Geplant hatte er Ferientage auf Korsika. Daraus wurde nichts, weil der vorgesehene Flug ausgebucht war. So landete Martin Wolf ersatzweise in Palma de Mallorca - ein Glücksengel dürfte dabei Regie geführt haben. Denn in seinem Urlaub lernte Martin die auf Mallorca lebende Deutsche Andrea kennen, verliebte sich in sie, blieb und bezog mit ihr im Jahre 1993 eine wildromantische Finca zwischen Llubí und Inca. Dieses Refugium, zu dem allerlei Haustiere gehören, wurde für das Paar und seine heute fünf Kinder zur Heimat, für Martin überdies zur Arbeitsstätte: Der Rheinländer ist deutscher Töpfermeister, im ehemaligen Kuhstall des Gehöfts befindet sich seit 16 Jahren seine stimmungsvolle Töpferwerkstatt.

„Das Töpfern“, sagt Martin rückblickend, „ist mir keineswegs in die Wiege gelegt worden. Mein Vater war Botaniker, ich träumte nach dem Abitur kurz von einem Medizinstudium.“ Durch Zufall kam er damals mit einem Töpfermeister in Kontakt, bekam eine Lehrstelle angeboten, griff zu, bildete sich in drei Jahren in der Eifel zum Töpfer aus und schloss drei weitere Ausbildungsjahre an der Gestalterschule in Höhr-Grenzhausen im Westerwald mit dem Diplom als staatlich geprüfter Keramikgestalter ab. Nach zwei zusätzlichen Praxisjahren in einer Töpferei in Nordfriesland sowie flankierenden betriebswirtschaftlichen Kursen hielt er schließlich das Töpfer-Meisterdiplom in den Händen. All diese Urkunden halfen ihm beim Einstieg ins Töpfern auf Mallorca allerdings herzlich wenig, der berufliche Start war kein Honigschlecken, begann sozusagen auf Stufe null. Wolf erinnert sich: „Zuerst baute ich den ehemaligen Kuhstall des Gehöfts zur Werkstatt um, holte anschließend mit einem VW-Bus eine Töpferdrehscheibe sowie 150 Ofensteine von Deutschland nach Llubí und baute mit diesen Steinen einen ersten kleinen Keramikbrennofen mit Holzfeuerung.“ Da dieser Miniofen keine größeren Gegenstände zuließ, formte und brannte der Rheinländer anfangs ausschließlich keramischen Schmuck, den er mit Holz, Leder und anderen Materialien kombinierte. Ein zweiter größerer Brennofen ermöglichte dem deutschen Fachmann jedoch rasch die Ausweitung der Produktion.

In der nächsten entscheidenden Phase galt es, Ausschau nach Absatzmöglichkeiten zu halten. „Wiederverkäufer“, erläutert er dazu, „gibt es heutzutage in der kunsthandwerklichen Töpferei auf Mallorca kaum mehr. Der selbstständig arbeitende Töpfer hat also selbst Kunden zu suchen.“ Martin Wolf fand sie vorerst auf dem Wochenmarkt in Sineu, auf dem er noch heute regelmäßig mit einem Stand vertreten ist. Später begann er, seine Arbeiten auch andernorts anzubieten. So findet man ihn beispielsweise seit vielen Jahren auf der Töpfermesse in Marratxí, auf dem mittelalterlichen Kunsthandwerkermarkt in Capdepera und zu diversen Anlässen in Katalonien auf dem spanischen Festland.

Die bunte zusammengewürfelte Schar der Tongestalter teilt sich auf Mallorca in zwei Hauptgruppen: in die traditionellen Gebrauchstöpfer sowie in die kunsthandwerklich tätigen Keramiker. „Den Touristen“, erläutert Martin Wolf, „verdanken beide Gruppen Leben und Überleben.“ Was ein Blick zurück in die jüngere Inselvergangenheit bestätigt. Als vor einem halben Jahrhundert das Plastikzeitalter das irdene Kochgeschirr und die irdenen Vorratsgefäße mehr und mehr aus den Inselhaushalten verdrängte, schien der Niedergang der uralten Gebrauchstöpferei nicht mehr aufhaltbar. In dieser kritischen Phase erwiesen sich die Touristen direkt und indirekt als Retter in der Not. Sie entdeckten die Töpferwaren als Souvenirartikel, was die Ladenkassen in den Töpfereien wieder stärker klingeln ließ. Umgekehrt besannen sich die Einheimischen angesichts der immer stärker anschwellenden Ströme von Fremden wieder mehr auf ihre eigenen Werte und auf ihre Eigenständigkeit. Viel Brauchtum und ebenso das traditionelle irdene Geschirr der früheren ländlichen Inselgenerationen feierten eine Renaissance. Heute gehört es in den Inselhaushalten und in den mallorquinischen Gaststätten wieder zur stolzen Selbstverständlichkeit, Ton­geschirr zu verwenden.

Trotzdem sind die Zukunftsaussichten der sich vor allem auf Pòrtol konzentrierenden mallorquinischen Gebrauchstöpfereien nicht allzu rosig. Martin Wolf dazu: „Man kann wohl in diesen Betrieben die schönsten bauchigen greixoneras (Tonschüsseln) ganz Spaniens finden. Doch ist das Angebot in allen Betrieben fast deckungsgleich, in die Produktion sind nur rudimentär neue Erkenntnisse und Ideen eingeflossen.“

Anders geht es bei den vielen kunsthandwerklich tätigen Keramikern zu. Hier fehlt es nicht an Ideen, an neuen Formen und Farben und oft auch nicht an unkonventioneller Gestaltung. Die allermeisten von ihnen sind Frauen. Martin Wolf ist in dieser Gruppe nicht nur als Mann eher eine Ausnahme, auch sein Steinzeuggeschirr hat im ganzen Angebot auf Mallorca einen gewissen Seltenheitswert. Es besteht im Unterschied zu den auf der Insel vornehmlich aus porösem Ton geformten Töpferwaren aus sehr reinem französischen Ton mit hohem Schmelzpunkt. Bleizusätze beim Brennen erübrigen sich deshalb, was vor allem bei Küchengeschirr aus Sicherheitsgründen natürlich nur von Vorteil ist.

Obwohl dem töpfernden Rheinländer das Leben auf Mallorca gefällt und er sich beruflich sehr gut etabliert hat, ist eine Luftveränderung in späteren Jahren nicht ausgeschlossen. Martin Wolf verrät: „Andrea und ich konnten vor einiger Zeit durch Zufall im Ort Osterwieck in Sachsen-Anhalt ein schönes großes Fachwerkhaus mitten im Ort kaufen.“ Also eines Tages Rückkehr nach Deutschland? Der Töpfermeister nach kurzem Überlegen: „Aus beruflicher Sicht kann ich es mir nicht vorstellen. Und für die Familie wäre es eine sehr harte Zerreißprobe. Die älteren Kinder müssten wir auf der Insel zurücklassen - sie sind hier verwurzelt und heute in ihrem ganzen Wesen Mallorquiner geworden.“