Mallorca Zeitung

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Bürgerkrieg auf Mallorca: Neue Erkenntnisse nach mehr als 85 Jahren

Lange galt ein Pakt des Schweigens in der noch jungen Demokratie. Erst langsam begann die Aufarbeitung der spanischen Geschichte. Ein neues Buch fasst viele Aspekte zusammen

Pau Tomas Ramis. Bosch

Ließ die Aufarbeitung von Bürgerkrieg (1936–1939) und Franco-Diktatur (1939–1975) jahrzehntelang auf sich warten, wurde in den vergangenen Jahren auf Mallorca umso intensiver geforscht. Der Pakt des Schweigens, der noch in der jungen Demokratie galt, gehört der Vergangenheit an. Eine neue Generation von Forschern ist angetreten, und auch die balearische Landesregierung förderte bislang die Aufarbeitung, etwa durch die Öffnung der Gräber von anonym verscharrten Franco-Opfern. Bürgerkriegsbunker, Schützengräben, Arbeitslager auf Mallorca – viele Aspekte werden erst jetzt erforscht. Den Stand dieser Arbeiten fasst ein neuer Sammelband zusammen, der Texte aller namhaften Experten versammelt. Herausgeber ist der Forscher und Lehrer Pau Tomàs Ramis aus Llucmajor.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es?

Wir haben inzwischen Zugriff auf weiteres Archivmaterial, zum Beispiel Gerichtsakten aus der Repressionszeit. Aspekte wie die Arbeitslager auf Mallorca lassen sich jetzt leichter erforschen. Auch historische Presseartikel sind dank Digitalisierung leichter einsehbar.

Müssen Teile der Geschichte des Bürgerkriegs und der Franco-Zeit neu geschrieben werden?

Das betrifft Schriften, die während der Zensur der Diktatur veröffentlicht wurden. Ab 1976 gab es eine objektive Geschichtswissenschaft. Viel zu verdanken haben wir dem Philologen und Historiker Josep Massot i Muntaner, ihm haben wir auch das Vorwort gewidmet.

Bei einigen Veröffentlichungen hat man den Eindruck, sie sind mehr eine Hommage an die Opfer als eine wissenschaftliche Arbeit.

Ich würde nicht von Hommage sprechen, sondern von Geschichten, die in Vergessenheit zu geraten drohten, von der Herstellung später Gerechtigkeit oder auch von Empathie. Ich habe zum Beispiel vor zwei Jahren ein Buch über die 550 Mallorquiner geschrieben, die 1936 zu den alternativen Olympischen Spielen von Barcelona aufgebrochen waren, und nicht mehr nach Mallorca zurückkehren konnten. Als das Buch erschien, haben Angehörige erstmals von Geschehnissen erfahren, über die bis dato niemand sprach.

Mallorca gilt als Nebenschauplatz des Spanischen Bürgerkriegs. Die einzige Schlacht hier, an der Ostküste, dauerte nur gut zwei Wochen, Mallorca war fest in der Hand der Putschisten. Welche Bedeutung messen Sie den Balearen für den Kriegsverlauf bei?

Die Schlacht von Mallorca fand gleich zu Beginn des Bürgerkriegs statt. Die republikanische Regierung in Madrid beteiligte sich im Gegensatz zur katalanischen Regierung nicht an der Expedition der Milizionäre, die Mallorca zurückerobern wollten und damit schnell scheiterten. Mit Madrider Hilfe wäre die Schlacht womöglich anders ausgegangen. Man maß ihr damals nicht die Bedeutung bei, die sie hatte. Es war die erste große Niederlage des republikanischen Lagers, und Mallorca wurde zu einer Art Flugzeugträger der italienischen und deutschen Alliierten. In der Folge konnten ihre Flugzeuge und U-Boote das Festland angreifen, die Küste von Barcelona, Valencia und Murcia. Zum anderen konnte die Sowjetunion das republikanische Lager nicht über das Mittelmeer mit Kriegsmaterial beliefern. Ich halte deswegen die strategische Bedeutung der Insel im gesamten Kriegs- geschehen für fundamental. Die Schlacht von Mallorca ist zu Unrecht noch immer wenig bekannt.

War sie gar entscheidend für den weiteren Kriegsverlauf in Spanien?

Wir können nicht wissen, wie es im Falle eines Sieges der republikanischen Milizionäre weitergegangen wäre. Aber die Niederlage hatte gravierende Folgen.

Ihr eigenes Kapitel kreist um die Besuche des sogenannten Conde Rossi in den Dörfern. Warum haben Sie diesen Aspekt herausgegriffen?

Dieser italienische Faschist war im August 1936 als eine Art Militärberater nach Mallorca geholt worden. Er war hier nur vier, fünf Monate, hat aber in der kollektiven Erinnerung der Insel mächtig Eindruck hinterlassen. Seine Biografie ist bereits erzählt, aber seine zahlreichen Besuche in den Dörfern sind ein wenig bekannter Aspekt. Viele Menschen bejubelten ihn als Helden, die Presse kürte Conde Rossi zum inoffiziellen Vizekönig von Mallorca. Ich erkläre in dem Kapitel, dass dahinter eine Strategie steckte, mit der die Italiener mittels Übertreibungen und Lügen als Retter der Insel verbrämt werden sollten. Die Tour durch die Dörfer spielte für diese Propaganda eine zentrale Rolle. Und die Strategie ging auf.

Ein eigenes Kapitel thematisiert die Repression der Putschisten gegen die Frauen. War sie härter als im Fall der männlichen Opfer?

Das ist ein Aspekt, der auffällt und bislang wenig behandelt wurde. Die weiblichen Opfer wurden misshandelt, vergewaltigt, mit dem Auto überrollt. Man hat fast den Eindruck, dass den Frauen die politische Aktivität besonders übel genommen und Exempel statuiert wurden. Das sieht man auch am Fall der Kommunistin Aurora Picornell, dieser kämpferischen, redegewandten Frau. Nach ihrer Gefangennahme soll ihre Unterhose in einer Bar in Manacor zur Schau gestellt worden sein. Auch die Ehefrauen der Franco-Opfer wurden gedemütigt, sie litten still zu Hause.

Das Buch beleuchtet auch Aspekte wie das Bildungs- oder Gesundheitssystem. Warum?

Auch derlei Aspekte werden erst seit Kurzem erforscht. Die damalige Lehrerschaft wurde „bereinigt“: Wer Sympathien mit der Linken hegte oder moderne Unterrichtsmethoden anwandte, wurde sanktioniert. Das betraf sehr viele Lehrer. Beim Gesundheitssystem geht es um die Funktionsweise der Militärhospitäler, wo auch Gefangene behandelt wurden, und es wird deutlich, wie prekär die Versorgung während der ersten Jahre der Diktatur war.

Welchen Einfluss dürfte es auf die Vergangenheitsbewältigung haben, dass jetzt die Rechtspartei Vox die Balearen-Politik mitbestimmt?

Das wird durchaus eine Rolle spielen. Vox will das Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung aufheben. Es hat ermöglicht, dass sterbliche Überreste vieler Franco-Opfer ihren Angehörigen übergeben werden konnten. Wie kann man nur dagegen sein? Auf der Kippe stehen auch finanzielle Hilfen für wissenschaftliche Veröffentlichungen. Die Angst hatte lange Zeit zur Folge, dass der Bürgerkrieg nicht erforscht wurde. Die neue Forschergeneration hat keine Angst mehr. Aber sie könnte wieder auf Hindernisse und verschlossene Türen stoßen.

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