Das genaue Datum können die ­Statistiker nicht vorhersagen, fest steht aber: Mallorca nähert sich dem Tag mit der höchsten Bevölkerungsdichte. „Der Tag ist jedes Jahr im August", sagt Gabriel Severo vom balearischen Statistik-Institut Ibestat. 2011 war es der ­10. August, mit offiziell 1.890.426 Personen, die gleichzeitig auf den Balearen waren - 830.000 mehr als im Januar und neuer Rekord. Auf Mallorca tummelten sich laut den Berechnungen des Statistikers 1.349.175 Personen.

Diese Steigerung von mehr als 70 Prozent bedeutet wichtige Einnahmen für die Tourismuswirtschaft. Die población flotante (variable Bevölkerung) macht den Inseln aber auch schwer zu schaffen: Infrastruktur und Dienstleistungsangebot müssen auf den sommerlichen Ansturm ausgerichtet werden. Rein rechnerisch kommen auf jeden Kilometer Küste 6.329 Menschen. Über zwölf Millionen Besucher unterziehen die Balearen einem alljährlichen Stresstest.

Im Winter dagegen sind Überkapazitäten und Däumchendrehen nicht zu vermeiden. Wenn die Besucher wieder abfliegen, müssen Klär- und Entsalzungsanlagen, Flughäfen und sonstige Einrichtungen in Schuss gehalten werden - neben der Insellage mit ein Grund für die relativ hohen Lebenshaltungskosten auf Mallorca.

Besucheransturm:

Das große Krabbeln

Einfallstor für die Besuchermassen ist Palmas Flughafen Son Sant Joan. Während dort im Januar auf den Gängen oft gähnende Leere herrscht, treffen in diesen Tagen die Flieger im Fünf-Minuten-Takt ein. Zum Vergleich: Im Januar reisen durchschnittlich 700.000 Passagiere an und ab; im August sind es mehr als 3 Millionen.

Erstmals schloss die Flughafenverwaltung Aena im vergangenen Winter den Abflugbereich A, um zumindest Energie- und Wartungskosten zu sparen. Der Personalstand sei dank flexibler Urlaubsgestaltung im Jahresverlauf stabil, heißt es in der Pressestelle. Die Schwankungen seien eher ein Problem für Airlines und Subunternehmen, die für Reinigung, Abfertigung oder Ladenlokale zuständig sind. Eng wird es im Sommer regelmäßig bei den Fluglotsen: Wird einer krank, ist schnell Not am Mann.

Ein weiteres wichtiges Einfallstor für die Mallorca-Besucher ist Palmas Hafen, wo im Sommer an einem einzigen Tag auch schon mal bis zu fünf Kreuzfahrtschiffe vor Anker gehen - die Passagiere erhöhen zumindest kurzfristig die Bevölkerungsdichte. Allein im August vergangenen Jahres legten 68 cruceros an, die Hafenverwaltung registrierte 208.000 Passagiere. Zum Vergleich: Im Januar 2011 waren es gerade einmal neun Schiffe mit 27.700 Passagieren.

Transport:

Taxifahren als Sommerjob

Airport wie Hafen bestimmen auch den Arbeitsrhythmus der Transportunternehmen, allen voran der Taxifahrer. Gabriel Moragues, Sprecher der Vereinigung der selbstständigen taxistas, geht davon aus, dass im Sommer doppelt so viele Fahrten wie im Winter anfallen. Während im Winter vor allem Kurzstrecken in Palma gefragt seien, fielen im Sommer auch mittlere und lange Fahrten in die Urlaubsgebiete an. Derzeit seien täglich tausend Taxis in Palmas Stadtgebiet unterwegs. Im Winter reduziert sich ihre Zahl auf 550. Zwar seien praktisch alle rund 1.700 Lizenzinhaber auf Mallorca ganzjährig unterwegs, so Moragues, „aber sie müssen in vier, fünf Monaten so viel verdienen, dass es das ganze Jahr reicht."

Hotellerie:

Hamstern in der Saison

Ähnlich drückt sich Pilar Carbonell vom Branchenverband der Gastronomen aus. „Wir sind wie die Ameisen - wir lagern im Sommer ein." Abgesehen von Lokalen in Dörfern oder Gewerbegebieten gehe bei allen Wirten der Umsatz im Winter nach unten - knapp ein Drittel der 7.600 Bars, Cafés und Restaurants schließe sogar ganz. Aber daran sei man gewöhnt, man kaufe kurzfristig ein und greife im Sommer auf ­Saisonkräfte zurück.

Bei den Hotels sind es nur zehn Prozent, die das ganze Jahr über den Betrieb aufrechterhalten. Der Tiefststand wird im Januar erreicht, danach öffneten die Häuser allmählich wieder, so Inmaculada Benito, Geschäftsführerin des Hoteliersverbands (FEHM). Trotz der Bemühungen zur Belebung der Nebensaison hat sich die Hauptsaison auf Mallorca zuletzt weiter verkürzt. Es habe sich als schwierig erwiesen, mit Nischenprodukten in der Nebensaison ein Gegengewicht zum Strandtourismus aufzubauen, so Benito. Schwacher Trost: Die Hotels nutzen die unfreiwillige Winterpause für Sanierungsarbeiten. „Doch das könnten die Hoteliers problemlos zu einem anderen Zeitpunkt machen."

Entsorgung:

Die sommerliche Müll-Lawine

Früher war es leichter, mit dem im Sommer anfallenden Müll fertigzuwerden: Er landete auf Deponien. Doch inzwischen hat Mallorca eine teure Müllverbrennungsanlage, die erst im vergangenen Jahr erweitert wurde und nun das ganze Jahr über gefüttert werden muss. Die Menge des Abfalls, der nicht recycelt wird, schwankt jedoch stark. Der für die Müllentsorgung zuständige Inselrat registrierte im vergangenen Jahr Extremwerte von 30.449 und 50.818 Tonnen pro Monat. Im Winterhalbjahr fielen durchschnittlich 33.565 Tonnen an, im Sommerhalbjahr dagegen 45.821.

