Früher möchte man Rene Lasartesse ,nicht begegnet sein. Früher, das heißt, bis vor etwa 22 Jahren. Damals war Lasartesse, der mit bürgerlichem Namen Edouard Probst heißt, noch Berufsringer. So hieß diese Tätigkeit in den 50er und 60er Jahren. Heute würde man Catcher oder Wrestler dazu sagen. Also jemand, der sich im Ring wahlweise mit einem oder mehreren anderen Kraftpaketen Stühle über den Kopf zieht, mit dem Knie aus drei Metern Höhe seinem Gegner auf die Kehle springt oder auch mal einen 2,20 Meter-Riesen beinahe in einem Wasserbecken ertränkt.

All das hat Probst alias Lasartesse in seiner aktiven Karriere getan. Er war der schillerndste Schweizer Catcher aller Zeiten und einer der besten in der europäischen Geschichte. Eigenen Angaben zufolge will er 12.000 Mal im Ring gestanden haben. Die Internet-Seite www.genickbruch.com verzeichnet zumindest 806 offizielle Kämpfe zwischen den Jahren 1954 und 1986, wobei zugestanden wird, dass die Statistik nicht vollständig ist.

Eine so gewalttriefende Vergangenheit traut man ihm gar nicht zu, so gemütlich wie er jetzt in einem Gartenstuhl auf der Terrasse seiner Mietwohnung in Torrenova-Magaluf sitzt. Mit fast verklärtem Blick, einem gütigen Großvater gleich, schaut Lasartesse in die Welt. Inzwischen ist er 84 Jahre alt, hört ein bisschen schlechter und trägt nach einem Motorradunfall vor zehn Jahren statt seines linken Beins eine Prothese, ist aber noch immer recht beweglich.

Auf Mallorca ist er zusammen mit seiner Ehefrau Angelika, weil die gemeinsame Tochter hier mit ihrem Kind lebt. Um ihrem einzigen Sprössling öfter nahe sein zu können, haben die Probsts eine kleine, bescheidene Wohnung in Torrenova gekauft. An einigen Stellen bröckelt schon der Putz von den Wänden. Zehn Tage lang war das Ehepaar jetzt wieder einmal auf der Insel.

Das ist das Hier und Jetzt. Hier und jetzt sitzt Edouard Probst. Doch wenn dieser große, kräftige Mann in die Rolle von Rene Lasartesse schlüpft, verwandelt sich sein Gesicht. Er schaut dann sein Gegenüber mit durchdringendem Blick an, beinahe beschwörend. Er beugt sich ein Stückchen vor und erzählt, mit leiser, ein wenig heiserer Stimme, von seinem früheren Leben.

Sein Vater war eine wichtige Figur für den Lebensweg von Edouard Probst. Er war beim Schweizer Zoll angestellt und musste berufsbedingt häufig den Wohnort wechseln. Die Familie kam selbstverständlich immer mit, so dass der kleine Edouard öfter mal mitten im Schuljahr zahlreichen neuen Klassenkameraden gegenüberstand. „Das führte im besten Fall dazu, dass ich Einzelgänger war, im schlimmeren bekam ich von den anderen Kindern Schläge verpasst."

Edouard wurde immer mehr zum Außenseiter, zumal er im deutschen Teil der Schweiz aufwuchs, daheim allerdings vor allem Französisch sprach. Sein Spitzname in der Klasse war schnell gefunden: „Der blöde Franzose".

Einer seiner Sportlehrer sagte dem Jungen irgendwann: „Du musst dich auch mal verteidigen." Mit 13 ging Eduoard also zum Körperkultur-Training, wie Bodybuilding damals hieß. Von dort wechselte er zum Boxen und später zum Catchen. Das wurde seine Leidenschaft. Nach dem Abschluss der Volksschule begann er als Elektromechaniker zu arbeiten. Diese Arbeit brachte ihm keine Befriedigung. „Ich wusste aber, dass ich mit dem Catchen in der Schweiz kein Geld verdienen konnte", sagt er.

Die Chance kam dann völlig unverhofft: Für eine Veranstaltung in der Stadt wurden Catcher gesucht. Probst wurde geprüft, für gut befunden und war ab sofort ein Mitglied der Szene. Ab nun ging es rasant aufwärts. Weil es allerdings mit Paul Berger bereits einen bekannten Schweizer Catcher gab, musste Probst als Franzose auftreten. Als „Künstlernamen" wählte er Rene Lasartesse, zu Ehren des Ringers Gabriel Lasartesse.

Mit 27 war Rene Europameister und bekam die Chance, in die USA zu gehen. Dort hatte der Sport einen ganz anderen Stellenwert. Probst kämpfte sich nach oben und füllte bald die Hallen. „Wir haben die Zuschauer mit unseren Aktionen aggressiv wie Tiere gemacht", erinnert er sich.

Obwohl das meiste natürlich Show gewesen sei, habe er im Lauf seiner Karriere etwa 17 Brüche erlitten. Außerdem sei er mehrmals von Fans seiner Gegner tätlich angegriffen worden. „Einmal stand einer in meiner Kabine und hat mit der Pistole auf mich geschossen, aber nicht getroffen." Sein Rivale im Ring war an diesem Abend Franz van Buyten gewesen, der Vater des Fußballers Daniel van Buyten, der beim FC Bayern München in der Abwehr spielt.

Probst/Lasartesse lebte wie im Film, hatte Erfolg bei Frauen, fuhr teure Autos, hatte sogar ein Privatflugzeug. Als lebender Mythos stieg er bis zu seinem 62. Lebensjahr in den Ring. Denn die Regeln im Geschäft sind einfach: „Solange du die Hallen füllst, wirst du engagiert."

Lasartesse ist noch immer leidlich fit. Selbst jetzt, über 20 Jahre nach dem Karriereende, kann er einem untrainierten Redakteur noch beinahe die Arme brechen, wie er nach dem Interview demonstrierte.