Gunter Röthig und seine Frau Regina sind schon seit September im Vorweihnachtsstress. Sämtliche Drucker in ihrem Haus in Andratx laufen heiß, spucken hunderte Seiten für Bastelanleitungen von Laubsägearbeiten aus. Jeden Tag verschickt das aus Sachsen stammende Ehepaar die Vorlagen stapelweise in die ganze Welt. Es ist die Zeit der Heimwerker, bis zum Heiligen Abend wollen ihre Kunden neue Lichterbögen gesägt haben. Gunter Röthig entwickelt laufend neue Modelle für die Laubsägearbeiten, die typisch für das Erzgebirge, seine Heimat, sind. Mit dem Vertrieb der Bastelanleitungen über ihren Ebay-Shop ?Reggisonnes Schatzinsel" hat die Familie nicht nur einen Geschäftserfolg gelandet, sondern auch eine wirksame Therapie für Vater Gunter Röthig gefunden. Mit dem Tüfteln an neuen Ideen fand der 51-Jährige nach einem Schlaganfall zurück ins Leben.

Denn zunächst schien nach dem ?Tag X", wie Gunter Röthig den Tag im Spätsommer 2001 nennt, alles vorbei zu sein. ?Ich war auf einmal wieder wie ein Säugling, konnte nicht sprechen, nicht laufen, nicht mit Messer und Gabel umgehen", erinnert er sich. Zwei Wochen lang lag er im Koma, die Ärzte in der Juaneda-Klinik bereiteten seine Familie auf das Schlimmste vor. Dann wachte der Mallorca-Resident wieder auf. Doch er konnte sich an nichts mehr erinnern. Mit Hilfe seiner Frau Regina rekonstrui­erte er seine eigene Lebensgeschichte. Doch Röthig fühlte sich nutzlos, einen Arbeitgeber würde er nie wieder finden, glaubte er. Er war erst wenige Jahre vor dem Zusammenbruch auf die Insel gekommen, hatte als Reiseleiter und Kellner gejobbt. Er und seine Frau schlugen sich mit verschiedenen Arbeiten durch, waren immer noch dabei, sich an ihrem neuen Wohnort zu etablieren. Wovon sollte er jetzt allein die tausende Euro für die vielen Medikamente bezahlen, die er fortan schlucken musste. ?Da werden Sie wahnsinnig, wenn sie mit Mitte 40 nicht mehr gebraucht und gefordert werden", sagt er. Seiner Frau und seinen drei Kindern wollte er keine Last sein. Gunter Röthig wollte sich aufgeben.

Doch das ließ seine Familie nicht zu. Da war doch das alte Talent ihres Vaters und Mannes für Basteleien und Laubsägearbeiten. Schon als Kind hatte Gunter Röthig, der Sohn eines Tischlers aus dem Erzgebirge, das traditionelle Kunsthandwerk erlernt. Die filigran ausgesägten sogenannten Schwibbögen mit Figuren, Landschaften und Lichtern werden besonders gern zur Weihnachtszeit in die Fenster gestellt. Das Geschick dafür hatte Röthig auch der Schlaganfall nicht genommen. ?Das steckt drin in mir. Ich bin einfach handwerklich begabt", sagt er. Der gelernte Kraftfahrer fing an, eigene Entwürfe für die Schwibbögen zu entwickeln, auszusägen und zusammenzubauen, trainierte so sein Gehirn.

Tochter Carola richtete einen Shop auf der Seite des Internet-Auktionshauses Ebay ein. Allerdings schreckten die hohen Portokosten für die ins Ausland verschickten gut verpackten fragilen Holzarbeiten Interessenten ab. Da kamen die Röthigs auf die Idee, lediglich Modelle für Laubsägearbeiten zu bauen und Anleitungen dazu zu schreiben, so dass Bastler anhand der leicht verschickbaren Vorlagen selbst lossägen können. Damit schaffte die Familie den Durchbruch. Woran sie vorher selbst gezweifelt hatten, bestätigte sich in der Praxis. ?Millionen basteln und sägen", sagt Gunter Röthig. ?Die kaufen alles von uns" Der Ebay-Shop der Familie unter dem Namen ?Reggisonnes Schatzinsel" ist heute so beliebt, dass die Röthigs gar nicht mehr mit der Produktion hinterherkommen. ?Da warten Leute laufend auf die neuesten Anleitungen. Die kaufen alles von uns. Das macht einen doch stolz, oder", sagt Gunter Röthig. Die Familie aus Andratx hat nicht nur Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihre Fans wohnen auch in den USA, Australien oder Japan. Inzwischen bietet die Familie hunderte von verschiedenen Bastelanleitungen an. Eine ihrer neuesten Ideen ist die Anleitung zu ?Das große Waldhaus Luxus, Nr. 115", ein Schwibbogen mit integrierter Mechanik aus Zahnrädern, die einen Weihnachtsmann mit Rentierschlitten durch die Gegend fahren lässt. ?Das ist momentan der absolute Renner." Meist suchen sie sich deutsch anmutende Motive, aber aktuell arbeitet Röthig an der hölzernen Nachbildung der Ansicht der Kathedrale von Palma.

?Mit jeder neuen Herausforderung, die ich mir stelle, merke ich, dass ich auch geistig wieder ein Stück weiterkomme", sagt Gunter Röthig, der noch immer an den Folgen des Schlaganfalls leidet. Wichtig ist für ihn auch, dass er zu Hause und eng mit seiner Frau zusammen arbeiten kann. Denn ihm fehlt weiterhin Orientierungssinn und Personengedächtnis. ?Ich kann nicht mal Zigaretten holen gehen, und wenn Sie morgen wiederkommen, erkenne ich sie nicht mehr." Seine Frau Regina notiert sich seine Ideen und zeichnet die Entwürfe auf. Immer wieder fühlt sich Röthig schlagartig so schlecht, dass er pausieren muss. ?Auf einmal ist der Akku leer, dann muss ich mich hinlegen."

Sobald es ihm besser geht, steht er dann wieder an der Säge. ­Parallel zum Tagesgeschäft spinnen die Röthigs an neuen Projekten. Sie wollen ihre Leidenschaft für die Tüfteleien und Basteleien mit Holz weitergeben und suchen nach Sponsoren für Werkzeug und Material, um kostenlose Kurse für Kinder und Jugendliche anbieten zu können. Das Angebot eines Unternehmens, ihre Vorlagen für eine Massenproduktion in China aufzukaufen, haben sie übrigens abgelehnt.

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