Mallorca Zeitung

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Winzig und unsterblich: Das ist die vor Mallorca lebende "Qualle ewiger Jugend"

Turritopsis dohrnii lebt im Meer vor den Balearen, ist nur wenige Millimeter groß – und hat eine faszinierende Eigenschaft: Sie ist unsterblich. Spanischen Forschern ist es gelungen, das Erbgut der Qualle zu entschlüsseln

Klein, aber oho: die unsterbliche Qualle Turritopsis dohrnii. Nun gibt es neue Erkenntnisse über ihre Fähigkeit, sich selbst zu verjüngen. Universidad de Oviedo

Der Meeresgott Poseidon hat ihr wohl das Geheimnis der Unsterblichkeit verraten: Turritopsis dohrnii, eine winzig kleine Qualle mit erstaunlichen Fähigkeiten, fasziniert aktuell die Wissenschaft und die Öffentlichkeit. Denn spanische Forscherinnen und Forscher rund um Maria Pascual-Torner von der Universität Oviedo haben es geschafft, das Genom des Nesseltiers zu entschlüsseln, um den Ursachen seines ewigen Lebens auf die Spur zu kommen. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht.

Josep María Gili, Meeresbiologe und Quallen-Experte am Institut de Ciències del Mar (ICM-CSIC) in Barcelona, verfolgte das Projekt mit großem Interesse. Früher arbeitete er selbst mit der Hauptautorin Pascual-Torner zusammen, die am Forschungsinstitut ihre Doktorarbeit schrieb. Mit der MZ spricht Gili über die Besonderheiten der Spezies. „Der Lebenszyklus vieler Quallen sieht so aus: Sie leben als asexuelle Polypen am Meeresboden. Wenn die Wassertemperatur steigt, gibt es einen Moment, in dem die Spezies entscheidet, sich fortzupflanzen.“ Dazu entwickeln sie sich zu männlichen oder weiblichen Medusen. Nach der Paarung sterben sie. Die befruchteten Eier bilden hingegen Larven (sogenannte Planulae) aus, die dann wiederum zu fest am Grund verankerten Polypen werden.

Rückkehr zur Form des Polypen

Turritopsis dohrnii kann jedoch noch einen zweiten Weg einschlagen: „Statt sich sexuell zu vermehren, kann sie durch eine zelluläre Veränderung zur Form des Polypen zurückkehren“, sagt Gili. „Das ist, als würde ein Schmetterling beschließen, wieder in einen Kokon zu kriechen und sich in eine Raupe zurückzuverwandeln.“ Bei der Qualle funktioniert der verblüffende Trick, den sie beliebig oft wiederholen kann, so: Zellen des Außenschirms, also ihrer pulsierenden äußeren Haut, werden umgewandelt und zum Keim eines neuen Polypen, der genetisch mit der Meduse vollkommen identisch ist. Somit handelt es sich um dasselbe Individuum, das nur von einem Zustand in den anderen wechselt. Die Qualle ist damit biologisch gesehen unsterblich.

Doch welchen Vorteil erhofft sie sich eigentlich davon? Dafür gebe es viele Theorien, so der Quallen-Experte. Am plausibelsten sei folgende Erklärung: „Der Polyp ist für die Spezies das widerstandsfähigste Stadium. Er kann viele Jahre überleben, wenn niemand ihn frisst.“ Selbst extremsten Bedingungen könne ein Polyp trotzen. Medusen seien hingegen wesentlich sensibler: „Wenn sich etwa die Wassertemperatur stark verändert oder das Tier keine Nahrung findet, stirbt es“, so der Meeresbiologe. In diesem Sinne wäre die Richtungsänderung im Zyklus eine Überlebensstrategie: Wenn eine Meduse Bedingungen ausgesetzt ist, die nicht optimal sind, um sich fortzupflanzen, kehrt sie stattdessen zu ihrer resistentesten Daseinsform zurück.

Träume und Science-Fiction

Die nur wenige Millimeter großen Quallen ernähren sich von Plankton und sind im Mittelmeer heimisch. Eine Kolonie kann Dutzende bis Hunderte von Polypen umfassen. Es sei durchaus denkbar, dass es noch mehr Arten gibt, die die gleiche Fähigkeit besitzen und die der Wissenschaft noch nicht bekannt sind. Doch die winzigen Nesseltiere ließen sich nur per Zufall im Meer aufspüren: „Es ist extrem schwierig, die Polypen zu finden“, sagt Gili. Glück hatten die Wissenschaftler bislang vor Mallorca sowie an der katalanischen, der französischen und der italienischen Küste.

Die Exemplare, die für die Experimente in Oviedo herhalten mussten, lieferten der Forschung noch weitere wertvolle neue Erkenntnisse: Im Vergleich zu ihrer Verwandten Turritopsis rubra verfügt Turritopsis dohrnii über wesentlich mehr Gene, die mit DNS-Reparatur zusammenhängen – etwa, indem sie die Quallen vor oxidativem Stress schützen, also einem Zustand des Stoffwechsels, bei dem es zu Schäden von Zellen kommt. Auch verhindern Gene, dass sich Telomere, die schützenden Enden der Chromosomen, bei der Zellteilung abnutzen. Dieser Verschleiß ist normalerweise Teil des Alterungsprozesses.

„Durch die vollständige Entschlüsselung des Erbguts können diejenigen Gene identifiziert werden, die aktiv an dem Prozess der Verjüngung in den Zellen des Außenschirms der Quallen beteiligt sind“, sagt Gili über die Studienergebnisse. Gene, die das Wachstum und die Entwicklung der Qualle beeinflussen, sind in dieser Phase ausgeschaltet. Jene Gene, die für den Verwandlungsprozess eine zentrale Rolle spielen, könnten aber gezielt im Erbgut anderer Arten lokalisiert und nach Bedarf aktiviert werden, meint der Experte. „Das ist der Traum, aber noch Science-Fiction.“

Auch Carlos López-Otín von der Universität Oviedo stellte klar, dass die Arbeit nicht darauf abzielt, Menschheitsträume von Unsterblichkeit zu verwirklichen. Es gehe darum, die Schlüssel und Grenzen von Zellvorgängen zu verstehen, die es manchen Organismen ermöglichen, in der Zeit zurückzureisen. Man erhoffe sich dadurch, in Zukunft besser die Mechanismen von Krankheiten zu durchschauen, die mit dem Altern zusammenhängen – ein erster Schritt für potenzielle Einsatzmöglichkeiten in der regenerativen Medizin.

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