Der winterliche Leerlauf der Anlage bereite große Sorgen, so Antoni Serra, Dezernent für Müll­entsorgung beim Inselrat. Eine Lösung für eine rentable Auslastung der Anlage suche man derzeit noch. In jedem Fall vom Tisch sei die Idee, im Winter Müll aus anderen, mit der Müllentsorgung überlasteten Regionen wie Süditalien auf die Insel zu importieren. Das scheide schon aus Image-Gründen aus. Nun wolle man prüfen, ob man die Verbrennungsanlage im Winter zusätzlich mit umweltverträglichen Energieträgern betreiben könne.

Wasserversorung:

Leerlauf im Winter

Die Duschen in den rund 1.250 Hotels auf Mallorca sind vor allem dann im Betrieb, wenn es am wenigsten regnet - erst die Herbstgewitter füllen wieder den Grundwasserspiegel auf. Mitte der 1990er Jahre war das Limit überschritten, Wasserschiffe mussten über Monate hinweg insgesamt 17 Milliarden Liter nach Mallorca schaffen.

Diese Probleme sind gelöst: Allein die inzwischen erschlossene Sa-Costera-Quelle an der Nordküste liefert rund ein Sechstel des jährlichen Wasserbedarfs von Mallorca. In der Bucht von Palma, in Alcúdia und in Camp de Mar wurden zudem Entsalzungsanlagen gebaut. Im Winter allerdings stehen sie wegen der hohen Produktionskosten und des geringen Bedarfs weitgehend still. Folge: Investitions- und Instandhaltungskosten müssen auf die Tarife umgelegt werden.

Energie:

Stromfresser Klimaanlage

Die saisonalen Schwankungen machen auch dem Stromversorger Endesa zu schaffen. Im Frühjahr und Herbst, wenn weder übermäßig geheizt noch übermäßig gekühlt wird, bricht der Verbrauch ein. Dafür steigt er in den warmen bzw. kalten Monaten extrem an. Mit 469.000 Megawatt pro Stunde wurde im August 2011 der meiste Strom verbraucht. Der Tiefstwert wurde dann im November mit 292.000 Megawatt erreicht. Im Dezember waren es dann wieder 309.000 Megawatt.

Die großen Schwankungen begründet Endesa-Sprecherin Maria Magdalena Frau auch damit, dass die meiste Energie auf Mallorca nicht in der Industrie, sondern in Haushalten, Hotels und bei sonstigen Dienstleistern gebraucht wird - die Schwankungen bei der Bevölkerung wirkten sich so noch stärker aus. Hinzu kommen enorme geografische Schwankungen: Im Winter sei vor allem das Stromnetz in Palma und im Insel­innern gefragt, im Sommer dagegen an der Küste. „Unsere Infrastruktur muss für alle Spitzenwerte ausgelegt sein."

Arbeitsmarkt:

Winterliche Jobflaute

Auch in wirtschaftlich guten Zeiten schnellt auf Mallorca im Winter die Arbeitslosenquote in die Höhe. Lag die Zahl der Frauen und Männer ohne Job im Juli vergangenen Jahres bei 70.980, waren es im Dezember auf den Balearen rund 98.000 Menschen. Umgekehrt schwankte die Zahl der in der Sozialversicherung gemeldeten Personen auf den Inseln zwischen 467.000 im Juli und 348.000 im Dezember.

Viele touristische Unternehmen greifen auf fijos discontínuos, also festangestellte, aber nicht ständige Mitarbeiter zurück. Viele Hoteliers wünschen sich noch mehr Flexibilität beim Einsatz der Mitarbeiter und würden Urlaub, Ruhetage und Überstundenausgleich am liebsten ganz in den Winter verbannen. Bei den jüngsten Tarifverhandlungen wurde hierüber hart gerungen. Nur knapp konnte ein Streik vermieden werden.

Gesundheit:

Rushhour in der Notaufnahme

Den Ansturm der Urlauber bekommen auch die Krankenhäuser und Gesundheitszentren auf Mallorca zu spüren. Die Zahl der Patienten gehe vor allem in der Notaufnahme, in der Unfallchirurgie sowie in den Intensivstationen nach oben, sagt Miguel Lázaro, zweiter Vorsitzender der balearischen Ärzte-Gewerkschaft (Simebal). Badeunfälle genauso wie Drogen- und Alkoholmissbrauch bis hin zu Balkonstürzen vorwiegend britischer Urlauber sorgten für Hochbetrieb.

Von einer Überlastung könne man jedoch nicht sprechen, so Lázaro, denn weniger dringende Operationen würden möglichst nicht für die Sommermonate geplant. Mit Manacor und Inca stünden auch dezentrale Krankenhäuser für die Versorgung bereit. Der Gewerkschafter verweist zudem darauf, dass viele Urlauber privat versichert seien und so außerhalb des staatlichen Systems versorgt würden.

Und dann wären da noch die Organspenden. Ein beträchtlicher Teil werde überhaupt erst möglich, weil gerade Angehörige von ausländischen Patienten zustimmten, so Lázaro ganz ohne Zynismus. „Wir sind ihnen sehr dankbar, dass sie in schwierigen Situationen diese Entscheidung treffen."

Wer die Insel der Ruhe erleben möchte, sollte übrigens um den 2. Januar buchen - dann herrscht mit 845.724 Personen die geringste Bevölkerungsdichte auf Mallorca.