Mallorca Zeitung

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Krieg im Gaza-Streifen – auch auf Mallorca sind die Fronten verhärtet

Mallorca ist von der Weltpolitik in vieler Hinsicht weit entfernt – und doch entzweit der Krieg im Gazastreifen auch hier die Menschen immer mehr

Eine junge Frau auf einer Pro-Palästina-Demo in Palma. B. Ramon

Vier Tage nach dem Überfall der Hamas auf israelisches Staatsgebiet versammelten sich am 1 1. Oktober etwa 200 Menschen auf der Plaça d’Espanya in Palma, um für ein freies Palästina zu demonstrieren. Seitdem nimmt die Zahl der Unterstützer für die Sache Palästinas auf Mallorca stetig zu. Bei der vorerst letzten Demonstration am vergangenen Samstag gingen laut Angaben der Polizei rund 1.200 Menschen auf die Straße. Eine der veranstaltenden Gruppen sprach sogar von 5.000 Demonstranten, die von der Plaza de los Tubos bis vor den Sitz der Vertretung der Zentralregierung im Carrer Constitució zogen.

Für Khaled Abunaim ein tröstliches Zeichen der Solidarität. Für Ari Molina ein enttäuschendes Zeichen der Feindlichkeit. Der in Palma lebende Palästinenser und der Präsident der jüdischen Gemeinde auf Mallorca erleben den blutigen Konflikt im Gazastreifen zwar aus der Ferne, doch er geht ihnen nah.

Der Palästinenser Khaled Abunaim. FOTO: WILMS alexandra wilms

Der Palästinenser

„Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit“, fühlt Abunaim. Der 48-jährige Röntgentechniker arbeitet in einer Klinik in der Inselhauptstadt, hier lebt er mit seiner Frau und drei Kindern seit Anfang der 2000er-Jahre. Seine Familie stamme aus Beersheba in Israel und sei 1948 von dort vertrieben worden. Er selbst kam im Gazastreifen zur Welt, verbrachte aber nur ein Jahr seiner Kindheit dort.

„Meine eigenen Erinnerungen sind verschwommen, doch die Erinnerungen an meine Familie in Gaza sind klar.“ Der Kontakt zu seinen Cousins und Cousinen ist nie abgerissen, seit Kriegsbeginn erhält er alle sechs bis sieben Tage per Handy oder Internet Neuigkeiten von den Angehörigen dort. Vier Tote hat er mittlerweile in der Familie zu beklagen, unter seinen Freunden sei eine ganze Familie ausgelöscht worden.

Abunaim steht auch in regem Austausch mit den anderen Palästinensern auf Mallorca. Offizielle Zahlen gibt es nicht, er spricht von rund 15 Familien, die seit Kriegsbeginn in engem Kontakt stehen. Sie informieren sich gegenseitig über die Nachrichten aus dem Kriegsgebiet, erzählen sich von Menschenschmugglern, die anbieten, Angehörige über die Grenze nach Ägypten in Sicherheit zu bringen – für 15.000 Euro pro Person. Natürlich ohne jegliche Gewähr, dass es auch gut geht. Abunaim hat die Hoffnung nicht aufgegeben, eines Tages als Besucher in die Heimat seiner Familie zurückkehren zu können. Er fühle sich heute mehr als Palästinenser denn je zuvor.

Der Familienvater ist der einzige palästinensische Vertreter von „Mallorca per Palestina“ (Mallorca für Palästina), einer Vereinigung verschiedener Organisationen und Kollektive, die sich mit Palästina solidarisieren. Eine Solidarität, die den Palästinenser tröstet. Und die jüdische Gemeinde verschreckt. Denn die Aktivisten, die auf Mallorca auf der propalästinensischen Seite unterwegs sind, rufen in den sozialen Netzwerken beispielsweise auch zum Boykott verschiedener multinationaler Ketten und Unternehmen auf, die in Palma vertreten sind und der Plattform „Ciutadans per Palestina“ (Bürger für Palästina) zufolge den Zionismus unterstützen.

Boykottaufruf gegen Handelsketten in Palma, die Israel unterstützen sollen. Ciutadans per Palestina

Die jüdische Gemeinde

„Auch wenn sie es als Antizionismus verkleiden wollen, es ist und bleibt Antisemitismus“, sagt Ari Molina, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde auf Mallorca. Ein Antisemitismus, der in den Augen der Gemeinde seit Kriegsbeginn deutlich zugenommen hat. Es habe ihn schwer enttäuscht, dass so etwas auf Mallorca noch immer möglich sei, „und vor allem in diesem Ausmaß“. Molina beklagt Demonstrationen, Äußerungen in der Presse und sozialen Netzwerken oder Vorführungen einseitiger Dokumentarfilme. Auch die Karte mit dem Boykottaufruf ist für ihn Antisemitismus. Glücklicherweise seien aber auch Stimmen laut geworden, die beispielsweise diese Kampagne verurteilten.

