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Separatisten auf Mallorca: "Ohne Spanien wären wir besser dran"

Zur „Festa de l´Estendard" ziehen die Separatisten durch die Straßen. Die Debatte in Katalonien gibt der Szene Auftrieb

Am letzten Tag des Jahres erinnert die „Festa de l´Estendard" an die Eroberung von Palma durch Jaume I. am 31. Dezember 1229. Es ist das älteste regelmäßig begangene nicht-religiöse Fest Europas. Am Vorabend der Zeremonie jedoch schlägt die Stunde der Nationalisten. Sie schwenken rot-gelb gestreifte Fahnen, recken die Fäuste und stimmen – je nach Radikalität der Gruppierung – Sprechchöre für die Unabhängigkeit oder gegen Spanien an. Die Radikalsten – die maulets genannten jungen Wilden sowie Mitglieder der Studentenbewegung SPC – stürmen meist voran und verbrennen auch gerne mal eine spanische Fahne. Am Ende wird ein Manifest verlesen. Im vergangenen Jahr wurde ­diese Ehre Madiop ­Diagne zugesprochen, dem Leiter der Vereinigung der Senegalesen auf Mallorca – die Freunde der Unabhängigkeit wollen damit jeden Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit im Keim ersticken.

Die Zahl der Demonstranten betrug in den vergangenen Jahren konstant um die 2.000 Personen, unter ihnen nicht nur leicht erregbare Jugendliche, sondern auch die Creme der linken Regionalisten, unter ihnen hohe Würdenträger der aktuellen Regierung. Sie marschieren hinter Spruchbändern, die Freiheit für die països catalans fordern, Freiheit für die katalanischen Länder, als da sind: Valencia, Katalonien, Balearen und das französische Rosellón.

Man könnte diese jährliche Demo als Happening der Spanien-­Hasser belächeln oder als politische Träumerei abtun. In den vergangenen Jahren mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die Idee der Unabhängigkeit an Kraft gewinnt. Rückenwind erhält die Szene der independentistas zunächst aus Katalonien. Die seit dreieinhalb Jahren andauernde Diskussion um ein neues Autonomiestatut, das die Beziehung zwischen Katalonien und dem Zentralstaat neu regeln soll, u.a. die Frage, ob in diesem Text Katalonien als ­Nation bezeichnet werden darf/soll/kann, erhitzt die Gemüter auf beiden Seiten der politischen Trennlinien. Die konservative Volkspartei (PP) ist mit dem Statut vor das Verfassungsgericht gezogen. Und dieses drückt sich seit mehr als einem Jahr um einen Urteilsspruch herum. Die Katalanen haben mittlerweile – so mit einem gemeinsamen Leitartikel sämtlicher Regionalzeitungen – klar gemacht, dass Ärger droht, sollte das Gericht ihnen das Recht aberkennen, sich als Nation zu bezeichnen (MZ berichtete).

Eine Anerkennung der katalanischen Nation hingegen würde einer jüngst ins Leben gerufenen Bewegung, die sich für Unabhängigkeits-Referenden einsetzt, zusätzlichen Aufschwung geben. Die Vereinten Nationen sehen grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung von Völkern mit eigener nationaler Identität vor. Und die Katalanen probieren das bereits aus: Nachdem ein Dorf namens Arenys de Munt den Anfang machte, wurden jüngst in 166 Gemeinden mit insgesamt 700.000 registrierten Einwohnern nicht bindende Volksabstimmungen abgehalten. Beteiligung: 27 Prozent. Für die Unabhängigkeit Kataloniens stimmten 94 Prozent.

Diese Volksabstimmungswelle ist nun auch auf die Balearen übergeschwappt. Nationalistische Gemeinderäte der vier Inseln haben sich zu einer „Plattform für das Selbstbestimmungsrecht" zusammengeschlossen (siehe Interview). Sei es aus naivem Optimismus, sei es aus politischer List – die Einladung, sich der Plattform anzuschließen, wurde an sämtliche Gemeinderäte der Balearen versandt, auch an jene der Volkspartei und der Sozialisten. Obwohl sich kein einziger von ihnen der Plattform anschloss, orten Unabhängigkeitsbefürworter Sympathien auch im Lager der Spanientreuen, zumindest in ihren selbst in der PP vorhandenen regionalistischen Flügeln.

Einer der Gründe: Wachsender Unmut über das Gebaren von Politikern wie Carlos Delgado, PP-Bürgermeister von Calvià, der die Ermordung der zwei Guardia-Civil-Beamten im vergangenen Juli nutzte, um an der Zufahrt zu Palmanova ein Denkmal mit einer 24 Quadratmeter großen spanischen Fahne errichten zu lassen. Aus Pietätsgründen erhebt kein Mallorquiner die Stimme gegen die patriotische Zurschaustellung, ärgern aber tun sich viele darüber. Mit Gesten wie diesen tue Delgado mehr für die Idee der Unabhängigkeit als jede Demonstration, heißt es bei den independentistas.

Tatsächlich fühlen sich viele Mallorquiner gegängelt und als Bürger zweiter Klasse. Selbst unter den Spanientreuen wird die Unzufriedenheit handfest, wenn es um den Finanzausgleich zwischen den Regionen geht. Spanien – so lautet der Vorwurf – erhielte eine Menge Steuergelder von den Balearen, investiere jedoch unverhältnismäßig wenig in die Inseln. Die Balearen seien heute eine reiche Region mit wenig Geld und schwerwiegenden Strukturdefiziten.

Beispiel Gesundheitswesen. Im Jahr 2009 sah das balearische Budget 1.181 Euro pro Kopf für die Versorgung der Bevölkerung vor. Der spanienweite Durchschnitt betrug 1.394 Euro, eine arme Region wie Extremadura konnte 1.658 Euro pro Einwohner ausgeben. Solidarität schön und gut, argumentiert man auf den Balearen, aber man wäre gerne zumindest nicht schlechter gestellt als Regionen, die wesentlich weniger in den Staatshaushalt einzahlen.

Tatsächlich ist der Boom privater Schulen und Kliniken u.a. darauf zurückzuführen, dass lange Zeit privater Reichtum das Defizit der öffentlichen Versorgung kompensierte. Mit der Krise fällt diese Möglichkeit für viele weg, und die Volksseele erhitzt sich. Zumal für die Wortführer der independentistas der Ausbau der europäischen Institutionen als Alternative zu den Strukturen des spanischen Staates gehandelt wird: Europa soll sich um Verteidigung und Außenpolitik kümmern, um den Rest kümmern wir uns selbst.

Schwer wiegen auch Sprache und Kultur – für viele Residenten nichtkatalanischer Herkunft ein Ärgernis, für viele Balearen-

Bewohner ein Herzensanliegen. Die Statistik jedenfalls belegt den Trend weg von Spanien: Bei einer im Jahr 1996 durchgeführten Umfrage fühlten sich noch 23 Prozent der Befragten „ausschließlich als Spanier". Zehn Jahre später waren es nur noch 17 Prozent.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

-Interview mit Andreu Caballero, Mitglied der Linkspartei PSM

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