Grandios, mächtig und magisch: So klingt die Tramuntana in den Ohren von José María Moreno (49). Der leidenschaftliche, energische Dirigent, der unter anderem die Geschicke der Capella Mallorquina lenkt und im MZ-Gespräch nicht mit imposanten Adjektiven geizt, um seine Begeisterung zu unterstreichen, erzählt, dass er sich stark mit dem Charakter dieser Landschaft identifiziert. Und damit ist er nicht allein: „Die Tramuntana ist ein Ort, der die Künstler schon immer inspiriert hat, sowohl beim Komponieren als auch beim Interpretieren von Musik“, sagt Moreno.

Deshalb gebe es auch überall in der Gebirgsregion eine große Musiktradition: Von Andratx über Calvià, Puigpunyent, Esporles und natürlich Valldemossa, Deià und Sóller bis hin zu Escorca und Pollença – all diese Gemeinden organisierten wohl mit die meisten Konzerte und Festivals auf der Insel. Der Chorleiter schreibt dieses Phänomen der besonders beflügelnden Wirkung der Natur zu. „Man vergleiche das nur mit dem freundlichen, ruhigen Pla oder der Ostküste von Mallorca: Die Energie, die man in den Bergen empfängt, ist eine völlig andere.“ Sie generiere ein anderes Gefühl und somit eine andere Art des Komponierens und Musizierens. „Die Tramuntana strahlt viel mehr Kraft aus, das schlägt sich direkt in der Kunst nieder“, so Moreno. 

Im Grunde beziehe sich die Mehrheit der mallorquinischen Komponisten direkt auf die Berge oder sei durch sie beeinflusst. Wenn der Dirigent einen von ihnen speziell herausgreifen müsste, dann wäre es Bernat Julià, den 2013 verstorbenen Gründer der Capella Mallorquina: „Ein Werk, das mich schon in meiner Jugend mitgerissen hat, war sein großes sinfonisches Chorstück ‚El Pi de Formentor‘. Es ist inspiriert durch Texte von Miquel Costa i Llobera und das äußerste Ende der Tramuntana selbst – Formentor, mit seinen schroffen Felsen und dem stürmischen Meer. Dieses Stück ist unglaublich!“ Daneben gebe es viele kleine Klavierstücke mit Tramuntana-Bezug, etwa von Jaume Mas Porcel oder Antoni Torandell. 

Doch die Berge sind nicht nur ein Ort, wo Musiker die Muse küsst, sie bieten auch selbst eine einzigartige Bühne: Im Sommer wird der Torrent de Pareis zum Freiluft-Konzertsaal für ein Event der Fundació Sa Nostra. Seit 2017 gebührt nach 30 Jahren Pause wieder der Capella Mallorquina die Ehre, dort ihr Abschlusskonzert der Saison zu geben. Für Moreno eine einmalige Erfahrung: „Ich habe schon an etlichen Orten auf der Welt dirigiert, von denen viele auch sehr spektakulär waren. Aber keiner ist mit dem Torrent de Pareis vergleichbar“, schwärmt er. Zwischen den Bergen zu singen, sei beeindruckender als jedes noch so berühmte Theater. „Die Besonderheit ist, dass die Felswände dieser hohen Berge eine erstaunliche Akustik kreieren, wie in einer natürlichen Kathedrale“, so der Chorleiter. Alles dort bestehe aus Stein, deshalb sei der Klang ähnlich wie in einer großen Kirche. 

Es sei aber nicht nur die Natur, die das Musikerlebnis bereichere, sondern auch umgekehrt: „Wenn man sich in dieser großartigen Umgebung als Mensch ganz klein fühlt, die Schönheit der Natur bewundert und dieser Stimmung dann noch die Schönheit der Musik hinzufügt, entstehen magische Momente“, sagt Moreno. Diese Fusion habe sogar etwas Spirituelles, sie motiviere zur Meditation und Reflexion. Nach seiner Erfahrung kann im Torrent de Pareis jede Art von Musik diese Wirkung entfalten: von Tango über Pop bis Kirchenmusik, Klassik oder Volksliedern. „Hauptsache, sie wird mit dem richtigen Gespür, mit Anmut, Können und Leidenschaft gespielt.“

Konzert im Torrent de Pareis

Am 4. Juli um 17.30 Uhr ist es wieder so weit. Dieses Jahr wird sich die Capella Mallorquina mit einem Sinfonieorchester zusammentun: Das Jove Orquestra Rotària de Mallorca mit 60 Musikern zwischen neun und 25 Jahren soll gemeinsam mit rund 50 Sängern der Capella Mallorquina im Torrent de Pareis auftreten, sofern die Corona-Regeln diese große Anzahl an Musikern bis dahin erlauben. Auf dem Programm steht eine Auswahl berühmter Chorfragmente von Zarzuelas wie „La boda de Luis Alonso“ und Opern wie „Carmen“, Stücken von Verdi (Auszüge aus „La Traviata“ und „Il Trovatore“), Mascagni („Cavalleria rusticana“) oder die „Polowetzer Tänze“ von Borodin.

Das Konzert ist gratis, die Zahl der Zuhörer wurde aber auf 2.000 begrenzt. Die Ausflugsboote ab Port de Sóller fahren am Sonntag (4.7.) um 10 Uhr, um 12 Uhr und um 15.15 Uhr ab und kehren 20 Minuten nach Konzertende zurück.