Ari Molina von der jüdischen Gemeinde. Foto: CJIB

Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gäbe es derzeit nicht. „Wir haben aber schon immer engen Kontakt zur Nationalpolizei, weil die Synagoge ein sicherheitsrelevanter Ort ist.“ Seit Kriegsbeginn zeigten die Beamten dort häufiger als sonst Präsenz, gerade am Freitagabend. Ansonsten bemüht sich die Gemeinde um Normalität, führt weiterhin Schulklassen – auch aus christlichen Schulen – durch die Synagoge, um die Geschichte der Juden auf Mallorca zu erklären, und bereitet sich auf den Internationalen Holocaust-Gedenktag an diesem Samstag, 27. Januar vor.

Wie hier im Parlament wird auch dieses Jahr auf Mallorca wieder des Holocausts gedacht. Massuti

Zudem organisiert die Gemeinde auch Vorträge, zuletzt lud sie am Mittwoch zu einer Konferenz des US-amerikanischen Anthropologen Francisco Gil-White über „Semitismus vs. Antisemitismus“ in die Bibliothek des Rathauses von Palma. Seine teils plakativen Aussagen zu dem Krieg in Gaza empören die Pro-Palästina-Gruppen. Sie protestierten vor dem Rathaus gegen den Vortrag.

Der Gedenkakt zur Auschwitzbefreiung am 27. Januar fand am Freitag (26.1.) in Regierungssitz Consolat de Mar – statt wie bisher üblich im Balearen-Parlament – statt. Ministerpräsidentin Marga Prohens erklärte, der Hass gegen Juden weiterbestehe. "Er ist wie ein Virus, der sich verändert, aber nicht stirbt." Die konservative Politikerin sagte, die Bekämpfung des Antisemitismus müsse von den politischen Institutionen, aber auch von der Zivilgesellschaft bekämpft werden.

Die Unterstützer auf Mallorca

Die Gegenseite hat ihre eigenen Veranstaltungen. „Mallorca per Palestina“ lädt für Donnerstag (25.1.) zur Vorführung zweier Dokumentarfilme, die im „Ateneu Popular La Fornera“ in Palma gezeigt werden. Darunter ist der nicht unumstrittene, aber mit einem Goya ausgezeichnete Kurzfilm „Gaza“ des mallorquinischen Filmemachers Carles Bover – einer der Dokumentarfilme, die Ari Molina als antisemitisch empfindet. Das Ateneu ist ein Versammlungsort junger Linker, die der Esquerra Independentista de Mallorca, einer separatistischen Partei nahestehen.

Auch die beiden führenden Pro-Palästina-Gruppierungen auf Mallorca sind Zusammenschlüsse von linksorientierten Organisationen und Parteien. Bei „Mallorca per Palestina“ handelt es sich um die eher bürgerlichen Repräsentanten: Eine der Sprecherinnen ist die Präsidentin der Nachbarschaftsvereinigung Palmas, Maribel Alcazár. Auch der Gewerkschafter der CGT Pep Juárez ist mit dabei. Neben Politikern wie Lucía Muñoz (Podemos) und Antoni Trobat (Més per Mallorca), die sich als Privatpersonen in der Vereinigung engagieren, sind auch Klima-Aktivisten von Fridays for Future oder Joves pel Clima vertreten – und viele auf der Insel lebende Marokkaner. Sie seien, so eine Sprecherin von „Mallorca per Palestina“, besonders sensibilisiert für den Kampf des palästinensischen Volks und würden seit dem Beginn des Krieges eine zunehmende Islamfeindlichkeit wahrnehmen.

Dass es mit „Ciutadans per Palestina“ noch eine weitere Gruppe gibt, liegt wohl daran, dass deren Vertreter eher den Kommunisten zuzuordnen sind, die auf keinen Fall etwas mit Politikern der „bürgerlichen“ Parteien zu tun haben möchten. Die würden ohnehin stets das eine sagen, und dann das Gegenteil machen.

Die Blickwinkel

Ebenso unterschiedlich wie die Beweggründe der verschiedenen Unterstützer Palästinas auf Mallorca sind auch die Blickwinkel der unmittelbar Betroffenen. Fragt man Khaled Abunaim und Ari Molina nach einer möglichen Lösung für den blutigen Konflikt, verweisen beide auf die Verantwortung der anderen Seite. Abunaim sagt, dass Israel die Angriffe auf Gaza und den Krieg beenden müsse. Molina sagt, dass die Hamas alle Geiseln freilassen müsse, um den Krieg zu beenden. Abunaim sagt, dass die israelischen Geiseln nur genommen wurden, um sie gegen unrechtmäßig gefangene Palästinenser auszutauschen. Molina sagt, dass das enorme Leid der Menschen im Gazastreifen nicht die Schuld Israels, sondern die der Hamas sei.

Die Positionen sind verhärtet, auch auf Mallorca.

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