73 Jahre nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs und 37 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur wird heute nicht jenen der Prozess gemacht, die damals Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, sondern dem einzigen spanischen Richter, der es bislang gewagt hat, gegen die Täter zu ermitteln.

Dafür mag es formaljuristische Begründungen geben, der grundlegende Umstand bleibt davon unberührt. Geradezu skurril dabei ist, dass die spanische Justiz ihrem Starrichter Baltasar Garzón auf der Grundlage des internationalen Rechts jahrelang erlaubt hatte, Menschenrechtsverletzungen außerhalb der spanischen Staatsgrenzen zu verfolgen. Um zu verstehen, warum dasselbe internationale Recht innerhalb dieser Grenzen an Gültigkeit verliert, muss man wohl spanischer Jurist sein.

Baltasar Garzón, so viel ist klar, hat eine rote Linie überschritten. Das Amnestiegesetz von 1977 sollte Spanien einen ruhigen Übergang in die Freiheit ermöglichen, doch war dieser Vergeben-und-vergessen-Deal wohl mehr eine Art Schutzgeld, das die Demokraten den

Autokraten bezahlten, damit die nicht rabiat wurden. Der Kollateralschaden war vorhersehbar: An eine Vergangenheitsbewältigung, die diesen Namen verdient, war nicht zu denken. Deshalb wird bis heute den Angehörigen der damaligen Opfer, die in anonymen Gräbern verscharrt sind, ein würdiger Abschied verweigert. Und es ist ja auch kein Zufall, dass ausgerechnet eine ultrarechte Organisation gegen Garzóns Vorgehen geklagt hat. Spaniens Problem ist nicht Garzón. Spaniens Problem ist die rote Linie. (S. 14)