Wenn sich Carlos Cortés mit seiner rauchigen Stimme in Fahrt redet, ist er kaum zu bremsen. Inbrünstig und gestenreich spricht er davon, dass er die „Gitanos", wie die Roma hier genannt werden, komplett in die mallorquinische Gesellschaft integrieren möchte. Nur beim Thema Drogen verstummt er abrupt. „El Charly" ist der Präsident der vor einem Monat gegründeten Dachvereinigung der Gitanos auf den Balearen (Fagib), die die Ethnie in ein besseres Licht rücken soll. „So etwas gab es hier noch nie", sagt Cortés, der sich auch als Sprecher der oft als Drogendorf Palmas bezeichneten Barackensiedlung Son Banya vorstellt.

Was wollen Sie erreichen?

Es gab bislang niemanden, der die Gitanos gegenüber den Behörden vertritt. Rund 1.200 Familien sind bei uns eingeschrieben, darunter auch „Payos", wie wir Menschen anderer Volksgruppen bezeichnen. Wir haben eine Sozialarbeiterin eingestellt, die bei der Wohnungs- und Arbeitssuche hilft. Wir verteilen Essen an Bedürftige. Offiziell gibt es rund 7.500 Gitanos auf Mallorca, in Wirklichkeit dürften es aber rund 11.000 sein. 70 Prozent von ihnen sind vollständig integriert. Mit Fagib wollen wir das auch für den Rest erreichen. Wie wir das schaffen wollen? Hauptsächlich mit Informationsgesprächen und Kursen. Trotz Integration wollen wir aber nicht unsere Traditionen verlieren - sonst wären wir schließlich keine Gitanos mehr.

Die Gitanos leben seit mehr als 500 Jahren in Spanien. Warum gibt es immer noch Schwierigkeiten mit der Integration?

Gott sei Dank hat sich das Leben der Gitanos geändert. Wir wurden aber lange Zeit diskriminiert und misshandelt. Mein Vater „Tío Kiko" erzählte oft, dass man ihm den Kochtopf samt Essen umgetreten hat. Den Gitanos sagt man nach, dass es Diebe und Drogenhändler sind. Wir mussten uns irgendwie durchschlagen und auch schon mal ein Hühnchen stehlen, wenn uns niemand Arbeit gegeben hat. Nun sind wir im 21. Jahrhundert angekommen, die Gitanos haben dazugelernt. Sie wissen, dass nicht das Recht des Stärkeren zählt, sondern es auf Dialog ankommt. Die Gitanos mussten sich weiterentwickeln, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Andererseits lässt die Gesellschaft jetzt überhaupt erst zu, dass wir uns integrieren. Heute gibt es Ärzte, Anwälte oder Journalisten unter den Gitanos.

Bleibt nach so vielen Generationen auf der Insel noch die eigene Identität oder fühlt man sich einfach als Mallorquiner?

Ich will die Bräuche nicht missen. Das gilt hauptsächlich für die sogenannte Keuschheitsprobe mit dem Tuch und den Respekt vor den Älteren. Das haben uns unsere Eltern eingetrichtert, und es ist etwas Schönes. Es gibt immer noch Unterschiede zwischen Payos und Gitanos. Wenn ein Arbeitgeber die Wahl hat, stellt er lieber einen Payo ein. Dieser Rassismus existiert weiterhin. Er ist auch in den Schulen zu sehen, wenn Eltern den Lehrer bitten, dass ihr Kind nicht neben dem Gitano sitzt. Da ergeht es uns nicht anders als den Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Ein kontroverses Thema ist das konservative Frauenbild der Gitanos. Die Tradition schreibt vor, dass Mädchen mit 13 Jahren verheiratet werden und danach eine Laufbahn als Hausfrau und Mutter einschlagen.

Wir haben eine eigene Abteilung dafür eingerichtet. Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich gefordert, dass die Frau eine Stimme bekommt. Sie muss die gleichen Freiheiten wie ein Mann bekommen, das Frauenbild muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass eine Gitana das Haus putzen, dem Mann das Essen kochen und ihm den Rotz von der Nase wischen muss. Und wenn sich eine Gitana mit einem Payo verheiraten will, dann soll sie das tun. Meine Tochter kann in dem Alter heiraten, das sie für richtig hält. Zuvor soll sie aber zur Schule gehen und sich um eine ordentliche Ausbildung kümmern.

Die fehlende Schulbildung ist nach wie vor ein großes Problem der Gitanos. Wer trägt die Schuld daran?

Der Regierung können wir da keine Schuld zuschieben. Das haben sich die Gitanos schon selbst eingebrockt. Die Eltern müssen die Kinder besser erziehen: rechtzeitig aus dem Bett holen, unter die Dusche stellen, frühstücken lassen und in die Schule schicken. Wir müssen den Eltern eintrichtern, wie wichtig Bildung ist. Es kann nicht sein, dass wir heute noch Probleme mit Analphabetismus haben. Die Kinder dürfen nicht mit 16 Jahren ihre Ausbildung abbrechen. Was wollen sie sonst arbeiten? Weiter Altmetall im Schrott suchen?

Sie haben angesprochen, dass es viele Vorurteile über die Gitanos gibt. Beschmutzt das Drogendorf Son Banya das Ansehen?

Da muss ich Ihnen klar widersprechen. Seit 50 Jahren wohnen wir dort. Es war ein Geschenk der Mallorquiner. Ich bin in Son Banya geboren und habe dort gewohnt. Vorher hausten die Gitanos in Molinar am Strand. Im

aufkommenden Tourismus gab das ein schlechtes Bild ab. Daher wurden wir in die Barackensiedlung verfrachtet. Sie können sich vorstellen, was da für ein Fluglärm herrscht. Den Gitanos gefällt das Leben dort nicht, niemand würde dort leben wollen. Es gibt keine Kanalisation, aber viele Ratten. Die Gitanos verdienen würdige Wohnverhältnisse. Alle sehen immer nur die Schattenseite von Son Banya: die Drogen. Keiner schaut auf die mittellosen Familien. Allein weil im Ausweis Son Banya steht, bekommt man keinen Job. Dabei haben die meisten Menschen dort mit dem Drogenhandel nichts zu tun. Son Banya beschmutzt letztendlich nicht unser Ansehen, sondern das der Politiker, die den Kindern dort keine vernünftige Bildung ermöglicht haben.

Wie soll es mit Son Banya weitergehen?

Wir haben uns mit Palmas Sozialdezernent Toni Noguera getroffen und eine Einigung erzielt. Keine Familie soll Son Banya verlassen, ohne eine Sozialwohnung und staatliche Hilfen zu erhalten, bis sie Arbeit finder. Diese Hilfe soll monatlich 800 bis 1.100 Euro betragen und an die Bedingung geknüpft sein, dass die Familie nicht in den Drogenhandel involviert ist. Einen Zeitplan haben wir noch nicht, aber wir haben vereinbart, dass wir uns alle drei Monate treffen. Son Banya wird verschwinden. Es ist nur noch die Frage, wann das sein wird.