, dass es zusätzlich mit Scheinwerfern beleuchtet wird", findet der Mann. Im Lauf des Interviews kommt es noch zu drei weiteren Begegnungen dieser Art.

Aguilós Werke und er sind eben inselweit präsent: ob an der Sportanlage in Santa Margalida, einem Hotel in Cala d'Or, einem Brunnen und diversen Häuserwänden in Can ­Picafort, der Balearen-Universität oder Geschäften wie einer Apotheke im Carrer Sant Miquel in Palma de Mallorca. Die teils riesengroßen Wandbilder sind für Aguiló die beste Werbung und dazu noch umsonst. Man kann sich gut vorstellen, wie er damit, durch Mundpropaganda und die sozialen Netzwerke, immer wieder an neue Aufträge kommt. Der ehemalige Lehrer kann mittlerweile davon leben.

Wo Kunst toleriert wird

Nicht ganz so auffällig, ab er dennoch selbst für ungeschulte Augen etwa beim Gang durch die Altstadt von Palma de Mallorca leicht zu entdecken, sind auch die Werke von Aguilós Künstlerkollegen Marc ­Peris (Soma). Statt wie Aguiló Familienmitglieder malt Soma vermehrt bunte Tiere und Pflanzen, aber auch mal das ein oder andere Porträt. Als der aus Valencia stammende 43-Jährige vor etwa 15 Jahren auf Mallorca mit den Wandmalereien auf der Straße angefangen hat, hat es nur wenige andere Street-Art-Künstler gegeben. Mittlerweile ist viel los an den verlassenen Gebäuden in der Altstadt, die zwar nicht offiziell als freie Flächen ausgeschrieben sind, an denen die Anwohner und die Stadt die Wandbilder und Graffitis aber tolerieren.

So konnte sich auch Soma über die Jahre hinweg dort verewigen und bekam mehr und mehr Aufträge von Geschäften, Hotels, Restaurants oder Privatpersonen. Zu sehen ist seine Kunst am Hotel Brick in der Altstadt von Palma ebenso wie auf Gemeinde-Parkplätzen oder Gebäuden von Nachbarschaftsvereinigungen sowie Häusern von Privatpersonen in Porreres, Sóller, Inca, Sa Pobla, Sineu, Lloseta, Port d'Andratx oder zuletzt an der Bodega San Antonio an der Plaça de Sant Antoni in Palma de Mallorca.

Große Ketten zahlen mehr

Die Straßenkunst ist für den hauptberuflich als Kunstlehrer arbeitenden Mann dennoch nach wie vor nur ein Nebenverdienst und Hobby. Die meisten seiner Gemälde kosten zwischen 300 und 3.000 Euro, verrät er, wenn auch etwas zögernd. „Beim Veranschlagen des Preises spielt auch eine Rolle, ob der Auftraggeber ein kleines Geschäft oder eine große Handelskette ist. Je nachdem verlange ich weniger oder mehr", sagt Soma.

Erst vergangene Woche habe er einen fliegenden Fisch ganz in der Nähe der Moltabarra-Bar im Stadtviertel Sa Gerreria gemalt. Die Mitarbeiter des Friseursalons gegenüber seien hellauf begeistert gewesen und hätten gleich die Handys gezückt. Anwohnern, Passanten oder Kunden verbreiten dann über die sozialen Netzwerke seine Bilder. Das sei nicht nur eine gute Werbung und Garant für weitere Aufträge, sondern sorge auch dafür, dass die Kunst lebendig bleibt, sagt Soma.

Ästhetik statt Kritik

Auch Carolina Ada?n Caro, eine der wenigen Frauen in der Szene, will mit ihren per Pinsel und ohne Schablone gemalten Kunstwerken die Bewohner und Besucher der Balearen-Hauptstadt für einen Moment lang aus ihrem Alltag holen. „Eine politische Botschaft gibt es bei meinen Werken nicht. Es ist pure Ästhetik", so die madrileña. Unter der in Europa registrierten Marke „Art is life" malt sie junge und alte Familienmitglieder, Persönlich­keiten wie ­Brigitte Bardot oder Pippi ­Langstrumpf sowie Tiere oder Pflanzen. Charakteristisch dabei: Über oder unterhalb der Motive sind entweder Farbkleckse zu sehen, oft scheint die Farbe auch herunterzulaufen.

„,Art is life' ist eine Art Stempel. Mit ihm will ich zeigen, dass jeder meine Kunst be­zahlen kann. Als ich noch jung war, hat es mich oft ­wütend gemacht, dass ich mir in einer Kunstgalerie kein Bild für 6.000 Euro leisten konnte", so die 36-Jährige, deren Preise bei 350 Euro ­beginnen. Das sei auch der Grund gewesen, weswegen sie nach ihrem ­Kunststudium ­Angebote von Galerien abgelehnt habe. Bis heute macht sie Straßenkunst wie Soma nur nebenberuflich. „Für September und Oktober etwa habe ich sieben Auftragsarbeiten", so die Künstlerin. Verewigt hat sie sich bereits etwa am mehreren Friseurläden in Palma, etwa Melville & Co, und verschiedenen Häusern von Privatpersonen.

Auch am Treppenaufgang eines Hauses im Carrer Pursiana in Santa Catalina prangt eines der Werke der Künstlerin. Zwei Kinder sind darauf zu sehen. „Es ist das Haus meiner besten Freundin und war das erste Gemälde der ,Art-is-life'-Kollektion. Sie war gerade frisch eingezogen, und ich wollte ihr ein schönes Detail dort hinterlassen, über das sie sich jeden Tag freuen kann", erzählt Ada?n. Später dann habe sie festgestellt, dass auch Passanten immer wieder angehalten haben, um das Bild zu bewundern und zu fotografieren. „Das hat mich wirklich gefreut, denn bis dahin dachte ich, nur Graffitis wären akzeptierte Street-Art", so Adán.

Dass die Kunst längst bei allen Alters­gruppen angekommen ist, merkte sie, als die ­Nonnen des Col·legi San Francesc de Assis im Viertel Pere Garau in Palma de Mallorca bei ihr ein großes Bild in Auftrag gaben. „Mal, was du willst", hieß es. „Um sie ein bisschen an ihre eigene Kindheit zu erinnern, entschied ich mich für Pippi Langstrumpf. Als ich loslegte, holten sie sich Stühle und setzten sich zu mir", erinnert sich Carolina Adán.

Freie Flächen:

Das Rathaus von Palma de Mallorca hat die Mauern des alten Gefängnisses für Street-Art freigegeben. Zumindest an öffentlichen Gebäuden entfernen die Stadtwerke ansonsten die Wandbilder.